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Oskar Farny – der Allgäuer Januskopf

Oskar Farny – der Allgäuer Januskopf
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Er war der König des Allgäus: Oskar Farny (1891–1983), Minister, Bierbrauer und Freund von Generalfeldmarschall Erwin Rommel. Dass der CDU-Politiker und Ehrendoktor der Uni Hohenheim ebenso wenig ein Widerstandskämpfer war wie der "Wüstenfuchs", belegen neue Forschungen.

Am 13. Oktober 1944 hatte Rommel ein letztes Mal seinen gleichaltrigen Freund in Dürren bei Wangen im Allgäu besucht. Wie üblich war er mit seiner Fieseler-Storch-Maschine auf einem Feld beim Wohnhaus der Familie Farny gelandet. In einem hastig gepackten Koffer führte Rommel seine Tagebücher, Akten, Filme und den Schmuck seiner Frau mit. Er klärte den Freund darüber auf, dass man ihn zum Suizid zwingen werde, worauf Farny dem Generalfeldmarschall zur Flucht über seine (Farnys) Berghütte an der Schweizer Grenze riet. Rommel lehnte unter Hinweis auf eine erwartbare Belangung seiner Familie durch die Gestapo ab.

Am darauffolgenden Tag erfuhr Farny aus dem Radio von Rommels Tod. Der Generalfeldmarschall sei den Folgen seiner an der Westfront erlittenen Verletzungen erlegen, hieß es offiziell. Bei der Beerdigung Rommels führte Farny die Witwe Lucie Rommel an der Hand. Dieser Auftritt habe das Ehepaar Farny in "Gefahr" gebracht, weil "Disziplinierungsmaßnahmen" des Regimes zu befürchten waren. Sie blieben aus.

Kommilitone Eugen Bolz starb unter dem Fallbeil

In der unmittelbaren Nachkriegszeit galt Erwin Rommel über Jahrzehnte hinweg in der Bundesrepublik Deutschland als das Aushängeschild der "sauberen Wehrmacht", als "Mann des Widerstands", und wer mit ihm befreundet war, musste deshalb auch dem Widerstand angehört haben. Auch Oskar Farny nahm dies für sich in Anspruch. Neue Forschungen stellen den "Widerständler" Rommel in Frage, und in der Tat ist erwiesen, dass der "Lieblingsgeneral" des "Führers" Adolf Hitler wiederholt jede Beteiligung am Widerstand weit von sich gewiesen hat. Damit gerät das Selbstverständnis der Männer von Rommels Freundeskreis ins Wanken – und das gilt auch für Oskar Ludwig Farny.

Der Sohn eines vermögenden Gutsbesitzers studierte nach dem Besuch des Gymnasiums in Ravensburg auf ausdrücklichen Wunsch des Vaters kurze Zeit Jura in Tübingen. Als Mitglied der katholischen Studentenverbindung Guestfalia lernte er den jungen Gerichtsassessor Eugen Bolz kennen, der gerade seine erfolgreiche Laufbahn in der Zentrumspartei startete. Bolz war nach 1919 Justizminister, dann Innenminister und schließlich Staatspräsident des "freien Volksstaates Württemberg". Im Gegensatz zu Farny ist Bolz' Kontakt zum bürgerlich-konservativen Widerstand gegen Hitler belegbar. Am 23. Januar 1945 wurde Bolz deshalb in Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil ermordet.

Nach dem abgebrochenen Studium ging Farny zum Militär und schlug die Offizierslaufbahn ein. Er war beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs bei einem Infanterieregiment in Weingarten stationiert, machte den Krieg als Zugführer, Kompaniechef und Bataillonsadjutant mit und war bei Kriegsende Generalstabsanwärter. 1917 heiratete er die Badenerin Elisabeth Vögtle, die Ehe blieb kinderlos. Die Niederlage des Deutschen Reiches im Weltkrieg führte zu einer von den Siegermächten verordneten drastischen Reduzierung des Militärs. Die Zukunftsaussichten Farnys waren düster.

