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IBA'27

"Es fehlt an Fantasie und Mut"

IBA'27: "Es fehlt an Fantasie und Mut"
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Sie ist Architektin, Stadtplanerin und Projektleiterin der IBA'27, der Internationalen Bauausstellung Stadtregion Stuttgart 2027. Und sie macht keinen Hehl daraus, dass es ihr zu langsam vorangeht. Raquel Jaureguízar über visionären Weitblick, feministische Planung und ihre Rolle als Psychologin.

Frau Jaureguízar, ist die Projektleiterin der IBA'27 manchmal verzweifelt über den schneckenmäßigen Fortschritt der IBA-Projekte?

Wir haben viele tolle Projekte in der ganzen Region – und in vielen Fällen geht es auch gut voran. Ich bin daher sehr zuversichtlich, dass wir bis in vier Jahren in vielen Projekten gebaute Häuser zeigen können, die echte Vorbilder sind für eine zukunftsfähige Stadt. Aber Sie haben natürlich auch recht: An manchen Stellen geht es langsam, zu langsam voran.

Vor allem hier in Stuttgart. Woran liegt's?

Das ist nicht nur ein Stuttgarter Phänomen: Die langen Planungsabläufe werden im ganzen Land und von vielen Seiten bemängelt. Das hat unter anderem mit den unfassbar komplizierten und manchmal absurd detaillierten Regularien und Abläufen zu tun. Es ist aber auch eine Frage der Haltung. In Deutschland diskutiert man gerne, oft aber zu lang über Bauprojekte. Das ist auf der einen Seite natürlich eine demokratische Stärke, es macht die Abläufe aber auch träge. Es braucht auch in guten demokratischen Prozessen gute Führung und den Willen, Verantwortung zu übernehmen. Und gerade bei Leuten, die nur für ein paar Jahre gewählt sind, fehlt manchmal der Weitblick. Ich nenne es das Stuttgarter Kesselsyndrom.

Sie nennen es fehlenden Weitblick. Mir scheint, es braucht jemanden, sei es der Baubürgermeister oder der OB, die stadtplanerische Visionen haben.

Ich will niemanden persönlich angreifen. Aber Weitblick brauchen wir alle in unserer Profession. Wo wollen wir hin, wie wünsche ich mir die Stadt der Zukunft? Diese Frage ist wichtig, und dabei ist auch träumen wichtig. Wenn Sie mir diese Frage stellen, würde ich antworten: Wir brauchen weniger profitorientierte Stadtentwicklung, sondern eine, die die Menschen in den Fokus rückt.

Ein bisschen Leidenschaft wäre auch nicht schlecht. Womöglich hat man da mit Thomas Bopp als Vorsitzenden der Regionalversammlung einen, der wirklich Interesse an der IBA hat und an den Projekten in der Region. Dort jedenfalls scheint es schneller voranzugehen.

Die Projekte kommen unterschiedlich voran, das ist richtig, aber Stadt oder Region: Da würde ich keinen großen Unterschied machen. Wir haben auch in der Landeshauptstadt Vorzeigeprojekte, die genossenschaftlichen Wohnprojekte in Rot und Münster etwa. Oder ganz neu im Netzwerk der IBA ist die Weiterentwicklung des Klett-Areals im Westen. Da sind Leute mit großer Leidenschaft dran – wie auch in der Region, bei der Neckarspinnerei in Wendlingen etwa. Und mit dem Tobias-Mayer-Quartier gibt es auch in Esslingen ein starkes Beispiel für innovativen, bezahlbaren Wohnraum. Eine städtische Wohnungsbaugesellschaft arbeitet zusammen mit einer Baugruppe, die eine Vision von Wohnen hat, von alternativem Wohnen, deshalb nennen sie sich "AlWo 1". Die wollen gemeinsam genutzte Räume sowie bezahlbaren Wohnraum schaffen und mit nachhaltigen Baumaterialien arbeiten. Dieses Haus soll in Zusammenarbeit mit dem Miethäusersyndikat entstehen.

Und in Stuttgart wird immer noch über das Züblin-Parkhaus diskutiert.

