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Wohnprojekte in Karlsruhe

Der weiße Fleck auf der Karte

Wohnprojekte in Karlsruhe: Der weiße Fleck auf der Karte
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Nicht nur angesichts stetig steigender Mieten erfreuen sich gemeinschaftliche Wohnprojekte immer größerer Beliebtheit. Allein das Freiburger Mietshäusersyndikat vereint fast 200 Projekte bundesweit. Doch eine baden-württembergische Großstadt fehlt noch im Verbund – trotz einiger Initiativen vor Ort.

Als sich Viktoria Blesch 2016 von Freiburg nach Karlsruhe aufmachte, ging ihr erster Blick bei der Wohnungssuche auf die Internetseite des Mietshäusersyndikats. Nichts zu finden. "Ich konnte das nicht glauben und habe dem Mietshäusersyndikat gleich geschrieben." Doch tatsächlich, auch heute gibt es in Karlsruhe noch kein Projekt des aus Freiburg stammenden Syndikats, das derzeit bundesweit 184 Haus- und Wohnprojekte im Bestand hat. Die Idee: Durch den gemeinschaftlichen Erwerb von Häusern sollen Objekte dem traditionellen Immobilienmarkt entzogen werden und langfristig bezahlbar bleiben.

Damit der Wohnraum dauerhaft kollektives Eigentum bleibt, gründet sich bei jedem Projekt ein Verein der designierten Mieter:innen. Der wiederum gründet zusammen mit dem Mietshäusersyndikat in Freiburg eine GmbH. Ein späterer Verkauf oder eine Umwandlung kann nur mit Zustimmung beider Parteien erfolgen. Wie und zu welcher Miethöhe Wohnungen vergeben werden und andere organisatorische Entscheidungen liegen allein beim jeweiligen Verein der Mieter:innen.

Tatsächlich befinden sich die Preise, die solche Projekte für die Nutzung ihres Wohnraums verlangen, meist deutlich unter den ortsüblichen Vergleichsmieten. Das inspiriert zur Nachahmung: Nach Angaben des Mietshäusersyndikats befinden sich aktuell 17 Projektinitiativen im Aufbau. Eine der größten Herausforderungen ist es allerdings, eine geeignete – und vor allem finanzierbare – Immobilie zu finden.

So auch in Karlsruhe. Als Viktoria Blesch im Zuge ihres Umzugs bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft nach einer großen Wohnung für einen noch nicht bestimmten Kreis an Personen fragte, lautete die Antwort: "Da brauchen Sie sich keine Hoffnungen zu machen." Aufgeben wollte sie trotzdem nicht. Mit der Initiative "Soleika" wollen sie und Gleichgesinnte ein größeres Wohnprojekt unter dem Dach des Mietshäusersyndikats jetzt selbst in die Hand nehmen. Bereits vor sechs Jahren hat sich die Gruppe bei einer Informationsveranstaltung gefunden und umfasst heute etwa 40 Personen – und es ist lange nicht die einzige Gruppe, die mit dem Modell sympathisiert.

Bedürfnis nach gemeinschaftlichem Wohnen

Die große Begeisterung für die Projekte erklärt Jochen Schmidt vom Mietshäusersyndikat mit jahrzehntelangen Fehlern in der Wohnungspolitik, "daher gibt es Bedarf nach Organisationen wie uns." Es sei aber nicht nur die finanzielle Not, die Menschen in Wohnprojekten zusammenführe. Schmidt spürt deutlich ein wachsendes Bedürfnis nach gemeinschaftlichem Wohnen jenseits des Einfamilienhauses. "Das war früher eine Spezialthema für Linke und Hausbesetzer:innen. Jetzt ist es in die Mitte in die Gesellschaft gerückt."

In Karlsruhe versucht eine ganze Reihe von Initiativen neue Wohnprojekte zu realisieren. Unter den Namen Gewoka, Okapi, Soleika, RüWeiDa oder WoPro suchen sie nach geeigneten Grundstücken. Die größten Hoffnungen setzen sie dabei auf das städtische Entwicklungsgebiet "Zukunft Nord" in der Karlsruher Nordstadt. Eines der Baufelder soll als "Experimentierfeld" explizit auch Genossenschaften und Baugemeinschaften zur Verfügung stehen. Erst im vergangenen Jahr hat der Gemeinderat die Absicht der Grundstücksvergabe an Wohnprojekte mit einem Beschluss noch einmal bekräftigt. Doch dieser politischen Festlegung folgten bislang keine Taten, klagen die Initiativen.

Es geht allenfalls schleppend voran

"Die Stadt sollte endlich in die Gänge kommen", sagt Bernhard Reinkurz von der Karlsruher Wohnprojektinitiative Okapi: "Keiner weiß, wann und wie die Vergabe erfolgen soll. Das nervt auf Dauer." Um den Druck zu erhöhen, haben sich die fünf Projektinitiativen in einer Vernetzungsgruppe zusammengeschlossen, die sich für eine bessere und schnellere Umsetzung der Vergabe einsetzt. Seit Monaten bemühe sich Reinkurz um einen Termin im Rathaus, aber auch auf mehrmalige Rückfragen habe es keine Rückmeldung gegeben. "Wir wissen nichts zur konkreten Umsetzung. Es ist kein Ablauf zum Ausschreibungsverfahren bekannt."

