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Ein König wider Willen

Ein König wider Willen
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Wenn der König von Oberschwaben geht, müsste eigentlich halbmast geflaggt werden. Ende Mai ist Schluss mit dem Ravensburger Landrat Kurt "Jack" Widmaier (65). Nach 16 Jahren hört er auf. Für Kontext Anlass, mit dem pressescheuen Schwarz-Grünen über sein gelobtes Land, Stefan Mappus, die OEW/EnBW und Nacktschnecken zu sprechen.

Herr Widmaier, ein Landrat dankt ab, der einmal so gepriesen wurde: "Seht, hier ist euer König, den ihr verlangt, und den ihr euch erwählt habt." Das gibt's nur im Oberland.

Das war der Vorsitzende des Kreismusikblasverbandes. Der hat immer solche bedeutungsvolle Sätze gesagt. Es war 2007 bei meiner Wiederwahl im Kreistag in Bad Waldsee. Ich bitte darum, mir zu glauben: Ich habe mit dem Königsdasein nichts am Hut. Ich bin eher der Managertyp, der von morgens bis abends gearbeitet hat und hier verwurzelt ist.

A bissle König sein, das tut doch gut. Gerade dort, wo der Adel zu Hause ist.

Ich bin kein Monarchist, und ich wünsche mir auch die Monarchie nicht zurück. Und was den Adel anbelangt, so sind das hier Wirtschaftsunternehmen, die Arbeitsplätze schaffen und nicht über den Wolken schweben. Mit ihnen bin ich immer gut ausgekommen.

Das glauben wir gerne: Adel, Kirche und CDU haben im Himmelreich des Barock immer gerne zusammen gespielt.

Die Zeiten ändern sich. Zunächst ist der Oberschwabe einfach ein fleißiger und kreativer Mensch, der viel schafft, gerne feiert und, je nach Alter, eine Verbindung zur katholischen Kirche hat. Daraus automatisch eine Zugehörigkeit zur CDU herzuleiten ist ebenso falsch wie eine Verbandelung mit dem Adel.

Es soll tatsächlich Grüne geben im Oberland und sogar einen grünen Freund, den Abgeordneten Manfred Lucha.

Da muss man vorsichtig sein. Es stimmt, dass wir zwei uns gut verstehen, aber das heißt noch lange nicht, dass CDU und Grüne hier freundschaftlich verbunden wären. Unterschiede müssen bleiben, auch wenn ich keinen Hehl daraus mache, ein Freund einer künftigen schwarz-grünen Regierung zu sein. Vorbei sind gottlob die ideologischen Kämpfe wie vor 16 Jahren, als ich angefangen habe. Und das ist gut so, weil wir alle für die Region und ihre Menschen da sein sollten.

Ein bißchen traurig war Widmaier darüber, dass Winfried Kretschmann, im Gegensatz zu Carl Herzog von Württemberg, nicht zu seiner großen Abschiedssause in der vergangenen Woche ins Bad Waldseer Hymer-Museum kommen konnte. Der MP war in Silicon Valley, bedauerte sehr, und erlebte so die schwungvolle Moderation durch Sonja Faber-Schrecklein nicht. Er fühle sich Kretschmann "wesensähnlich", sagt Widmaier. Und das Gleiche gilt wohl für den Grünen Lucha, der seinen "Jack" in den höchsten Tönen lobt. Der sei ein "zutiefst friedvoller Mensch", glaubt der 54-Jährige.

Und deshalb sind die Oberschwaben die glücklichsten Menschen der Republik.

Das haben zumindest frühere Umfragen ergeben. Inzwischen haben uns offenbar andere Regionen überholt, aber wir sind immer noch im vorderen Feld. Vielleicht sollte man einfach die Latte etwas tiefer hängen: Die Menschen sind zufrieden, es geht ihnen gut, und sie leben gerne hier. Was wollen die Leute denn? Einen sicheren Arbeitsplatz, gute Ausbildung, eine schöne Kulturlandschaft und vielfältige Freizeitmöglichkeiten. Alles da.

