KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

IBA'27-Festival

Vom Bauen der Zukunft

IBA'27-Festival: Vom Bauen der Zukunft
|

Datum:

Parkhäuser zu Wohnraum, Holz statt Beton, ein alter Lastkahn als Schwimmbad: Die Internationale Bauausstellung 2027 will in Stuttgart und Region zeigen, wie zukunftsweisendes Bauen aussehen kann. Vorab gibt es Einblicke auf einem zweiwöchigen Festival.

Der Esslinger Christof Clauss und sein Sohn Paul betreiben Landwirtschaft in 13. und 14. Generation: Weinbau, Obst und Gemüse, vorwiegend auf dem Gebiet der Domäne Weil. Unten im Tal züchtete König Wilhelm I. von Württemberg einst Araberstuten. 1817 ließ er die Domäne einrichten, zwei Jahre nach dem Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora, der im "Jahr ohne Sommer" Hungersnöte verursacht hatte. Der Musterhof sollte zeigen, was sich durch gute landwirtschaftliche Arbeit erreichen ließ.

Oben in der sogenannten Champagne, heute auf dem Terrain der Gemeinde Ostfildern, steht als letzter historischer Bau das Schweizer Haus: ein bald 200 Jahre alter ehemaliger Kuhstall. Einige Jahre nutzte ihn eine Einrichtung für Menschen mit psychischen Erkrankungen als Ziegenhof, musste dann aber kapitulieren, da der Bau zu sehr heruntergekommen war. Heute saniert ihn Christof Clauss – mit Hilfe der Internationalen Bauausstellung IBA'27.

Zwei Jahre bevor es so weit ist, öffnet die IBA mit einem Festival die Türen und zeigt, was alles auf dem Weg, geplant oder schon fertig ist. Das Schweizer Haus steht am Wochenende auf dem Programm. Der Bau steht nicht unter Denkmalschutz. Er war vom Abriss bedroht. Christof Clauss wollte ihn erhalten, und zwar möglichst jeden Balken, jedes Sprossenfenster, bis zum letzten Dachziegel. Die Sanierung setzt Maßstäbe. Wie auch der Landwirtschaftsbetrieb der Familie.

Der Biohof Domäne Weil gehört zum Netzwerk Leitbetriebe Pflanzenbau: 100 Höfe, die im Rahmen der Ackerbaustrategie 2035 des Bundeslandwirtschaftsministeriums zeigen, wohin sich der Ackerbau entwickeln soll. Am flachen Nordhang der "Champagne" züchtet Paul Clauss Bio-Riesling: weil es dafür in den Südlagen allmählich zu warm wird.

2019 hat Christof Clauss das Schweizer Haus übernommen. Das war allerdings nicht so einfach: Grundstück und Gebäude gehören zum Hofkammergut, also dem Hause Württemberg, das keinen Wert auf den Erhalt legte. Bei einer IBA-Veranstaltung in Esslingen kam Clauss mit Andreas Hofer ins Gespräch. Der IBA-Intendant bot seine Hilfe an. Denn das wichtigste Thema der Ausstellung lautet: "die produktive Stadt". Viele der größeren IBA-Projekte suchen nach neuen, zukunftsweisenden Wegen, Wohnen und Arbeiten zu verbinden.

Im Dezember 2023 fand auf dem früheren Heuboden ein Workshop statt, erzählt IBA-Projektleiterin Tina Muhr. Beratschlagt wurde, wie sich der Raum unter dem hohen Dachstuhl als Ganzes nutzen ließe, etwa für Tagungen des Bioland-Verbands, statt ihn aufzuteilen, wie Clauss ursprünglich dachte. Ein Architekturbüro unterbreitet dem Bauherrn nun Vorschläge zum Vorgehen, wie Timm Radt vom Büro "Von M" vorsichtig formuliert. Zwischen IBA, Bauherr und Architekt bestehen jedoch wenig Differenzen. Sie ziehen an einem Strang.

Immobilienkrise – war da was?

Die Domäne Weil ist eines von derzeit 72 Projekten im IBA-Netz. Diese seien vorbildlich, erklärt Hofer, passten gut zur IBA, seien aber nicht wie die 32 eigentlichen IBA-Projekte von Anfang an im Zuge der Bauausstellung entwickelt worden. Einige davon sollen oder müssen bis 2027 fertig sein, wie das Besucher- und Informationszentrum am Weißenhof, neuerdings "Weissenhof.Forum" genannt.