Die Lebenskrise seines älteren Bruders Hugo, der unter dem Eindruck des Kriegserlebnisses Priester werden wollte, stieß für Farny 1919 überraschend die Tore in eine neue Zukunft auf, denn nun konnte er den väterlichen Gutsbetrieb mit Brauerei und Brennerei sowie den Vorsitz der "Vereinigten Käsereien Württ. Allgäu" übernehmen. Dies war der Ausgangspunkt für seine steile Karriere im Wirtschaftsleben Württembergs und weit darüber hinaus. Der anerkannte Fachmann für Milch war später unter anderem Leiter der Fachgruppe Milch-Industrie und Reichsfachschaftsleiter der Schmelzkäsehersteller.

Rechte Parolen auf der politischen Bühne

1920 stieg Farny, nachdem er sich für die Zentrumspartei bereits in der Kommunalpolitik engagiert hatte, auch in die Landespolitik ein und gewann ein Direktmandat für den württembergischen Landtag, das er jedoch nach wenigen Monaten wieder niederlegte. Erst 1930 tauchte Farny wieder auf der landespolitischen Bühne auf. Im Vorfeld der Reichstagswahl bewarb er sich geradezu ungestüm als Kandidat und galt mit "rechten Parolen" als Symbolfigur für den Ruck der Zentrumspartei nach rechts. Anders als der von ihm verdrängte bisherige Reichstagsabgeordnete Franz Feilmayr kannte Farny mit Blick auf die NSDAP keinerlei Berührungsängste, wie Günter Buchstab, der langjährige Leiter der wissenschaftlichen Dienste der Konrad-Adenauer-Stiftung, notierte.

Sehr unklar ist der tatsächliche politische Standpunkt Farnys in den Jahren vor der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten. Es existieren Belege, dass er in öffentlichen Versammlungen durchaus scharf gegen die NSDAP sprach. Dagegen stehen eine ganze Reihe von Äußerungen, die zumindest den Schluss nahelegen, dass Farny 1932 für ein politisches Zusammengehen mit der Hitler-Partei eintrat und ihm Hemmungen, wie sie zahlreiche seiner Parteifreunde hatten, fremd waren. Die Verhandlungen zwischen NSDAP und Zentrum hinsichtlich einer Regierungsbildung auf Reichsebene im Herbst 1932 kommentierte Farny verständnisvoll und positiv. Im Vorfeld der Reichstagswahl am 5. März 1933 griff Farny bei einer Zentrums-Wahlversammlung in Ravensburg, an der auch der frühere Reichskanzler Heinrich Brüning teilnahm, die Nationalsozialisten mit starken Worten an. Oskar Farny – ein janusköpfiger Politiker.

Das "Ermächtigungsgesetz", das am 23. März 1933 von der notwendigen Zweidrittelmehrheit des Reichstags angenommen wurde, führte de facto dazu, dass Reichstag und Reichsrat ihre Bedeutung als Verfassungsorgane verloren. Die Regierung zog deren Kompetenzen, zunächst auf vier Jahre begrenzt, an sich. Oskar Farny stimmte, wie alle anderen Mitglieder der Zentrumsfraktion, mit "Ja". Später wies er darauf hin, man habe befürchtet, im Falle einer Nichtzustimmung bürgerkriegsähnliche Zustände heraufzubeschwören.

Farny will nicht gewusst haben, was Hitler wollte

Farny behauptete nach 1945, im Jahr 1933 habe "noch niemand" gewusst, "welche Richtung Hitler nach der Machtübernahme einschlagen würde, denn seine Regierungserklärung [vom 21. März 1933] war gemäßigt und voll beruhigender Zusicherungen nach innen und außen. Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, welch einem Lügner und Betrüger einmaligen geschichtlichen Formats das Volk in die Hände gefallen war."

Solche Einlassungen werfen bei einem so klugen und wohlinformierten Politiker, wie Farny es war, viele Fragen auf. Zum Zeitpunkt der Annahme des "Ermächtigungsgesetzes", nur sieben Wochen nach der "Machtergreifung", waren die "Säuberungen" im Reich bereits im vollen Gange, politische Gegner wurden verfolgt und in "Schutzhaftlager" gesperrt. Dies war ebenso in den Tageszeitungen zu lesen wie die von Tag zu Tag üblere Hetze gegen jüdische Mitbürger. Die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 war in großen Teilen von Hitler und Reichspräsident Hindenburg außer Kraft gesetzt worden. Es kann also keine Rede davon sein, "niemand" habe den tatsächlichen Charakter des Hitler-Regimes im März 1933 erkennen können.

