Wer am Friedberg in Suhl aus dem Bus steigt, wird von Schüssen empfangen. Direkt neben der Thüringer Erstaufnahmestelle liegt das örtliche Schießsportzentrum. Viele, die vor der Gewalt in ihrem Heimatland geflohen sind, zucken bei diesem Geräusch zusammen. Adelino Mussavira kennt dieses Zucken, und als Erstes erklärt er Neuankömmlingen, dass sie hier sicher sind. Der ehemalige DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik, den alle nur Adelino nennen, muss viel erklären. Hier stehen die ehemaligen Offizierskasernen von Suhl, hier berät der Diakon und Sozialpädagoge heute Menschen, die vor der Gewalt in ihrer Heimat geflohen sind, wie sie sich im fremden Deutschland zurechtfinden können.
Draußen scheint die Sonne, Kinder versuchen, den ersten Zitronenfalter des Jahres zu fangen, "hallo", wird Adelino freudig begrüßt. An diesem Mittwoch ist der Beratungsraum geschlossen. Keiner weiß, warum, keiner hat einen Schlüssel, mehr als 50 Flüchtlinge warten schon auf dem Gang, hoffen, dass Adelino eine Antwort auf ihre Fragen hat. Doch wo reden? Adelino ist einer, der anpackt. Einer, der improvisieren kann. Einer, der mit seiner unerschütterlichen Fröhlichkeit Türen öffnet – auch die zum unmöblierten, leeren Lehrerzimmer. "Wer hilft, Stühle und Tische reinzuschaffen?", ruft der 53-Jährige in die Runde. Lehrerinnen, Flüchtlinge und seine zwei ehrenamtlichen Helfer packen mit an, und schnell ist aus dem kahlen Raum ein Beratungszimmer geworden.
Gestern noch war Adelino bei der Lesung des Journalisten Wolfgang Bauer in der Suhler Stadtbücherei. Er weiß, dass viele der Suhler, seiner Suhler – denn Adelino ist seit 28 Jahren einer von ihnen –, nicht sehen wollen, welche Gewaltorgien die Flüchtlinge übers Meer nach Europa getrieben haben: die Flüchtlinge, die sie nun in der Suhler Innenstadt sehen; die Flüchtlinge, die Wolfgang Bauer begleitet hat auf ihrer Flucht übers Meer; die Flüchtlinge, die Sügida für alles verantwortlich macht, was ihnen vermeintlich vorenthalten wird: Arbeit, Anerkennung, Geld. Als einer von rund 100 Zuhörern, die auf Einladung der Landeszentrale für politische Bildung in den Glasbau in der Suhler Friedensstraße gekommen sind, hört Adelino gebannt zu, wenn der "Zeit"-Reporter aus seinem Buch liest. Und der wirft seine Zuhörer mitten rein in die Flucht übers Meer nach Europa:
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CharlotteRath
am 20.04.2015