Sie wollen mit Schreier und Körner zusammen Kienzle und Nopper ausstechen?
Nö, ich erwarte, dass ich vor Kienzle liege, das ist ja völlig klar.
Interessant.
Dann könnten wir uns doch beide überlegen: Wir wollen auf jeden Fall nicht den Nopper, aber Körner auch nicht. Die konsequente ökologische Wahl bin natürlich dann ich und das wäre dann ja auch konsequent, wenn die Grünen sagen: Okay, sie trauen sich das mit dem Klimaschutz und der Klimagerechtigkeit bis 2030 nicht zu – gestern im Gemeinderat Klimanotstand abgelehnt –, Rockenbauch traut sich's zu. Dann mach doch den echten richtigen Grünen, sprich mich, zum OB. Wäre doch auch 'ne Möglichkeit.
Das ist unbenommen, aber die größten Schnittmengen sehen Sie schon mit den Grünen?
Ja, wobei das beim Ökologischen stimmt. Beim Sozialen ist es schon wieder mit der SPD. Deswegen mache ich Stuttgart ökologisch-sozial. Also in der Wohnungspolitik müssten wir die Grünen echt quälen. Sie sind viel zu zögerlich und zu langsam, was die Frage angeht, dem Wohnungsmarkt muss man die Wohnungen entziehen wegen der Spekulation. Und dass der Boden in kommunale Hand muss und zwar zu einem großen Teil. Also das ist echt schwer mit der Grünen Partei.
Aber sie sagen jetzt zumindest alle, wir müssen wieder den kommunalen Wohnungsbesitzer, den kommunalen Boden stärken ...
Da habe ich 16 Jahre dafür gebraucht. Warum ich sage, die größte Schnittmenge ist nicht einfach automatisch mit den Grünen – das war ja die Frage: Ich bin ja ein Fan der kostenlosen Kita. Da sagen die immer: Aber die Qualität ist doch wichtig. Ich hätte gern beides, und eigentlich braucht's kein Eintrittsgeld, wenn man Bildungseinrichtungen betreibt, und für mich gehört die Kita dazu. Und da gibt's dann wenigstens bei der SPD: Ah, machen wir es mal 50 Euro billiger. Da wären die dann auch näher bei den sozialen Themen als die Grünen. Und ich finde ja, Klimagerechtigkeit muss immer Soziales mit beinhalten. Deswegen bleibt den WählerInnen nix anders übrig, als das Komplettpaket zu wählen.
Wenn Sie Kandidaten oder Parteien in die aus Ihrer Sicht richtige Richtung bringen, ist das schon mal ein Erfolg, ohne dass die gleich zu 100 Prozent übernehmen, was Sie machen.
Absolut. Kommunalpolitik verbessert ja die Lebensverhältnisse konkret. Beispiel: Ich bin für den kostenlosen Nahverkehr. Da will ich hin. Natürlich haben wir auch Anträge gemacht und damit auch Erfolg gehabt, zum Beispiel für ein Sozialticket. Dass wenigstens die, die in Stuttgart die Bonus-Card haben, die Hälfte zahlen und dann freuen wir uns da drüber und da ist vielen Menschen echt viel geholfen. Und wenn wir jetzt für SchülerInnen das 365-Euro-Ticket machen, waren wir auch dabei. Ich habe schon drei- oder zweimal Anträge für das 365-Euro-Ticket für alle gestellt. Leider haben Grüne und SPD, die das jetzt auf ihren Plakaten haben, nie zugestimmt.
Weil zu teuer?
Das müssen Sie die fragen. Die Begründung ist im Endeffekt, das ist zu teuer, wir können es uns nicht leisten. Jetzt ist Wahl, auf dem Wahlplakat ist das schnell und billig gedruckt, aber im Gemeinderat, wo die Fraktionen die Möglichkeit hatten, hatten wir keine Mehrheiten dafür. Es hätte ordentlich Geld gekostet, aber das Geld wäre da gewesen. Wir haben auch in den Jahren bis jetzt zu Corona jeweils solche Rekordhaushalte gehabt, wo wir das locker hätten finanzieren können.
