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Der Autoverkäufer des Führers

Der Autoverkäufer des Führers
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Jakob Werlin kreuzte früh die Wege von Adolf Hitler. Als Münchner Mercedes-Händler versorgte er die aufstrebenden Nazis mit Autos und gelangte nach der Machtergreifung in den Vorstand der Daimler-Benz AG. Doch Werlin brach nach Erkenntnissen von Historikern auch das Schweigen über den Holocaust.

Es ist der 7. April 1926, Joseph Goebbels kommt in München an. Der "Chef" ist nicht da, aber "Hitlers Auto", schreibt Goebbels in sein Tagebuch. Das mit dem Auto ist, findet er, "ein nobler Empfang!" Mitte der Zwanzigerjahre sind Autos rar. Der 28-jährige Doktor der Germanistik, Geschäftsführer des Gaues Rheinland-Nord der NSDAP mit Sitz in Elberfeld und Schriftleiter der "Nationalsozialistischen Briefe", ein ehrgeiziger armer Schlucker, ist beeindruckt. Am Nachmittag geht es ohne Hitler nach Starnberg. "Im sausenden 100 klm. Tempo", jubelt Goebbels. So ein schönes Auto!

Es ist ein Mercedes.

Später gönnt sich auch Goebbels flotte Wagen. Ihre Autos kauft die Naziführung bei Jakob Werlin, der seine Niederlassung der Benz & Cie., Rheinische Automobil- und Motorenfabrik AG, in München genau dort hat, wo der "Völkische Beobachter" gedruckt wird: Schellingstraße 39 in der Maxvorstadt. Es blieb nicht aus, dass Autonarr Hitler und Autoverkäufer Werlin Bekanntschaft schließen.

Werlin knüpft bereits in schweren Zeiten enge Bande zu seinem Kunden: Am 12. September 1924 besucht er Hitler in Landsberg, wo der nach missglücktem Putsch in München in Festungshaft, umgeben von treuen Kameraden, an "Mein Kampf" arbeitet. Hitler, der sich in Haft mit dem Gedanken an einen Neuwagen trägt, schreibt Werlin am nächsten Tag einen Brief, in dem er sich kenntnisreich über die Unterschiede zwischen einem Benz 16-50, also einem Wagen mit 50 PS, und einem 11-40, zehn PS weniger, und die Frage, was die höhere Drehzahl für die Lebensdauer bedeutet, auslässt. Er will wissen, ob ein 11-40 "in grau vorhanden und lieferbar ist, und zwar ebenfalls mit Drahtspeichenrädern". Dann bittet er Werlin, in Mannheim, der Zentrale der Benz & Cie., "vielleicht auch in der Richtung anzufragen, welche Ermäßigung ich sowohl bei einem 16-50 als aber auch bei einem 11-40 bekommen könnte".

Hitler schreibt weiter, dass er mit Entlassung zum 1. Oktober 1924 rechnet, er sitzt dann bis 20. Dezember, er "größere Einnahmen aus meinem Werk nicht vor Mitte Dezember zu erwarten habe, so dass ich gezwungen bin, mir von irgendeiner Seite einen Vorschuss oder ein Darlehen geben zu lassen. Selbstverständlich spielen da einige tausend Mark schon eine sehr große Rolle." Das "Werk", von dem er sich Tantiemen erwartet, ist "Mein Kampf". Der graue Wagen, der in München bei Werlin stehe, soll auf alle Fälle reserviert bleiben. Hitler grüßt mir "Ihr sehr ergebener" und erwähnt, dass der Brief nicht durch die Gefängniszensur gegangen ist. Der US-Historiker Bernard P. Bellon behauptet, dass Werlins Fürsorge für Hitler so weit ging, dass er ihn bei der Entlassung aus Landsberg abholt. Ein Foto vom 20. Dezember 1924 zeigt Hitler, Mütze in der Hand, neben einem Wagen, ein anderes die "Kameraden", darunter Julius Schaub, später persönlicher Chefadjutant, damals Chauffeur.

Hitler führte viel, ein Auto nie. Er hatte keinen Führerschein. Der gute Draht zwischen Hitler und Werlin hilft beiden. Hitler hat immer das neueste Modell, Werlin, der den Parteitag der NSDAP 1929 in Nürnberg besucht, seine NSDAP-Mitgliedsnummer lautet: 3208977, der 1932 in die SS eintritt, wird 1934, acht Jahre nach der Fusion von Benz und Daimler, Vorstand der Daimler-Benz AG, und steigt im Januar 1942 zum "Persönlichen Generalinspektor des Führers für das Kraftfahrwesen" auf.