Wie gesagt: Manche Projekte kommen zügiger voran als andere, und manches – in Stuttgart und der Region – ist auch etwas zäh. Beim Züblin-Parkhaus haben wir tatsächlich viel Zeit verloren. Nächstes Jahr kommt ja nun aber die Konzeptvergabe und wir hoffen auf gute Umsetzungsideen. Neben Visionen und Träumen einer lebenswerten Stadt braucht es dafür auch eine Portion Pragmatismus. Stuttgart ist eine starke Region und es gibt hier tolle Architekt:innen. Ich bleibe also zuversichtlich.

Zur Person

Als Raquel Jaureguízar in den 1980er-Jahren geboren wurde, öffnete sich Spanien nach der totalitären Franco-Zeit. "Deine Welt endet nicht an der Grenze zu Frankreich, die Welt ist deins", gab ihr der Vater mit auf den Weg. Die Tochter betrachtete es als Auftrag. Nach dem Besuch der Internationalen Schule in Madrid studierte sie Architektur und Stadtplanung in Madrid und in Hannover und arbeitete in verschiedenen internationalen Büros in Madrid, Paris, Hannover und Stuttgart.

Heute lebt die Frau mit dem baskischen Namen und der Liebe zur deutschen Sprache mit Sohn und Mann in Stuttgart, wo sie auch promoviert hat. "Die Basken und die Schwaben haben viel gemeinsam", sagt die 37-Jährige. Schaffen gehöre dazu und die Liebe zu gutem und deftigem Essen: "Die Linsen und Spätzle heißen im Baskenland Thunfisch mit Kartoffeln."  (sus)

Sie sind eine von elf Projektleiter:innen bei der IBA. Was genau ist Ihr Job?

Wir machen unglaubliche Dinge (lacht). Wir begleiten die Projekte intensiv, stellen unbequeme Fragen, sind eine Beratungs- und Inspirationsstelle. Wir vernetzen die Leute miteinander. Wenn ein Projekt einen Brandschutzexperten braucht, dann greifen wir auf unser Netzwerk zurück und gucken: Wo sind die guten Leute? Denn der Erfolg jedes Projekts hängt davon ab, welche Personen daran sitzen. Wir müssen auch teilweise Paartherapie machen. Wenn es klemmt, dann übernimmt die Projektleitung die Moderation. Was ich gelernt habe auf diesem spannenden Weg: Je früher du die Leute an einem Tisch zusammenbringst, desto reibungsloser läuft die Projektentwicklung. Wir Projektleiter:innen sind also auch eine Art Soziolog:innen und Psycholog:innen.

An welchem Projekt hängt Ihr Herz?

Ich habe hier in Stuttgart promoviert über deutsche und spanische soziale Siedlungen der klassischen und Nachkriegsmoderne, unter anderem über die Weißenhofsiedlung. Die wird in unserem Ausstellungsjahr 100 Jahre alt und ist der Anlass für die Durchführung IBA'27 in Stuttgart. Deshalb hängt mein Herz besonders an der Weißenhofsiedlung. Die Brenzkirche spielt dabei eine wichtige Rolle. Mit dem großartigen Entwurf aus dem Wettbewerb, den wir im Sommer entschieden haben, geht es da jetzt auch voran. Die Abstimmung mit den Denkmalschutzbehörden war ein langer, nicht so einfacher Prozess, aber wir haben einen konstruktiven Weg gefunden.

Sie haben in Paris und Madrid studiert und gearbeitet. Sie kennen Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, die die Autos aus der Stadt geworfen hat und das Seine-Ufer den Menschen zurückgegeben hat. Sie kennen Barcelona, wo die Vize-Bürgermeisterin Janet Sanz ganze Stadtquartiere menschenfreundlich umgestaltet. Wo steht im internationalen Bereich die Landeshauptstadt auf der Skala von 1 bis 10?

Ich merke, dass es in den deutschen Städten, auch in Stuttgart, an vielen Stellen ein wenig an der Fantasie und am Mut zu großen Schritten fehlt, die es in unserer krisenhaften Zeit jetzt einfach braucht! Ich merke, dass der öffentliche Raum immer als letztes gedacht wird und Bauen und Stadtplanung leider oft getrennt betrachtet werden. In der deutschen Planung machen wir es uns oft viel zu kompliziert. Das ist in Paris oder in Barcelona anders. Paris macht die Dinge super, da würde ich neun von zehn Punkten vergeben, Stuttgart vielleicht fünf.