Aber ganz gratis – statt 365 Euro – ist natürlich noch ein ganzes Stück teurer.
Es ist eigentlich das Klügste, denn dann sparen Sie sich das ganze Gerümpel von Kontrollen und Fahrzonen. Da muss man, wenn man als Tourist kommt, erst mal gucken, wie funktioniert das hier eigentlich … All das spart auch Geld und dann finanzieren wir das solidarisch. Und solidarisch heißt, auch der Autofahrer.
Wobei der ja sowieso bislang zu gut wegkommt. Denn was er als Autofahrer anrichtet – kaputte Straßen, Umwelt und so weiter – das wird weder durch Steuer noch durch Benzin refinanziert.
Absolut. 140 Milliarden Euro bundesweit sind das, was an Folgekosten durch den Autoverkehr entsteht. Wenn wir nur die Hälfte des Verkehrs auf die Schiene bringen würden, dann wären es nur noch 70 Milliarden und mit 70 Milliarden können Sie, glaube ich, drei oder vier Mal alle ÖPNV bundesweit kostenlos machen. Und deswegen finde ich das voll gerecht, wenn wir die auch beteiligen.Wenn ich will, dass die Leute das Vernünftig-Ökologische machen, mache ich doch kein Preisschild hin. Da muss ich doch das umsonst machen und nicht das Auf-der-Straße-fahren.
Aber trotzdem muss das Geld irgendwo herkommen, es sei denn, Sie haben eine Druckerei im Keller.
Aber das Geld ist immer da, Herr Siller. Grad´ in Stuttgart.
Der Ausbau des ÖPNV kostet auch noch ein paar Milliarden ...
Das Geld zum Ausbau muss vom Bundes- und Landesregierung dringend an die Kommunen kommen, weil die Kommunen die Hauptakteure in der Transformation von Verkehr und Klima sein werden. Wir haben da den Vorschlag gemacht, dass die Kommunen vom Umsatzsteuerkuchen nicht zwei Prozent kriegen, sondern 15 Prozent. Das wären für Stuttgart 500 Millionen Euro.
Also Bund und Land kriegen weniger?
Wollte ich grad sagen. Gebt den Kommunen das Geld, da ist es eigentlich nie fehl am Platz, weil das geht sofort in ÖPNV, in Schulen, in Kitas, also es geht zu den Menschen. Beim Bund und Land bin ich mir nicht so sicher. Da können die auch Militärausgaben für Trump erhöhen und so was.
Es gibt überall auf der Welt Leute, die was ganz gut machen, und da kann man doch mal hingucken. Wien wird gerne genommen als leuchtendes Beispiel, was das Wohnen und was den Verkehr angeht.
Ich war an der Uni sieben Jahre in Lehre und Forschung. Wir gehen natürlich mit unseren Studenten genau in solche Städte, weil man es am besten begreift, wenn man es vor Ort sieht, mit den Leuten redet und die plötzlich sagen: Doch, wir machen das so. Und dann fragen alle aus Stuttgart: Und das geht so? Ja, das geht, dass die Mieten bei fünf und sechs Euro liegen und wir können damit auch wirtschaften, ja.
Die müssen damit ja auch kein Geld verdienen im Gegensatz zum Investor.
