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Wohnquartier Kleineschholz, Freiburg

Kein Geld für alternatives Wohnen

Wohnquartier Kleineschholz, Freiburg: Kein Geld für alternatives Wohnen
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In Freiburg entsteht ein neues Baugebiet, errichtet von gemeinwohlorientierten Akteuren. Ob daraus ein Vorzeigequartier wird, hängt auch davon ab, ob die Landesregierung endlich mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau steckt.

Die Bagger rollen bereits im Freiburger Neubaugebiet Kleineschholz. Wenige Meter vom neuen Rathaus entfernt – dem ersten öffentlichen Netto-Plusenergiegebäude der Welt – soll ein Stadtquartier mit Vorbildcharakter entstehen. Nicht nur im ökologischen, sondern auch im sozialen Sinne.

Martin Horn (parteilos) hatte in seiner ersten Rede als Freiburger Oberbürgermeister angekündigt, in diesem Baugebiet komplett auf gewinnorientierte Investoren verzichten zu wollen. Letztlich durften sich allerdings nicht nur gemeinwohlorientierte Akteure bewerben, sondern auch Unternehmen, die Mitarbeiter:innenwohnungen errichten wollen.

Rund 500 Wohnungen werden hier, wo zuvor Kleingärten waren, einmal entstehen. Mindestens die Hälfte sollen Sozialwohnungen sein. Diese Vorgabe gilt in Freiburg für alle Neubaugebiete. Investoren umgehen diese Sozialquote gerne, indem sie von einer Ausnahmeregelung Gebrauch machen und Teilflächen an die Stadt abtreten.

Am 1. Juli endete die erste Bewerbungsrunde für das neue Viertel. Knapp 30 Projektgruppen bekundeten ihren Willen zu bauen. Über das große Interesse freut sich OB Horn: "Wir gehen hier neue Wege für bezahlbaren und sozialen Wohnraum und das kommt an."

Auch Helma Haselberger und Hubert Hoffmann haben ihren Hut in den Ring geworfen. Hoffmann ist Vorstand der kleinen Genossenschaft Esche, die sich extra gegründet hat, um in Kleineschholz zu bauen. Haselberger ist aktiv beim alternativen Bauverein "Wem gehört die Stadt?", der Projektgruppen betreut, die nach dem Modell des deutschlandweiten Verbunds Mietshäuser Syndikat bauen wollen. Zudem ist sie Teil der Projektgruppe EOS1 (Elinor-Ostrom-Siedlungsprojekt 1), die selber ein Haus im neuen Quartier errichten will.

Die beiden stehen am Rand der Baustelle und zeigen, wo "ihre" Häuser einmal entstehen sollen. Trotz der großen finanziellen Herausforderungen strahlen sie durchaus Optimismus aus.

Sozialer Wohnungsbau? Ja, bitte!

"Zu solch hohen Quadratmeterpreisen können wir nicht bauen", sagt die Vorstandsvorsitzende der Familienheim Genossenschaft Anja Dziolloß. Zudem könne man die Vorgabe von 50 Prozent gefördertem Sozialwohnungsbau nicht einhalten. Familienheim ist eine von drei großen Freiburger Genossenschaften. Die anderen zwei – der Bauverein Breisgau und die Heimbau – machen ebenfalls einen Bogen um Kleineschholz. Hubert Hoffmann glaubt, die großen Genossenschaften wollten sich nicht auf langjährige Sozialbindungen festlegen lassen. Und sie würden lieber auf Grundstücken bauen, die ihnen schon gehören und bei denen es weniger Auflagen durch den Bebauungsplan gibt, ergänzt Haselberger. Sie verteidigt die Sozialquote, weil das Problem nicht gelöst werde, "wenn wir jetzt wieder nur teure Wohnungen bauen".

Die Freien Wähler hingegen wollen im Gemeinderat debattieren lassen, ob Baugenossenschaften nicht von der Auflage, 50 Prozent Sozialwohnungen errichten zu müssen, befreit werden sollten.

Dass die Mieten in neuen Baugebieten extrem hoch sind, sobald es keine städtebaulichen Vorgaben gibt, zeigt ein Blick auf das Freiburger Güterbahnhofsareal: Bereits 2018, als das Mietniveau noch niedriger war, fingen die Mieten hier bei 15 oder 16 Euro pro Quadratmeter an. Gerade klassische Investoren bauen ohne Vorgaben nicht im mittleren Preissegment, sondern versuchen, das maximal Mögliche an Profit herauszuholen.