Nur die Bauern werden weniger.

Auch Oberschwaben ist keine heile Welt. Es stimmt, dass wir Jahr für Jahr weniger bäuerliche Betriebe haben. Das ist der Strukturwandel in der Landwirtschaft. Richtig ist aber auch, dass der Kreis Ravensburg der größte Bauernhof Baden-Württembergs ist, wir die meisten vierbeinigen Rindviecher haben und die meisten Lebensmittel produzieren. Die jungen Bauern klagen nicht mehr, sondern bauen Neues auf, vermehrt Biohöfe zum Beispiel.

Der Ravensburger Schriftsteller Peter Renz beklagt das "Verschwinden von Heimat", zubetonierte Flächen, zersiedelte Landschaft und Pferdeköpfe, die nur noch an Hauswänden prangen.

Für mich ist Heimat ganz einfach der Ort, an dem ich mich wohl- und geborgen fühle. Man kann das so sehen wie Peter Renz, aber mit Tradition und Idylle schaffen wir keine Arbeitsplätze. Wer sie will, muss dafür sorgen, dass Betriebe irgendwo ansiedeln können. Dafür braucht man Straßen und Flächen. Traditionen sind gut und schön, und manche mögen ihr Verschwinden beklagen – ich halte nicht an Altem fest.

Das klingt alles sehr kühl, so gar nicht oberschwäbisch. Jetzt bitte etwas Freudvolles, ein schönes Erlebnis, wenn's geht.

Zuletzt das Zusammentreffen mit Bundespräsident Joachim Gauck im Schloss Bellevue. Ich war zum Mittagessen zu Ehren von Kardinal Kasper eingeladen. Das war eine interessante Angelegenheit. Früher einen ganzen Abend lang mit Helmut Kohl, als er noch Bundeskanzler war. Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher waren auch da, und Kohl hat gesagt, als ich den Raum betreten habe: So kann nur ein Landrat aus Oberschwaben aussehen.

Das läuft doch runter wie Öl und müsste ein Ansporn für CDU-Talente sein, Landrat werden zu wollen. Das Gegenteil ist zumindest in Ravensburg der Fall: Namhafte Vertreter der CDU haben unserer Kenntnis nach 32 Kandidaten abgeklappert und gewählt wurde ein No Name aus Düren in Nordrhein-Westfalen. Nur in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein wird der Landrat nicht direkt gewählt. Das erledigen hier die Kreistage, die fest in der Hand der CDU sind, weshalb auch meistens Schwarze Landrat werden. In Ravensburg beworben hatte sich auch der linke Politaktivist Made Höld. Seine Kandidatur wurde abgelehnt, wegen fehlender Führungs- und Verwaltungserfahrung. Am Ende blieb nur ein einziger Kandidat übrig, der Christdemokrat Harald Sievers. 

Nicht gerade ein Gedränge um Ihre Nachfolge.

Das ist kein Ravensburger Spezifikum. Das ist eine Frage des Lebensentwurfs. Heute sprechen die Frauen ein gewichtiges Wort mit. Sie haben womöglich auch einen guten Job und sehen nicht ein, dass der Mann eine Siebentagewoche hat. Die Familie muss dann diesen Stress mitmachen, das Rückgrat bilden, ohne das geht es nicht. Die Beobachtung durch die Öffentlichkeit tut ihr Übriges dazu. Ein falsches Wort und schon wirst du schlechtgemacht.

Aber doch nicht von der "Schwäbischen Zeitung".

Ich kann mich da nicht beklagen, das stimmt. Aber wenn ich öffentlich sehr beschimpft werde, weil ich zwei Krankenhäuser schließen musste, dann geht das an die Nieren. Dann fällt das Sich-Beherrschen schwer.

