Es gibt nur wenige politische Jobs, die auf den ersten Blick so wahnsinnig unsexy sind wie der des Landrats. Der Landrat, Chef übers Landratsamt und damit über Müllentsorgung, Autokennzeichen und Zuschüsse für Schülerbusfahrkarten. Landräte sieht man an Sams- und Sonntagen Weinschorle trinken beim Streuobstwiesenfest Hintertupfingen und bei Jubiläumskonzerten von Harmonika- bis Blasmusikorchestern nicht nur eines Ortes, nein, eines ganzen Landkreises tapfer paradelächeln. Der Lohn dafür ist nicht mal flächendeckende Bekanntheit. Leute unter 30 wissen kaum, dass es ihn gibt, geschweige denn den Namen und noch weniger, was er so macht. Der Landrat.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass dieses Amt in Baden-Württemberg fast komplett unter Ausschluss der Öffentlichkeit gewählt wird. Landrat kann auch nicht jeder Dahergelaufene werden, den andere Dahergelaufene eben wählen, wie das so üblich ist. Der Landrat wird – mit Zustimmung des Innenministeriums – vom jeweiligen Kreistag gewählt und sein Amt unterliegt im Südwesten strengeren Reglements als das der Bundeskanzlerin. Um es mit Made Höld aus Ravensburg zu sagen: "Die Landratswahl ist eine der schrägsten Wahlen, die wir so haben." Er muss es wissen, denn er ist so ein Dahergelaufener, der es halt mal versucht hat.
"Der Posten eines Landrats ist ein würdevoller", sagt Rolf Engler milde, CDU-Kreisrat in Ravensburg, Stimmenkönig 2014, 70 Jahre alt, rund 18 davon in der Kommunalpolitik. Ein freundlicher Herr mit Humor. "Der Höld ist schon in Ordnung", sagt er. Aber so ein Landrat sitzt im Aufsichtsrat der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke, in dem der EnBW, bei der Kreissparkasse ist er sogar Aufsichtsratsvorsitzender. Dann die ganzen Ausschüsse, wo er hinmuss. Im Regierungspräsidium muss er präsent sein, 1200 Mitarbeiter, puh, stellen Sie sich das mal vor!" Für so einen Job müsse man schon Format haben.
Klüngelüngelüng, hier kommt der Landrat
Made Höld sitzt an einem Holztisch im Ravensburger <link http: www.raeuber-hoehle.de _blank>Alternativen-Nest Räuberhöhle vor einem Weizen. Es ist Freitag. Draußen schrauben gerade regionale Künstler Bilder in die Nischen eines sehr alten, hübschen Torbogens, den die Stadt eigentlich abreißen will. "Kunstbesetzung", sozusagen. Innen sitzen "Räuber", so nennen sich die Gäste der Räuberhöhle, von Anzugträgern bis Jesuslatschen-Fans. Made Höld ist irgendwo dazwischen. "Ah, Made, Haare geschnitten?" fragt eine Räuberin fröhlich und schüttelt sich den Regen vom Mantel. "Jau", sagt Höld und lacht ein Glucksen tief aus der Kehle, sieht aber aus wie immer. Haare: lang, grau, ungekämmt. Optisch hat er wenig vom klassischen Landrat.
Made Höld leitet die Druckerwerkstatt im Zentrum für Psychiatrie in Weissenau und einer, der was reißt in Oberschwaben. Kürzlich hat er mit seinem aktivistischen Team eine digitale Menschenkette gegen rechts organisiert, Schirmherr war Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments. Und das war nur eine von einer Menge Aktionen der letzten Jahre. Manche meinen, Höld sei Anarchist. Ist er aber nicht. Nur einer, der findet, dass Politik anders betrieben werden sollte als bisher. "Das Wahlverfahren zum Landrat hat mir schon lang gestunken", sagt er.
Der Landratsposten ist verschrien als Erbhof, als ein Amt, das nach acht Jahren Amtszeit in Baden-Württemberg oft nicht weitergegeben, sondern weitergeklüngelt wird. Weil sich meistens eh keiner bewirbt und wenn, dann oft dieselben. In Oberschwaben, selbst für die baden-württembergische Provinz jottwehdeh, waren das immer stramme Katholiken. 1947–1978 (31 Jahre lang!) Oskar Sailer – Ritter des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Das wird man nicht einfach so, dazu wird man als guter Katholik exklusiv erkoren. 1978–1999 Guntram Blaser – Mitglied der AV Cheruskia Tübingen, nicht schlagend, aber – klar – Lebensbund. Prinzipien: Scientia, das Studium, Amicitia, die Freundschaft, Religio, der katholische Glaube, und natürlich Patria, "schließlich sind wir unserem Vaterland treu verbunden". 1999 noch bis Ende Mai 2015 Kurt Widmaier – auch in der AV Cheruskia Tübingen, ein barocker Typ, sagt man, machtbewusst, volkstümlich, einer, der immerhin "eine baden-württembergische Blasmusikkapelle dirigieren könne", und das sei nicht zu unterschätzen.
Wie aus einem Vorschlag eine Vorgabe wird
Zu dieser Wahl war alles ein wenig anderes. In Oberschwaben tobt seit Jahren ein Streit um die Zusammenlegung zweier Kliniken, und da kam es im Kreistag zu dem Wunsch, doch einen Landrats-Kandidaten von außerhalb zu holen anstatt irgendeinen Internen, Krankenhaus-Vorbelasteten. Eine kleine Revolution in einer fast schon bockelharten Politikgesellschaft wie der in Oberschwaben.
13 Kommentare verfügbar
Hans Paul+Lichtwald
am 04.05.2015