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Rotlichtarchitektur

Sex in the City

Rotlichtarchitektur: Sex in the City
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Oh là là, diese Architektinnen und Architekten: Zur Diskussion über Bauten für die älteste Sache der Welt hat der BDA-Landesverband am Montagabend geladen. Es ging um Bordelle und Schwulensaunen – in der Architektur und in Stuttgart.

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"Jeder denkt ans Eine, doch dafür ist's zu heiß", heißt es in dem Lied "Sex in der Wüste" der Neue-Deutsche-Welle-Band Ideal. Auch der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) denkt – anlässlich des Christopher Street Days – ans Eine und befand, es sei Zeit zu reden über "Sex in the City".

Zwar war es am Montagabend temperaturmäßig nicht mehr ganz so heiß, aber doch ziemlich schwül im IBA-Festivalzentrum in der unteren Königstraße in Stuttgart. Was zum Thema passte. Trotz des reißerischen Titels war die Veranstaltung zwar gut besucht, aber auch nicht merklich besser als sonst die BDA-Wechselgespräche. Immerhin war das Publikum etwas jünger.

Um von hinten anzufangen: Die Stadt – the City – ist der erste Schauplatz der Architektur. Immer geht es um Raum – öffentlichen Raum, private Räume, allemal aber um Räume für Menschen. Und damit auch um menschliche Beziehungen. Aber Sex? Das war durchaus umstritten. "Sind wir noch zu retten?", schrieb ein Architekt im Vorfeld an den BDA-Landesverband: "Wen interessiert schon der Puff???"

Genau hier wird es jedoch interessant. Wie kann es sein, dass ein so zentraler Aspekt menschlicher Verhältnisse bis vor Kurzem, wie es der Architekt Georg Brennecke formulierte, "ein weißer Fleck auf der Landkarte" war? Jedenfalls auf der architektonischen. Brennecke hat sich in seinem Studium in Stuttgart vor gut zehn Jahren im Bereich "Urban Research" mit Rotlichtvierteln beschäftigt, "es gab dazu nichts, keinerlei Untersuchungen."

"Nachtclubs, Eroscenter, Laufhäuser und Bordelle, Swingerclubs, Klappen und Schwulensaunen", so hatte der BDA die Veranstaltung angekündigt, "jede Stadt hat ihre erogenen Typologien. Ganze Straßenzüge und Stadtviertel werden davon geprägt." Aber: "Trotzdem beschäftigen wir uns als Architekten und Architektinnen nur wenig mit diesen Räumen – überlassen Planung und Gestaltung gern anderen Akteuren."

Nicht einmal "der Neufert" weiß irgendetwas von Bordellen und Nachtclubs. "Der Neufert" ist ein Standardwerk der Architektur. In der erstmals 1936 erschienene Bauentwurfslehre normierte der Architekt Ernst Neufert alles: Treppenstufenlänge und -breite, Geländerhöhen, Größe des Wohnzimmers, des Kinderzimmers, der Küche, des Bades und so weiter. Er war die wesentliche Grundlage aller Planungen der Nachkriegszeit. Auf der Einladungskarte zum Sex-in-the-City-Abend waren Piktogramme des Kollektivs "The Queer Architect" abgebildet, die nach Art des Neuferts den Raumbedarf für verschiedene Positionen des Gay Sex darstellten. Herausfordernd schrieben die Einladenden: "Machen Sie sich schon mal frei."

Bordelle sind gerade im Sperrbezirk beliebt

Vorneweg: Niemand hat sich an diesem Abend seiner Bekleidung entledigt. Aber vielleicht von gewohnten Vorstellungen ein wenig Abstand genommen. Das Thema ist, wie der niederländische Architekt, Architekturtheoretiker und Kurator Bart Lootsma am Ende hervorhob, außerordentlich komplex. Von den in der Ankündigung angesprochenen Typologien kamen tatsächlich nur das Bordell und die Schwulensauna zur Sprache und von dort ausgehend, etwas weniger eindeutig, große Techno-Clubs.

Prostitution und Sexgewerbe konzentrieren sich in bestimmten Bereichen, fiel Brennecke und Kommiliton:innen auf: in Stuttgart etwa im Leonhardsviertel. Er fand dafür zwei Gründe: Zum einen kreisten die Freier seinerzeit gern im Auto um das Züblin-Parkhaus, bevor sie sich für eine Prostituierte entschieden. Zum anderen werde das horizontale Gewerbe "zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstands" reguliert. Zu diesem Zweck gibt es Sperrbezirke, in denen keine Prostitution stattfinden darf, wobei, Ironie der Geschichte, gerade das Leonhardsviertel gänzlich innerhalb eines solchen Sperrbezirks liegt.

Dieselbe Erfahrung hat Renate Ruhne in Frankfurt gemacht. Die Soziologin hat zur Prostitution im dortigen Bahnhofsviertel ein Buch geschrieben. Es zählt wie der Stadtteil Sachsenhausen zu den Sperrgebieten, und doch ist ein Teil davon wichtigstes Zentrum des käuflichen Sex. Ob es eigentlich rechtskonform sei, wenn Frauen der Zutritt zu solchen Orten verwehrt werde, wollte eine Zuhörerin wissen. Ruhne sagte, das sei eine Grauzone. Sie selbst sei einfach hineingegangen in die Laufhäuser, bis die Prostituierten sie hinauskomplimentiert hätten: "Anständige Frauen stören das Geschäft."