Wenn einer daherkommt und sagt, im Kreis Ravensburg herrschten "chinesische Verhältnisse", weil es nur einen Bewerber gab, dann juckt das auch?

Ich habe mich in die Gespräche nicht eingemischt. Es war nicht mein Job, meine Nachfolge mit auszukungeln. Ich weiß nur, dass sich die CDU große Mühe gegeben hat.

Die "chinesischen Verhältnisse" stammen von Made Höld, dem linken Oberschwaben-Rebellen. Wie viele andere fordert er eine Direktwahl des Landrats.

Von der Direktwahl halte ich nichts. Wer das ändern will, muss im Landtag für entsprechende Mehrheiten sorgen. Den Mann selbst kenne ich nicht, und ich weiß auch nicht, was ihn umtreibt.

Ein Besuch in der Ravensburger "Räuberhöhle" hätte dem entgegenwirken können. Made Höld ist dort in führender Funktion tätig.

Ich war noch nie in der Räuberhöhle, es hat mich nie dorthin gezogen. Das mögen ganz urige Leute sein, vor denen ich auch keine Berührungsängste habe. Aber ich bin kein Kneipengänger, ich gehe lieber gut essen.

Dann tauchen wir doch in eine gepflegtere Welt ein – in die der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW). Geht's denen gut?

Die OEW wird auch gerne als Loge der Landräte bezeichnet. Neun Kreisfürsten bestimmen über den kommunalen Zweckverband. Widmaier war von 2006 bis 2012 ihr Vorsitzender. In diese Zeit fiel der Rückkauf der Anteile, die der französische Staatskonzern EdF an der EnBW gehalten hatte. Das hat die OEW viel Geld gekostet plus eine notwendige Kapitalaufstockung. Weniger geworden sind dadurch die Ausschüttungen an die Landkreise, die von 60 auf 40 Millionen Euro geschrumpft sind. Darunter leidet auch ihr Mäzenatentum im künstlerisch-katholischen Bereich.

Es ist der OEW schon besser gegangen, aber wir haben nach wie vor eine ordentliche Vermögenslage. Die Kapitalaufstockung von 500 Millionen Euro haben wir gestemmt, sie war in unserer langfristigen Planung enthalten. Nur: Wenn die EnBW Minus macht, wie derzeit alle Energiekonzerne, spüren wir das bei der Dividende. 

Und die Kirchen beim Madonnen-Nachschub.

Das behauptet immer ein gewisser Freudenreich. Aus dem Kulturfonds der OEW haben wir viel mehr finanziert als Madonnen und Putten. Wir haben dafür Kulturgüter ersten Ranges für die Region gekauft, Ausstellungen, Konzerte und Museen unterstützt, die es sonst nicht gegeben hätte.

Macht die Entwicklung der EnBW Sorgen? 

Die EnBW ist auf einem guten Weg. Andererseits sind wir nicht dazu da, Hochstimmung zu zelebrieren. Wir verstehen uns als ganz verlässlicher Partner der EnBW, auch in dieser Zeit, und ich bin zuversichtlich: Der Dampfer fährt in die richtige Richtung, die Aktionäre können beruhigter sein.

Also weg vom Atomstrom.

Das habe ich schon vor sechs Jahren gesagt, nur hat uns das damals keiner abgenommen. Die OEW gehörte zu den ersten Unternehmen, die sich für erneuerbare Energien eingesetzt hat. Daraus hat ein Redakteur des "Stern" 2011 den Schluss gezogen, dass eine Energiewende nur dank der EnBW zu schaffen sei.

Das hat den Landrat Widmaier damals bundesweit bekannt gemacht. Der "Stern"-Kollege hat "Black Jack" in "Green Jack" verwandelt.

Ich habe das seinerzeit in Rom gelesen. Das war eine aufregende Angelegenheit.

Coole Geschichte. 