In Werlins SS-Personalbogen steht: "Gesunder Menschenverstand: vorhanden", "anständiger Charakter", "setzt sich durch", "nationalsozialistische Weltanschauung: gefestigt", "Auftreten ohne Fehler". Wird zum SS-Hauptsturmführer befördert. Werlin kommt am 10. Mai 1886 in Andritz (Steiermark) auf die Welt, macht eine Kaufmannslehre in der Automobilfabrik Puch in Graz, übernimmt 1910 die Leitung der Firma in Budapest. Dient im Ersten Weltkrieg als kriegsfreiwilliger Automobil-Ingenieur, geht 1917 zu den Hansa-Lloyd-Werken nach Bremen, kommt 1921 nach München. Nach 1933 wird er Vorsitzender des Aufsichtsrats der Exportgemeinschaft deutscher Automobilfabriken und ist mit Ferdinand Porsche an der Entwicklung des Volkswagens beteiligt. Im Mai 1937 wird Werlin mit Porsche und Dr. Bodo Lafferentz Geschäftsführer der Gesellschaft zur Vorbereitung des Volkswagens.

An runden Geburtstagen würdigt die Fach- und Tagespresse Werlin. Bei der Grundsteinlegung des "Volkswagenwerks" in Fallersleben im Mai 1938 lobt Hitler ihn als den Mann, "der seit vielen Jahren an meiner Seite stehend meine Gedanken überall zu vertreten und damit zu realisieren sich bemühte".

Deutsche Kraftfahrer kaufen "billige" ausländische Wagen

Werlin seinerseits malt, in der Zeitschrift "Der Vierjahresplan" des Jahres 1937, ein düsteres Bild der Weimarer Republik: "Unbegreiflich lange wurde zugesehen, wie ausländische Fabriken unter gerissener Ausnützung einiger Lücken im Zolltarif den noch verbliebenen Markt an sich rissen. Und es kam schließlich soweit, dass deutsche Kraftfahrer die 'billigen' ausländischen Wagen kauften, während an den Toren der Fabriken und auf den Stempelstellen die Funktionäre der KPD standen, die den Hass und den Neid predigten." Unterm Hakenkreuz dagegen strahlt alles: "Mit grenzenloser Liebe und Vertrauen ist das deutsche Volk dem Führer gefolgt, und gerade die in der Kraftfahrzeugindustrie Schaffenden haben besonderen Anlass, dem Führer für die Errettung aus dem Chaos durch neue Anstrengungen und noch größere Leistungen zu danken."

Jedes Jahr schreibt Werlin in "Der Vierjahresplan", wie es aufwärtsgeht mit der deutschen Automobilindustrie und dass sie dies dem "Führer" verdankt. Im Jahr 1941 ändert sich der Ton: Der Krieg sei dem Reich durch den "Hass und die Verblendung unserer Feinde aufgezwungen". Nun purzeln die Metaphern, denn Dank "der genialen Aufsicht unseres Führer" führt der Weg "aufwärts, dass das Ziel vor unserer aller Augen steht und tief in unsere Herzen eingeprägt ist: Der Sieg der deutschen Waffen!" Bescheiden über sich in der dritten Person schreibt Werlin, wenn es um den "Generalbevollmächtigten für das Kraftfahrwesen" geht, der, schon immer wichtig, "mit Kriegsausbruch gesteigerte Bedeutung" bekommt.

Werlin ist ein Privilegierter des NS-Staats. Er darf, wie der Architekt und spätere Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Albert Speer, sowie "Staatsbildhauer" Josef Thorak, Hitler auf dem Obersalzberg besuchen und mit ihm, Eva Braun und Schäferhund Blondi, zum Teehaus auf dem Mooslanerkopf wandern. Dort gibt es Kaffee, Kuchen und Hitler-Monologe.