Für Kleineschholz kalkulieren allerdings auch Mietshäuser Syndikat und Esche Mieten mit etwa 15 Euro pro Quadratmeter in den "freifinanzierten", also mit eigenen Mitteln und ohne Steuerbegünstigungen erworbenen Wohnungen. Grundstückspreise, Baukosten und Zinsen sind gestiegen.

"In der Esche gilt das Kostenmietenprinzip, nicht das Marktmietenprinzip. Nicht, was der Markt hergibt, ist das Ziel, sondern Mieten, welche die Kosten decken und eine langfristige Nutzung ermöglichen", schreibt die Genossenschaft Esche auf ihrer Homepage. Auch beim Mietshäuser Syndikat, das in Freiburg gegründet wurde und mittlerweile bundesweit knapp 200 Projekte umfasst, ist die Grundidee: Häuser auf Dauer dem Immobilienmarkt entziehen.

Um die Kosten für die späteren Mieter:innen nicht zu hoch werden zu lassen, planen beide Akteure, sich auch bei den freifinanzierten Wohnungen an den Größenvorgaben für den sozialen Wohnungsbau zu orientieren. Dieser sieht für eine Person bis zu 45 m² und für jede weitere Person pro Haushalt zusätzliche 15 m² vor. Wird wie hier barrierefrei gebaut, darf es etwas größer sein. "Wenn ich weniger Quadratmeter bezahlen muss, wird es günstiger", erklärt Hoffmann die einfache Rechnung. Zudem wird Platz gespart und der ökologische Fußabdruck pro Person ist geringer.

Freifinanzierte Wohnungen soll es bei EOS1 von Helma Hasselberger allerdings gar nicht viele geben. In dem Projekt, das nach der US-amerikanischen Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom benannt ist, die sich mit der nachhaltigen Bewirtschaftung von gemeinschaftlich genutzten Ressourcen (Allmenden) auseinandergesetzt hat, sollen später rund 30 Wohnungen Platz finden. EOS1 plant mit 67 Prozent Sozialwohnungen. Auch Hubert Hoffmann überlegt, ob die Esche die Sozialwohnungsquote von 50 Prozent nicht noch übertreffen und 60 Prozent der geplanten 60 bis 70 Wohnungen nach Richtlinien des sozialen Wohnungsbaus errichten sollte. Das müssten letztlich die aktiven Genossenschaftsmitglieder entscheiden.

Für den Bezug einer sozial geförderten Wohnung ist ein Wohnberechtigungsschein notwendig. In Baden-Württemberg sind die Einkommensgrenzen dafür sehr hoch. Bis zu 55.250 Euro darf beispielweise ein Ein- oder Zwei-Personen-Haushalt im Jahr verdienen. Die Miete in den entsprechenden Wohnungen sollen bei Esche und EOS1 bei knapp 10 Euro pro m² liegen – wenn denn alles klappt, denn die wichtigste Finanzierungsquelle beim Bau von Sozialwohnungen macht Haselberger und Hoffmann durchaus Sorgen.

Baukosten auf Generationen verteilen

Ende Juni gab die baden-württembergische Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen Nicole Razavi (CDU) bekannt, dass das Bewilligungsvolumen für das Programm des Landes zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Höhe von 580 Millionen Euro bereits jetzt mit Anträgen voll ausgeschöpft sei. In der zweiten Jahreshälfte ist im Ländle also kein Geld für den Bau von so dringend benötigten Sozialwohnungen mehr vorhanden. "Das macht uns natürlich Angst, dass da zu wenig Geld drin ist und es jeweils jedes Jahr ganz schnell ausgeschöpft sein könnte und wir dann vielleicht nicht mehr zum Zug kommen," sagt Haselberger. Ohne die zinslosen Kredite der Landesbank dürften die angestrebten Projekte von Mietshäuser Syndikat und Esche nicht finanzierbar sein.