Das stimmt. Deswegen sage ich, Wohnungspolitik ist Angelegenheit der Kommune, die muss damit auch kein Geld verdienen, sondern ordentlich wirtschaften und instandhalten. Nicht so wie die SWSG, die es verrotten lässt und dann sagt man: Oh, jetzt muss man's abreißen. Sie müssen sich vorstellen, Herr Siller, wir haben 1,35 Milliarden Euro momentan in Festgeld. Geld, das wir aus unterschiedlichen Gründen in der Stadt gerade nicht verschaffen können oder als Sparkässle für die Zukunft. Das wird jeden Tag weniger. Minuszinsen, Inflation. Da denke ich: Ei, da kann man was in erneuerbare Energie stecken, damit verdient man Geld. Mit Wohnen kann man zumindest wirtschaften, allgemeinwohlorientiert. Man muss den Schalter umlegen und nicht zuerst ans Geld denken. Ich habe acht Jahre Schuster erlebt und Kuhn und wir haben die Steuerung des Gemeinwesens immer über den Haushalt gemacht, über das Geld. Das ist der Fehler. Ich glaube, wir würden viel größere Erfolge haben, wenn wir erst über ökologische und soziale Fragen, übers Gemeinwohl nachdenken. Dann brummt es hier, es macht Spaß, die Lebensqualität und das mit dem Klima stimmt. Und dann rechnet sich das volkswirtschaftlich auf lange Sicht, wenn man mal über diesen blöden Doppelhaushalt hinausdenkt, in zehn Jahren spätestens. Da kommen die Klimafolgekosten, wenn wir jetzt nicht handeln.
Die nächste Frage kann ich mir eigentlich sparen, weil ich weiß was dabei rumkommt, aber ich muss sie trotzdem stellen. Glauben Sie immer noch daran, dass S 21 in dem, was die Planer wollen, verhindert werden kann?
Das ist die falsche Frage.
Wie hätte ich denn fragen sollen?
Glaubt die Bahn AG noch dran? Ich glaube daran, dass es notwendig ist, dass wir eine Denkpause machen, weil wir sehen, dass die Bahn AG täglich Zweifel am eigenen Projekt hat. Jetzt wollen sie da noch mehr Tunnel bauen, dann doch wieder nicht Tunnel bauen, dann wieder die Gäubahn unterirdisch einbinden, Deutschlandtakt funktioniert nicht. Wenn wir in so einem Schlammassel drin stecken, sollten wir alles, was war, an Kämpfen vergessen. Das Heute angucken und sagen, okay, was sind die Optionen? Dazu braucht man kurz eine Denkpause. Eine Option: Wir machen Umstieg und nutzen was Gebautes, oder wir modernisieren oben. Oder wir machen eine Kombivariante. Das mal alles nebeneinander und dann von heute betrachtet. Was kostet die eine Option, was bringt sie für den Verkehr, fürs Klima? Das sollten wir durchanalysieren. Ich glaube, wenn wir das machen würden, dann würden wir als Bevölkerung und als Bahn AG merken, dass wir da dringend was anderes machen müssen als das, was planfestgestellt und gerade durchgezogen wird. Von heute ausgehend, wird es günstiger, ökologischer und meiner Meinung nach sogar schneller sein, als das Jetzige zu tun.
Wir haben damit angefangen, dass Sie ein Aktivist sind und Sie waren schon Aktivist als Sie noch Jugendlicher waren. Sie haben ja zwei Töchter. Geht's denen ähnlich oder gibt es da einen Generationenkonflikt?
Na ja, die Kleine ist drei und die Große ist acht Jahre alt.
Okay, das ist noch schwierig.
Da sind die noch Papafans und finden das lustig, wenn der Papa in der Stadt rumhängt. Ich muss schon sagen, die Kinder radikalisieren mich auf eine Art und Weise. Ich denke jetzt an die Spielplätze und die Sicherheit: Ich kann die eben nicht einfach zum Spielplatz gehen lassen. Da ist eine Straße, da ist kein Überweg, und ich habe jedes Mal dieses Bild vor Augen: Kopf von der Dreijährigen und fast auf der gleichen Höhe fahren die Auspuffe vorbei mit Feinstaub und was weiß ich, was da alles rauskommt. Das ist ein blödes Bild und das will ich echt gern ändern.
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Martina Klauser
am 29.10.2020