In Paris und in Barcelona sind an den entscheidenden Stellen Frauen. Die haben einen anderen Blick auf die Stadt. Brauchen wir eine feministische Stadtplanung, wie sie die kanadische Geographieprofessorin Leslie Kern fordert und in ihrem Buch "Feminist City" darlegt?

Janet Sanz in Barcelona macht das vorbildlich mit ihren Superilles, wo ganze Stadtteile vom Verkehr befreit, begrünt und mit öffentlichen Plätzen ausgestatten werden. Die Stadt bzw. den Stadtteil menschlicher machen, schauen, dass es Plätze gibt, wo man sich trifft. Und auch, dass man auch an so banale Dinge denkt wie Toiletten, die sauber, sicher und gut zu erreichen sind. Dass man mit Kinderwagen nicht Slalom fahren muss, weil die Autos alles zuparken. Ich würde das eine menschenfreundliche Stadtplanung nennen. Ja, wir brauchen diesen weiblichen, den feinfühligen, feministischen Blick.

Dazu müssen auch die Stimmen der Anwohner:innen gehört werden. Was wollen die von ihrem Viertel? In Barcelona wurde das gemacht.

Ja, das ist der Ansatz von Barcelona. Die führen tatsächlich diese Befragungen durch: Wie sieht die Mobilität aus? Was sind die Probleme mit dem Verkehr? Was wird gewünscht? Natürlich auch geprägt von einer Stadt der kurzen Wege, dass ich in 15 Minuten alle wichtige Infrastruktur erreichen kann, Kindergarten, Läden, Ärzte. Und dann kann man gemeinsam eine Lösung finden, vielleicht auch mal experimentieren. Es muss ja nicht die ganze Stadt umgebaut werden. Aber so nach und nach, mit kleinen Projekten kann man auch große Schritte machen. In Barcelona hat Janet Sanz als zweite Bürgermeisterin die feministische Stadtplanung umgesetzt.

Wem würden Sie in Stuttgart als kleine Anregung das Buch von Leslie Kern in die Hand drücken?

(lacht) Sicher den Spitzenköpfen in den Rathäusern und auch ein paar Investor:innen. Womöglich würde ich eine freundliche Widmung reinschreiben und das ganze mit einer Pralinenschachtel überreichen. Wir brauchen Freundlichkeit im Umgang miteinander, das Einander-Zuhören, auch mehr Empathie. Und wir brauchen auch Träumer. Bei der Umsetzung hilft dann auch eine Portion Pragmatismus, den Frauen oft mehr haben als Männer. Vor wenigen Tagen war ich in Köln zu einem Vortrag in der Fachhochschule. Dort gab es auf der Toilette einen Zettel, auf dem stand: "Wenn Sie plötzlich Ihre Menstruation bekommen haben, machen Sie sich keine Sorgen. Beim Waschbecken finden Sie kostenlose Binden und Tampons." Auch das bedeutet eine menschenfreundliche Stadt.

Sie leben und arbeiten jetzt seit elf Jahren in Stuttgart, sind seit 2018 Projektleiterin bei der IBA. Wie sieht Ihre Vision, Ihr Traum von der Landeshauptstadt aus?

Auf jeden Fall wäre das eine Stadt mit weniger Autos, dafür gäbe es menschenfreundliche Straßen mit mehr Grün. Und mehr Wasser in der Stadt. Ich habe Monate gebraucht, bis ich kapiert habe, dass der Neckar ganz nah ist, aber leider nicht zugänglich. Und dann wäre in meiner Traumstadt auch die Liebe zu Schönheit da, zu schönen Gebäuden. Stuttgart wäre eine produktive Stadt, in der Wohnen und Arbeiten nicht getrennt sind. Wir sind doch immer glücklich, wenn wir nach Italien oder Frankreich reisen und die tolle Altstadt sehen, die dicht ist und laut und gemischt, mit Händlern in den Straßen und Blumentöpfen auf den Balkonen, und die Leute sind draußen und reden miteinander. Stuttgart braucht eine Mediterranisierung. Das ist meine Überzeugung. Und mein Traum.


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2 Kommentare verfügbar

  • Petra
    am 23.11.2023
    Antworten
    Ich bin begeistert von den Ideen, auch dem feministischen und mediterranen Ansatz. So stelle ich mir meine Stadt idealerweise vor.
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