Andere sind schon fertig wie das Bürohaus "Zero" in Stuttgart-Möhringen oder das Parkhaus am Wendlinger Bahnhof, in dem vergangenen Freitag die Festival-Eröffnung stattfand. Beide bestehen vorwiegend aus Holz. Das beschleunigt die Bauzeit, aber die Wirkung aufs Klima bleibt fraglich: Einerseits wird Beton vermieden – zugleich können Bäume, die Bauholz liefern, kein CO2 mehr binden. Typisch für Stuttgart und die Region erscheint dagegen, dass ein Parkhaus am Anfang steht. Es soll später zu Wohn- und Arbeitsraum umgenutzt werden können. Nur wann? Wenn es einmal nicht mehr so viele Autos gibt wie heute.

Die Umnutzung des Züblin-Parkhauses in der Stuttgarter Innenstadt kommt dagegen nicht voran. Die Stadt will das Projekt an einen gemeinwohlorientierten Investor vergeben, zögert jedoch mit der Ausschreibung. Stuttgart befürchte, dass sich keiner fände, meint Hofer. Im Neubaugebiet Neckarpark hätten sich unlängst zwei Investoren zurückgezogen. "Es hat sich immer noch nicht richtig herumgesprochen, dass sich Deutschland in der größten Immobilienkrise seit Jahrzehnten befindet", erläutert der IBA-Intendant angesichts drastisch gestiegener Baukosten.

Die Fehrle-Gärten in Schorndorf, ein am Freitag zu besichtigendes Genossenschaftsprojekt mit 147 Mietwohnungen, wurden bereits im vergangenen September eröffnet. "Sehr vorbildlich" findet Hofer auch die Kirchheimer Badwiesen: Eine Genossenschaft will den Bestand erhalten und mit 192 zusätzlichen Wohnungen verdichten. Wer sich darüber, ebenfalls am Freitag, informieren will, kann sich vorher noch die Baufortschritte im Steingau-Quartier ansehen. Bei den meisten anderen Projekten, etwa in Nürtingen, Fellbach, Leinfelden-Echterdingen, auf der Korber Höhe bei Waiblingen, in Schorndorf, Esslingen, Ludwigsburg oder Stuttgart-Münster und -Rot, sind dagegen bisher nur Pläne oder Baustellen zu besichtigen.

Bis zu 10.000 Wohnungen – irgendwann

Die großen IBA-Projekte sind fast alle sogenannte urbane Gebiete: ein neuer Begriff der Bauordnung jenseits der bisherigen Trennung in Wohn- und Arbeitsgebiete. Sie betreten Neuland. "Alle reden von der Leipzig Charta" – der EU-Richtlinie zur nachhaltigen europäischen Stadt – "und vom urbanen Quartier", kommentiert Hofer, "aber niemand traut sich ran." Als wichtigste Impulse der IBA betrachtet er die "kluge urbane Vernetzung" und dass fast immer Umbau und Verdichtung an die Stelle von Abriss und Neubau treten.

Wie viele Wohnungen sind im Zuge der IBA geplant? Hofer zögert: Eine Bauausstellung könne keine Wohnungsbaupolitik ersetzen, meint er. Immerhin sollen an die 10.000 Wohnungen entstehen und ebenso viele Arbeitsplätze. Aber nicht bis 2027. Allein auf dem EnBW-Areal am Stöckach sind 800 Wohnungen geplant. "Fertigstellung: teilweise bis 2027" steht noch immer auf der Projekt-Website. Daraus wird nichts: Die EnBW pausiert – wegen der Baukosten. "Das wird irgendwann kommen", meint Hofer nur. Eine Übernahme durch die Stadt würde das Vorhaben auch nicht beschleunigen, da Personal und Mittel zur Entwicklung fehlen.

Auch am Nordbahnhof, im Quartier C1/Wagenhalle, wo etwa halb so viele Wohnungen entstehen sollen, wird 2027 noch keinerlei Bautätigkeit zu bemerken sein. Aber die "Maker" der "Maker City", die Künstler:innen und der Stadtacker, sind längst da. Zum Festival gibt es am Sonntag ein umfangreiches Programm mit Stockbrot, Workshops, einer Ausstellung zu den Planungen und Trickfilmen des Künstlers Jörg Mandernach.