Auch auf Kontext-Anfrage gibt sich die Stadtverwaltung zurückhaltend. "Stand heute kann noch keine zeitlich belastbare Aussage getroffen werden, wann bebaubare Flächen ausgeschrieben werden." Es seien noch mehrere Faktoren wie die Teilerschließung und Umlegung der Grundstücke zu klären. Den Karlsruher Wohnprojekten geht das zu langsam. "Wir sind viele Leute, die viel Freizeit reinstecken, um nachfolgenden Generationen etwas zu geben", sagt Michael Faenck von GeWoKa. Ihm fehle es an Wertschätzung, hinzu käme "das Gefühl, dass wir nicht richtig ernst genommen werden". Die Verwaltung stellt das anders dar: "Die Stadt Karlsruhe unterstützt die Bemühungen für neue innovative Wohnformen und gemeinschaftliches Wohnen."

Blesch kennt solche Erklärungen zu gut: "Niemand sagt, es wäre eine schlechte Idee. Alle sind eher positiv, aber es ist die Frage, ob es bei Lippenbekenntnissen bleibt." Die Kommunikation mit der Stadtverwaltung erinnere sie an den Passierschein A38 aus den Asterix-Comics: Hier treibt das bürokratische Hin und Her die beiden Protagonisten um ein Haar in den Wahnsinn. In anderen Städten, führt Blesch aus, gebe es eine eigene Ansprechperson für gemeinschaftliche Wohninitiativen. Auch dadurch seien in Heidelberg in den vergangenen Jahren vier Projekte des Mietshäusersyndikats entstanden. In Karlsruhe sollte es ebenfalls klare Strukturen geben, findet sie. "Das Versprechen des Oberbürgermeisters Frank Mentrup nach einem Ansprechpartner ist nicht eingelöst worden", kritisiert auch Bernhard Baldas von der Wohninitiative RüWeiDa. "Das Liegenschaftsamt und das Stadtplanungsamt arbeiten nicht miteinander." Dies führe beispielsweise dazu, dass ein Flyer zur Konzeptvergabe zwar längst fertig, aber immer noch nicht freigegeben sei.

Unfreiwillige Expansion

"Die Umsetzung von Wohnprojekten hängt total vom politischen Willen ab", ist eine Erfahrung, die Schmidt vom Mietshäusersyndikat gemacht hat. Selbst Großstädte mit besonders angespanntem Immobilienmarkt, etwa Hamburg oder München, stellen die Syndikatsprojekte auf eine Stufe mit Genossenschaften und anderen Trägern. Dadurch würden unter anderem neue Fördermöglichkeiten entstehen. "Wir würden uns ein erstes Projekt in der Stadt sehr wünschen", sagt er mit Blick auf Karlsruhe. Es habe bislang aber auch zu wenige Versuche von Initiativen in der Stadt gegeben. Denn die meisten Initiativen enden ohne eigenes Haus. "Viele Ideen werden nichts, nur jede dritte Gruppe kann ihr Projekt verwirklichen", sagt Schmidt.

Freiburg weit vorne

Anzahl der Mietshäusersyndikat-Projekte in großen Städten Baden-Württembergs:

23 in Freiburg,
8 in Tübingen,
4 in Heidelberg,
4 in Mannheim,
2 in Stuttgart,
1 in Heilbronn,
1 in Konstanz,
0 in Karlsruhe. (kau)

Der große Zuwachs an Interessen in den vergangenen Jahre fordere die Strukturen des Syndikats sehr. "Ich weiß nicht, ob wir das Wachstum schon bewältigt haben", sagt Schmidt. Eigentlich sei man als regionales Projekt für Freiburg angetreten, um dort bezahlbaren Wohnraum zu sichern. "Wir wollten gar nicht so expansiv werden und wurden eher genötigt." Viele Initiativen wollten das erfolgreiche Modell aus dem Breisgau in ihren Städten übernehmen. Die Schellingstraße in Tübingen war das erste Projekt außerhalb Freiburgs. Schnell kamen auch in Berlin Mietshäusersyndikatsprojekte hinzu, heute gibt es sogar welche in den Niederlanden, Österreich und Spanien.

Doch die steigenden Baukosten und Zinsen machen auch Schmidt Sorgen. "Wir haben die gleichen Probleme wie der ganze Immobilienbereich. Der Wohnungsbau ist fast zum Erliegen gekommen. Wir haben eine gute Zeit gehabt, aber jetzt wird es schwieriger."

Kein Zeitplan der Stadt

Auch bei den Karlsruher Wohnprojektinitiativen wachsen die Sorgen durch die steigenden Kosten. Eine klare und ehrliche Kommunikation von Seiten der Stadt sei umso dringender, meint Blesch."Wenn wir nicht zum Zuge kommen, dann soll man uns das sagen", sagt Faenck von GeWoKa, die im Gegensatz zu den anderen Initiativen auf ein Genossenschaftsmodell für das geplante Wohnprojekt setzen. "Beide Rechtsformen fördern gemeinschaftliches und demokratisches Wohnen", sagt Faenck. Mit solchen Projektträgern habe die Verwaltung bislang kaum zu tun gehabt. "Der Verkauf an Investoren ist für Karlsruhe der einfache Weg, aber wenn man nur mit Investoren zusammenarbeitet, entsteht kein lebendiger Stadtteil."

In der Stellungnahme der Stadtverwaltung klingt das verblüffend ähnlich: "Projekte gemeinschaftlichen Wohnens sind ein wichtiger Bestandteil bei der Durchmischung der Wohnquartiere und bieten die Möglichkeit städtebaulich wertvollen Konzepten Raum zu geben." Doch bei der Umsetzung und der Ausschreibung bereitet sie schon mal auf eine "gewisse zeitliche Dimension" vor. Konkretere Angaben machte die Stadt nicht. Mit zunehmender Dauer fehlt Baldas immer mehr das Verständnis. "Andere, auch kleinere Städte zeigen, dass sich Wohnprojekte gut realisieren lassen. Wenn die Stadt wollte, könnte man viel machen. Karlsruhe ist auf dem Feld ein Entwicklungsland."


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