Welche Umstände Farny veranlassten, am 23. Juni 1933, also noch vor der Auflösung der Zentrumspartei, sein Reichstagsmandat niederzulegen, ist unklar. Möglicherweise spielte die Verhaftung seines Bruders Hugo durch die Gestapo dabei eine Rolle. In jedem Fall sah alles nach einem Ende der parlamentarischen Laufbahn Farnys aus.

Die Dokumente liegen vor, die Farnys scheinbar unfreiwillige, weil vom Reichsinnenminister verordnete Aufnahme in den NSDAP-"Reichswahlvorschlag" vom Oktober 1933 nachweisen. Nicht bekannt ist bis jetzt aber, was sich im Vorfeld der "Wahl" des IX. Reichstags im November 1933 hinter den Kulissen tatsächlich abgespielt hat. Farny selbst sprach von einer "Zwangseinweisung zu den Heilrufern im Reichstag". Wohlwollende Autoren werten Farnys Aufnahme als Hospitant in die NSDAP-Fraktion als Versuch der Nationalsozialisten, den einflussreichen Landwirtschaftsfunktionär "umzudrehen".

Ein Repräsentant des "Dritten Reichs"

Unterm Strich bleibt festzustellen, dass Farny als "M. d. R." (Mitglied des Reichstags) ein Repräsentant des "Dritten Reiches" war, was ebenso für seine Leitungsfunktionen in landwirtschaftlichen Organisationen wie auch für seine Tätigkeit (1941–1945) als Stabschef beim Kommandeur für das Kriegsgefangenenwesen beim stellvertretenden Generalkommando Wehrkreis V (Stuttgart) gilt. Die Behauptung, damit "Schlimmeres" verhütet haben zu wollen, gehört zum Kanon der Rechtfertigung politisch belasteter Personen.

Das Entnazifizierungsverfahren Farnys zeigt geradezu idealtypisch, wie die "politische Säuberung" in Nachkriegsdeutschland ablief. Es gelang Farny, eine Vielzahl entlastender sogenannter Persilscheine zusammenzutragen, die ihn nicht nur von jeder Schuld reinwuschen, sondern ihm eine stets "anständige innere Haltung" attestierten. Und nicht wenige von ihnen rückten Farny in die Nähe des Widerstands gegen Hitler.

Dass Farny am Ende des Verfahrens Anfang 1949 als "entlastet" eingestuft wurde, hatte wesentlich auch mit der Prominenz seiner Fürsprecher zu tun. Unter ihnen der FDP-Ministerpräsident von Württemberg-Baden, Reinhold Maier, der Kultusminister von Württemberg-Hohenzollern, Albert Sauer, der württemberg-badische Minister und CDU-Gründer Josef Andre, der Landrat von Aalen, Anton Huber, General Hans Speidel und Rechnungshofpräsident Karl Hofmeister. Acht russische Kriegsgefangene, die während des Krieges auf Farnys Gut Zwangsarbeit leisten mussten, bescheinigten ihm, sich ihnen gegenüber immer anständig verhalten zu haben. Ein Polizeibeamter bestätigte, Farny habe durch seinen persönlichen Einsatz am 27. April 1945 die von deutscher Seite befohlene und vorbereitete Sprengung der Argen-Brücke verhindert.

Erstaunlicher Widerstand gegen den König des Allgäus

Den Versuchen des "entlasteten" Farny, nach 1946 der CDU beizutreten, begegnete vor Ort, in Wangen und Oberschwaben, erstaunlich heftiger Widerstand. So wurde dem mächtigen "König des Allgäus", der wieder eine politische Rolle spielen wollte, die Mitgliedschaft im Landes- und Wangener Bezirksverband über mehrere Jahre verwehrt. 1949 scheiterte eine Bewerbung Farnys als Ravensburger Bundestagskandidat. Man zog ihm Kurt Georg Kiesinger vor, der Mitglied der NSDAP und stellvertretender Leiter der Abteilung Auslandspropaganda im Reichsaußenministerium war. Erst das entschiedene Eintreten Gebhard Müllers, Staatspräsident von Württemberg-Hohenzollern und von 1953–1958 Ministerpräsident von Baden-Württemberg, für Farny ermöglichte schließlich doch dessen Aufnahme in die CDU – im Jahre 1954, wie Farnys Biograf Robert Schmidtchen ermittelt hat.