Ein weiteres Thema der IBA ist "der Neckar als Lebensraum" – derzeit, so die IBA-Website, eher "ein technischer Kanal". Die IBA will Zeichen setzen. Die Künstlerin Caroline Meyer-Jürshof beschäftigt sich mit Baken. Baken sind Seezeichen, von Weitem zu sehen. Beim Projekt "Wohnen am Fluss in Untertürkheim" steht ihre Bake allerdings im Hinterhof, ein Workshop fand nur begrenzt Zulauf. Anders als das Neckarbädle bei Cannstatt, hervorgegangen aus dem Mombachbädle eines IBA-Nachwuchswettbewerbs. Auch wenn man auf dem alten Prahm des Wasserstraßen- und Schiffahrtsamts noch nicht schwimmen konnte, fand das Projekt bei strahlendem Sonnenschein großen Anklang.

Schoettle-Areal erstmals zugänglich

Stillstand herrscht auf dem Schoettle-Areal im Stadtteil Heslach, obwohl das Statistische Landesamt längst ausgezogen ist. Am Samstag macht die Initiative den Bau erstmals zugänglich. Über den Grundstücksdeal sind sich Stadt und Land einig. Dennoch geht es nicht voran, erklärt Hofer, weil sie sich auf ein Gesamtpaket geeinigt haben, zu dem auch die Gebäude gehören, die derzeit von der Uni genutzt werden. Und die will nicht raus, weil sie anderswo Sanierungsbedarf hat und Ausweichquartiere braucht.

Im Projekt Blütengarten in Backnang dagegen ist bereits vor zwei Jahren ein Probehaus aus Holz, Lehm und Stroh erbaut worden. Im Dezember wurde das Wohnprojekt für 25 bis 35 Bewohner:innen unter die vollwertigen IBA-Projekte aufgenommen. Und schon im kommenden Jahr sollen die ersten Wohnungen bezugsfertig sein.

Der Kesselhof in Stuttgart-Botnang ist sogar schon seit drei Jahren fertig. In einer teuren Wohnlage, am Fuß des "Millionenbuckels", konnten Karin Eizenhöfer und Thomas Becker wider alle Wahrscheinlichkeit das zweite Stuttgarter Projekt unter dem Dach des Mietshäuser-Syndikats realisieren (Kontext berichtete). Heute leben 15 Erwachsene und drei Kinder unter den Dächern der ehemaligen Wäscherei.

Christa Barron und Tim Weinert gehören zu denen, die sich vor drei Jahren quasi ins gemachte Nest gesetzt haben.

Barron, Mutter von zwei Kindern, sagt, sie könnte es nicht besser getroffen haben. Wenn sie frühmorgens zur Arbeit geht, muss sie nur jemand finden, der die Verantwortung übernimmt. Ihre Kinder kennen es gar nicht anders. Sie leben in einem interessanten Haus: "ein Fuchsbau", sagt Barron. Treppen in alle Richtungen, überall Hochbetten im Gebälk, ein Labyrinth, 550 Quadratmeter groß, davon 200 Quadratmeter Gemeinschaftsräume.

Zwischen fünf und 69 Jahre alt sind die Bewohner:innen. Sie wechseln sich ab mit dem Einkauf, haben einen Putzplan, einmal die Woche Hausversammlung und teilen sich eine große Küche und einen angrenzenden Raum mit einem großen Tisch. Aber jede:r kann tun und lassen, was er oder sie will. Wenn sie für ihre Kinder das Mittagessen zubereitet, kommt der eine oder andere vielleicht gerade erst zum Frühstück, berichtet Barron.

Wie immer beim Mietshäuser-Syndikat, zahlen die Bewohner:innen Miete an eine GmbH, die je zur Hälfte einem eigenen Hausverein, zur anderen dem Syndikat gehört. Sie beträgt knapp zehn Euro warm pro Quadratmeter und wird langfristig, wenn die Kredite in 15 Jahren einmal abbezahlt sind, sogar noch sinken. Bezahlbar, gemeinschaftlich, ökologisch: ein vorbildliches Wohnprojekt, dem in Esslingen das Projekt Alternatives Wohnen (AlWo) nacheifert, während der Neue Norden in Stuttgart noch eine Nummer größer denkt, aber bisher vergeblich auf ein bezahlbares Grundstück hofft.

Zum IBA-Festival-Programm gehtꞌs hier.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!