Für Ruhne stellt sich die Frage, ob die Logik der Ausgrenzung, der Beschränkung der Prostitution auf bestimmte Gebiete, nicht auch die Vorstellungen von diesem Gewerbe negativ prägt. In den Rotlichtvierteln ist der käufliche Sex unübersehbar, allerdings nur in Form stereotyper Leuchtreklame, blinkender Herzen und Neonschriftzügen wie "Girls Girls Girls". Laufhäuser, Drogenkriminalität und Beschaffungsprostitution befänden sich oft in räumlicher Nähe. Eine starke Polizeipräsenz und häufige Kontrollen suggerierten Gefahr, von der niemand weiß, ob sie überhaupt existiert.

Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle wies darauf hin, dass das Leonhardsviertel auch ein "brutaler Immobilienmarkt" sei. Wenn ein Zimmer für 150 Euro am Tag vermietet werde, erzielten die Hausbesitzer fast den zehnfachen Gewinn gegenüber einer Wohnvermietung. Und mit der barocken Bausubstanz werde "schändlich umgegangen", meinte sie: Baumarkt-Türen statt schöner alter Details. Ruhne hatte andere Erfahrungen: In Frankfurt hätten die Bordellbesitzer eher zum Erhalt der Altbauten beigetragen.

Von der Schwulensauna bis zum Berghain

Die beiden anderen Beiträge zeigten, dass sich käufliche Hetero-Sexualität und homosexuelle Begegnungsräume auf ganz anderen, in vieler Hinsicht entgegengesetzten Ebenen bewegen. Die Schwulensaunas, die Lootsma anhand der Masterarbeit seines Studenten Jan Kapsenberg vorführte, waren keine blinkenden Rotlicht-Etablissements, sondern unscheinbare Häuser in der verregneten ländlichen Provinz der Niederlande.

Sie sind immer ähnlich aufgebaut: Den Anfang macht eine runde Bar, damit jeder dem anderen in die Augen sehen kann. Kleine Tischchen erlauben wie unbeabsichtigt Berührungen der Knie. Nischen zum Zurückziehen und schließlich Duschen mit Sitzbänken helfen, einander näher zu kommen. Eine gezielte Choreographie führt vom hellen Licht der Blickkontakte zu den Darkrooms, wo sich die Intimität abspielt.

Nahtlos daran schloss Thomas Karsten an, Architekt aus Berlin, der mit seiner Frau Alexandra Erhard vor zwanzig Jahren im ehemaligen Fernheizwerk Friedrichshain den angesagten Techno-Club Berghain eingerichtet hat. Zwar wird im Berghain in erster Linie das ganze Wochenende über getanzt. Aber die Toiletten sind nicht nur zum Urinieren da. Der Architekt bezeichnete das Berghain als Safe Space, primär gay, aber heterofreundlich. Stolz stellte er den Club für 2.000 Personen in dessen architektonischen Details vor, wobei die Regel "fotografieren verboten" auch für das Abfotografieren der Bilder, die er zeigte, zu gelten habe.

Eine "strenge Tür" trennt die Innenwelt von der Außenwelt, gefolgt von Garderoben, der Tanzfläche, über eine neu eingebaute breite Treppe erreichbar, bis hin zur Panoramabar oben mit Blick auf Berlin. Zwei weitere Lokalitäten stellte Karsten vor: die Schwulensauna "Boiler", ebenfalls in Berlin, und einen großen Club, den sein Büro nach einer "mysteriösen Mail aus Kiew" in der ukrainischen Hauptstadt gebaut hat, mit so spektakulären Details wie einem heißen Stein, auf dem man sitzen und nach oben in den Regen schauen kann. 2019 eröffnet, dann kam Corona, dann kam der Krieg.

Einen großen Club wie das Berghain zu planen, sei mit präzisen Anforderungen verbunden, erläuterte Karsten: breite Fluchttreppen; eine gut organisierte Logistik mit entsprechend großen Räumlichkeiten; eine Atmosphäre zum Wohlfühlen, in der man sich, auch in angeheitertem Zustand, im Dunkel, im Nebel, intuitiv gut orientieren kann.

Auch das Rotlichtmilieu braucht Architektur

Sollen Architekt:innen sich jetzt also mehr Puffs und Schwulensaunen widmen? Das ist längst der Fall. Vier Teams waren am Innenausbau des Paradise beteiligt, des größten Bordells im Raum Stuttgart in Leinfelden-Echterdingen, wusste Kienzle. Lootsma verwies auf das renommierte Architekturbüro UN Studio, das das Mercedes-Benz-Museum entworfen hat. Weil in Amsterdam auch infolge des Drogentourismus' die Belästigung von Frauen stark zugenommen hat, plane das UN Studio nun einen Komplex am Stadtrand, in den der Rotlichtdistrikt ausgelagert werden soll.

Homo- und heterosexuelle bauliche Typologien, wie sie in dem Gespräch vorgestellt wurden, zeigen nicht nur äußerlich sehr unterschiedliche, gegensätzliche Merkmale. Schwulensaunas und Clubs sind Orte freiwilliger Begegnung, die sich selbst von der Umgebung abgrenzen, um sich gegen homophobe Angriffe von außen zu schützen. Bordelle dagegen bieten käuflichen Sex, mit allen damit verbundenen ökonomischen Zwängen, Abhängigkeiten und Geschlechterhierarchien. Sie werden stadträumlich von der Gesellschaft ausgegrenzt.

Warum das so ist, dazu konnte Renate Ruhne eine interessante Beobachtung beisteuern. Historisch, so analysierte sie, entstanden Rotlichtviertel parallel zur bürgerlichen Geschlechterordnung. Sie seien – darin wiederum mit den Clubs und Schwulensaunas verbunden – Orte des Anderen gegenüber der bürgerlichen Moral. Anders also als der Sex im elterlichen Schlafzimmer, der über die Maße des Ehebetts (zwei mal zwei Meter) in die Normung des Neufert Eingang gefunden hat. Auch wenn so getan wird, als werde da nur geschlafen.


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