Mit einigen seiner Widersacher war mit der Zeit eine Versöhnung möglich, mit anderen nicht: Das CDU-Vorstandsmitglied Arist Dethleff, Wohnwagenhersteller in Isny, der Farnys Aufnahme widersprochen hatte, soll viele Jahre später dessen "Rache" zu spüren bekommen haben: Die Südwestbank gewährte ihm keinen größeren Kredit für eine Baumaßnahme – ihr Aufsichtsratsvorsitzender war Farny.

Die französische Militärregierung war weniger zurückhaltend als die regionale CDU und ermöglichte Farny bereits Ende 1945(!) die Rückkehr in wichtige Positionen im Wirtschaftsleben Württemberg-Hohenzollerns und in der französischen Besatzungszone. Wenn für eine Persönlichkeit der Begriff "Netzwerker" erfunden worden ist, dann für Oskar Farny. Er verstand es nicht nur, sich Zugang zu allen formellen und informellen Gesprächskreisen der unmittelbaren Nachkriegszeit – von den Tagungen der Landräte in Württemberg-Hohenzollern bis zur "Gesellschaft Oberschwaben" – zu verschaffen, sondern vermochte in dieser versorgungsmäßig überaus kärglichen Zeit als Herr über eine stets gut gefüllte Speisekammer und ausreichende Getränkevorräte prominente Gäste nach Dürren zu locken. Unter ihnen auch der Chef der provisorischen Regierung in Tübingen und SPD-Landesvorsitzende Carlo Schmid, der CDU-Vorsitzende und spätere Staats- und Ministerpräsident Gebhard Müller sowie der stellvertretende Innenminister und spätere Politikprofessor Theodor Eschenburg.

Kiesinger: Einen Mann wie Farny findet man nur alle Schaltjahre

Als Vertreter Baden-Württembergs in Bonn verstand es der glänzende Gastgeber Farny, rasch an politischem Einfluss zu gewinnen. Seine Vergangenheit wurde kaum noch angesprochen.

"Einen Mann wie Farny findet man nur alle Schaltjahre", stellte Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger in der Landtagssitzung vom 23. Juli 1960 fest, als ihm die Opposition vorwarf, die geplante Streichung des Ministerpostens bei der Landesvertretung nur vorgenommen zu haben, weil Farny nicht mehr für das Amt zur Verfügung stand. Das scheint tatsächlich der Fall gewesen zu sein. Der nunmehr 70-jährige Farny widmete sich fortan ganz der Verwaltung seines Besitzes und seinen zahlreichen Aufsichtsratsposten in der Wirtschaft und in der Industrie. Er starb 1983 im Alter von 92 Jahren.

Der SPD-Politiker Josef Felder (1900–2000), der sowohl den letzten Reichstagen bis 1933 und nach 1949 dem Bundestag angehörte, schrieb am 27. Oktober 1990 an den Wangener Altlandrat Walter Münch: "Persönlich kam ich mit dem hyperdeutschnationalen und dann echten NSDAP-Mann Farny (ich hörte Hinweise von Kollegen aus meiner Partei) glücklicherweise nie in Fühlung. Dass er Bevollmächtigter in Bonn werden konnte, zeigt, wie groß die Fehler bei der Bewältigung der schlimmen Vergangenheit nach 1945 waren. Wir leiden heute noch sehr darunter."

 

Frank Raberg ist Historiker und Politologe in Neresheim. Er gehört zu den Autoren der Buchreihe "Täter Helfer Trittbrettfahrer", herausgegeben von Wolfgang Proske. Seit 2010 befasst sie sich mit NS-Belasteten aus Baden-Württemberg. Band 4, "NS-Belastete aus Oberschwaben", ist im März 2015 (Kugelberg-Verlag, Preis: 19,99 Euro) erschienen. Darin beschäftigt sich Raberg mit Farny. Der nächste Band (zur Region Bodensee) ist für Ende 2015 geplant. Weitere Informationen: <link http: www.ns-belastete.de _blank>www.ns-belastete.de.


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5 Kommentare verfügbar

  • f.
    am 23.05.2015
    Antworten
    Ein entfernter Onkel von mir Er war generell ein materialistischer Mensch, ja, stimmt, ein Mann, der zwischen den Fronten stand. Er wollte Karriere machen und Geld haben, aber er war kein Nazi. Er wurde gezwungen, als er sein Rechtagsmandat niederlegte, dabei zu bleiben, weil man ihm angedroht…
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