In einer Ausgabe des "Illustrierten Beobachters" des Jahres 1936 schreibt Werlin einen Text über Hitler und die Autos: "Das allererste Fahrzeug des Führers war ein Selve-Wagen, der eine bootsähnliche Karosserie mit eingebautem Verdeck trug und zu jener Zeit sozusagen den 'letzten Schrei' darstellt." Alsbald folgt "ein 10/30 und ein 16/50 PS Benz-Wagen". Den zweiten kauft Hitler am 18. Oktober 1923 – Inflationszeit. Möglicherweise haut Hitler die Parteikasse auf den Kopf, Geld ist nichts wert, ein Auto schon. Werlin erinnert sich, dass er "den Führer selten so glücklich gesehen" hat "wie in dem Augenblick, als ich ihm das Fahrzeug übergab". Nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch vom November 1923 wird der 16/50, obwohl Werlin dies zu verhindern versucht, beschlagnahmt. Zehn Jahre später findet er den Wagen wieder, der nun, wie er schreibt, "in der Ehrenhalle der Automobil-Ausstellung ausgestellt" ist.

Seit "der Führer" an der Macht ist, habe er sich "als unvergleichlicher Förderer des Kraftfahrwesens in tatkräftiger Weise erwiesen", schreibt Werlin. Und zählt auf: die "Steuerbefreiung" für neue Personenwagen und die "Reichsautobahnen", die "Förderung des Automobil-Rennsports" durch "großherzige Subventionen". Die nach 1933 einsetzende Motorisierungswelle, inklusive Heldenverehrung für Rennfahrer wie Rudolf Caracciola und Bernd Rosemeyer, rettet die in den frühen dreißiger Jahren durch die Weltwirtschaftskrise in finanzielle Bedrängnis geratene Daimler-Benz AG.

Seit Frühjahr 1933 präsentiert sich Daimler-Benz der Öffentlichkeit als NS-Musterunternehmen. Das Unternehmen profitiert im Pkw-Bereich von der Protektion Hitlers, Goebbels und anderer NS-Größen, bekommt Wehrmachtsaufträge für den Bau von Lastwagen sowie Flugzeug- und Schnellbootmotoren. Dann bringen Kriegsproduktion und die Ausbeutung der Zwangsarbeiter Geld. Gewerkschaften gibt es nicht mehr, aufmuckende "Arier" kommen vor Gericht, "Nicht-Arier" gleich ins KZ. Im Jahr 1944 sind unter den 63 610 Daimler-Benz-Mitarbeitern zivile Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und 5648 KZ-Häftlinge.

Der US-Historiker Robert M. Spector behauptet, dass Werlin im Sommer 1942 Eduard Schulte, Generaldirektor des Bergbaukonzerns Giesches Erben und NS-Gegner, über den beginnenden Genozid an den Juden informierte. Schulte gab die Informationen über die "Endlösung der Judenfrage" an Gerhart M. Riegner weiter, Vertreter des Jüdischen Weltkongresses in der Schweiz. Die Alliierten waren über den Massenmord informiert, aber als Soldaten durch die Tore der KZ Buchenwald und Bergen-Belsen kamen, konnten sie nicht glauben, was sie sahen. Am 29. März 1944 setzt sich Werlin, in einem Brief an den Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, Himmler, für die Einbürgerung der englischen Balletttänzerin Friderica Derra de Moroda ein. Werlins Brief ist nicht erhalten. Im Archiv der Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts in Bremen liegt Himmlers Antwort. Er fragt Werlin rüde, wie der sich als SS-Mitglied für eine Frau wie de Moroda einsetzen kann, und lässt sie in einem Lager am Bodensee internieren. De Moroda überlebt.

Ob Werlin Informationen über den Genozid weitergab und warum er sich für de Moroda einsetzte, wissen wir nicht. Es gibt keine Monografie oder Biografie über ihn.

Werlin stirbt am 23. September 1965 in Salzburg. In der Todesanzeige seiner Frau Eglantine und der Söhne steht: "Sein Leben war voll menschlicher Güte und persönlicher Bescheidenheit." Die Mercedes-Niederlassungen in Traunstein und Rosenheim, die er nach 1945 gründet, lassen ihre und die Geschichte Werlins 1950 beginnen. So fährt man besser.


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1 Kommentar verfügbar

  • Ernst-FriedrichHarmsen
    am 26.06.2013
    Antworten
    Hitler und seine geliebten Benz-Wagen... da hat die Firma immer etwas von gehabt. Dieser Artikel hat sich richtig gelohnt zu lesen, auch die verschiedenen Seiten Werlins zu sehen. Historisch aber darf man korrigieren, dass die "Festung Landsberg" hier im Bild das östliche obere Stadttor Landsbergs…
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