Selbst wenn die Kredite zur Verfügung stehen, gibt es Konditionen, die das Bauen verteuern. 2016 betrug der Tilgungssatz bei den Landesbankkrediten, also der Teil des Kredits, der pro Jahr zurückgezahlt werden muss, ein Prozent. Mittlerweile liegt er bei zwei Prozent. Allein der höhere Tilgungssatz würde die späteren Mieten deutlich erhöhen, sagt Haselberger. Schon 2023 forderten Projekte im Mietshäuser Syndikat aus mehreren Städten sowie die Esche und die Dachgenossenschaft "Wohnen für alle" Freiburg in einem offenen Brief an die Landesregierung, die Tilgung wieder auf ein Prozent herabzusetzen. Diesem Wunsch will man allerdings nicht entsprechen. Ein sachgerechter Tilgungssatz, so das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen auf Kontext-Anfrage, sei Voraussetzung für eine hinreichend schnelle Entschuldung. Das Ministerium sieht ein Risiko der finanziellen Überforderung. "Bei einer nur einprozentigen Tilgung kommt man rein finanzmathematisch auf Tilgungszeiträume von um die 80 Jahre."

"Die Landesregierung hat da komplett die Denke der profitorientierten Immobilienwirtschaft übernommen", ärgert sich Haselberger, "die uns in den letzten 30 Jahren in die Situation, in der wir jetzt sind, geführt hat." Ihr Konzept ist ein anderes: Die hohen Anfangskosten mit dem Kauf des Grundstücks und dem Bau des Hauses sollen auf viele Generationen verteilt werden. "Es soll nicht die erste Generation das Haus abbezahlen und die Nächsten dann für umsonst drin wohnen. Es sollen alle bezahlbar wohnen können, und das auf Dauer."

Konkurrenten mit einem gemeinsamen Ziel

Die anfänglichen Kosten sind tatsächlich enorm. Das Grundstück, auf das sich EOS1 beworben hat, kostet über 3,6 Millionen Euro. Haselberger geht davon aus, dass Grundstückskauf und Bau des Hauses über 17 Millionen Euro verschlingen werden. Die Esche rechnet sogar mit 26,5 Millionen. Selbst wenn EOS1 den Zuschlag erhalten sollte und das Geld von der Landesbank fließt, bleibt die Finanzierung ambitioniert. Etwa fünf Millionen Euro als Direktkredite müssten laut Haselberger eingeworben werden.

Dass sich neben EOS1 noch vier weitere Initiativen aus dem Mietshäuser Syndikat beworben haben, macht die Sache nicht einfacher. Es könnte durchaus sein, dass mehrere Projekte aus dem Syndikat zum Zuge kommen. Dann müssten sie parallel um Direktkredite werben und Menschen im eigenen Umfeld und darüber hinaus davon überzeugen, dass ihr Wohnprojekt, bei dem in diesem Fall das Haus noch gar nicht gebaut ist, eine sinnvolle Geldanlage ist. In Kleineschholz könnte die Herausforderung besonders groß sein, da mehr Geld benötigt wird als bei früheren Syndikatsprojekten.

Neben dem Syndikat brauchen auch Akteure wie die Esche, die neue Genossenschaftsmitglieder oder Anteilseigner:innen sucht, viel Geld. "Es ist im Prinzip der gleiche Markt, auf dem wir grasen", sagt Hoffman. Trotz der offensichtlichen Konkurrenzsituation geben Haselberger und Hoffman nicht nur gemeinsam Interviews. Über Jahre haben sie zusammengearbeitet und mit ihrem Know-how weitere Gruppen unterstützt, um sie davon zu überzeugen, Teil des neuen Stadtquartiers zu werden. Sie eint der Wille, dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Dass es dafür nicht nur eigenes Engagement, sondern auch mehr Unterstützung vom Land als bisher braucht, weiß auch die Freiburger Stadtverwaltung. Auf Kontext-Anfrage betont sie, sie setze sich gegenüber der Landesregierung für die Weiterentwicklung des Landeswohnraumförderprogramms ein und habe zuletzt am 27. Juni im Austausch mit Staatssekretärin Andrea Lindlohr (Grüne) auf die Forderungen des Mietshäuser Syndikats verwiesen. Ob das hilft, bleibt abzuwarten. Es geht um nichts weniger als darum, zu zeigen, dass wenigstens im Kleinen Auswege aus der Wohnungsmisere möglich sind.

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3 Kommentare verfügbar

  • Ferdinand W.
    am 07.08.2024
    Antworten
    Wenn man das hiesige Landesförderprogramm einmal mit denen anderer Bundesländer vergleicht, wird es schnell ziemlich peinlich. Und das nicht nur in Anbetracht der Wirtschaftlichkeit des Bauens, nein, auch die Aspekte der Nachhaltigkeit wurden von der Landesregierung leider völlig vernachlässigt. Wie…
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