Nein. Da standen plötzlich Leute vom "Spiegel" und von den Nachrichtenagenturen in meinem Büro. Was für eine Aufgeregtheit! Das ist nicht meine Welt. Ich bin und bleibe Kommunalpolitiker.

Plötzlich in der ersten Liga mitspielen – das ist eigentlich großartig.

Nicht für mich. Man muss noch mehr aufpassen, was man sagt. Ein falsches Wort und schon gibt's Prügel. Die Verantwortung ist riesig. Es ging ja nicht nur um ein paar Mark.

Und dann sitzt man nachts beim Ministerpräsidenten Mappus und muss einen EnBW-Deal über 4,67 Milliarden Euro abnicken.

Der EnBW-Deal vom Dezember 2010 wird in die baden-württembergische Geschichte eingehen. Um den 45-Prozent-Anteil der EdF zurückzukaufen, hatte Mappus in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ein "Notbewilligungsrecht" geltend gemacht, um den Landtag zu umgehen. Der Staatsgerichtshof erkannte darin einen Verstoß gegen die Verfassung.

Wir mussten nichts abnicken, weil wir mit dem Geschäft insgesamt einverstanden waren. Unser gemeinsames Ziel war doch, die EnBW als baden-württembergisches Unternehmen zu erhalten. Was uns sehr viel Kraft gekostet hat, war die anschließende Debatte um den Verfassungsbruch, für den wir nichts konnten. Unser Rechtsgeschäft hatten wir juristisch genau geprüft. Die Prüfung der verfassungsrechtlichen Seite war Angelegenheit des Ministerpräsidenten.

Das klingt, den Politikersprech beiseite, nach ziemlicher Säuernis auf Mappus.

Dazu will ich nichts sagen. Aber es ist nicht lustig, vor einen Untersuchungsausschuss geladen zu werden. Das ist eine belastende Situation. Es kostet unheimlich viel Zeit und Kraft, sich darauf vorzubereiten, sich pausenlos mit diesen Dingen zu beschäftigen. Das hat tiefe Spuren hinterlassen. Nicht nur bei mir, auch bei meinen Kollegen.

Aber jetzt kommt die schöne Zeit des Rentners Widmaier.

Das wird eine riesengroße Erleichterung. Ich habe ein starkes Bedürfnis danach, einfach mal meine Ruhe zu haben, einfach mal nichts zu machen, was mich 16 Jahre lang umgetrieben hat. Das war eine lange Zeit. Ich will mit meiner Frau zunächst zum Wandern ins geliebte Südtirol, das Haus aufräumen, viel laufen, vielleicht mal ein Buch über Medien schreiben und mit meinem Enkel die Natur beobachten.

Schmetterlinge?

Mein Enkel bevorzugt Nacktschnecken.

 

Kurt Widmaier, Spitzname Jack, ist 1950 in Bad Waldsee geboren. Nach Jurastudium in Tübingen und Mitgliedschaft in der Verbindung AV Cheruskia wurde er persönlicher Referent von Sozialminister Dietmar Schlee, später Vizepräsident des Tübinger Regierungspräsidiums und 1999 Landrat von Ravensburg. Er ist Vorsitzender des Stiftungsrats der Deutschen Kinderkrebsnachsorge, der sich auch die SWR-Moderatorin Sonja Faber-Schrecklein verbunden fühlt. Widmaiers Lieblingslied ist "Marmor, Stein und Eisen bricht" von Drafi Deutscher. Seine Schulzeit verbrachte er zusammen mit Josef-Otto Freudenreich (64) in Wangen im Allgäu.


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7 Kommentare verfügbar

  • Karl Friedrich Rommel
    am 21.06.2015
    Antworten
    Mein Gott Freudenreich, was ist aus Dir geworden. Tritt doch wieder in die katholische Kirche ein, geh beichten und dann mit Deinem Spetzel in Südtirol wandern, damit wir nie wieder etwas von Dir hören!
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