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Rechte Rohrkrepierer

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"Die Daten sind nicht sehr erfreulich", sagt Bernd Gögel. Wie so oft liegt der Landes- und Fraktionschef der AfD total daneben. Denn: Die Daten sind sehr erfreulich. Seine Partei würde, wäre jetzt Landtagswahl, ein Drittel ihrer Wählerschaft von 2016 verlieren.

Die Aktion hat Chancen, auf der Liste rechter Rohrkrepierer einen Spitzenplatz zu erobern. Im Saarland wollte die AfD, seit 2018 drittstärkste Kraft im dortigen Parlament, die eigenen Verschwörungstheorien zum Thema Gewaltkriminalität von Ausländern mit Fakten stützen. Zunächst ließ sich Fraktionsvize Rudolf Müller vom Innenministerium ein Lagebild "Stichwaffen- und Messervorfälle" erstellen. Zwischen 2016 und April 2018 wurden danach 842 Täter mit deutscher Staatsbürgerschaft ermittelt. Dann verlangte der frühere Lehrer, deren Vornamen publik zu machen, offensichtlich in der Erwartung, in dieser Statistik würden eingebürgerte Muslime versteckt.

Inzwischen steht die Hitliste im Netz, und republikweit hagelt es Hohn. Der "Volksverpetzer" etwa verspottet die Anfrage als "totalen Reinfall". Denn von Modeerscheinungen wie Kevin oder Justin abgesehen, ist kein einziger dort auftauchender Vorname nicht von guter alter deutscher Art. Im Saarland lebende und zu Messerstechereien neigende Männer heißen nicht Ali oder Yussuf oder Branko, sondern Michael, Daniel und Andreas. "Ihr habt einfach einen an der Waffel", schreibt ein Kommentator auf Facebook, "und es ist gut, dass das endlich auch immer mehr Leute merken." Neueste Umfragen stützen diese Einschätzung, auch für Baden-Württemberg. Im Südwesten haben bei der Landtagswahl vor drei Jahren 15,1 Prozent oder 810 000 Menschen die Völkischen gewählt. Noch im vergangenen September ermittelte Infratest dimap wiederum denselben Prozentanteil. In Halbjahresfrist ist er mittlerweile auf elf gesunken.

Noch wichtiger: Auch in den drei Ländern im Osten, in denen im kommenden September Landtage gewählt werden, ist der Trend zur angeblichen "Alternative für Deutschland" rückläufig. In Sachsen kam das Institut IM Field eben erst auf noch immer viel zu hohe 18 Prozent, aber immerhin fünf Punkte weniger als im Dezember. Carsten Hütter, der frühere Unteroffizier, der zehn Jahre in der CDU war und bei der Bundestagswahl dem damaligen Innenminister Thomas de Maizière beinahe den Wahlkreis Meißen abgenommen hätte, reagierte per Facebook auf den Abschwung: Mit einer Umfrage, die bei genauerem Hinsehen als vorgezogener Aprilscherz enttarnt wird, aber eben nur bei genauerem Hinsehen. 32 Prozent kriegt danach derzeit die AfD, 25 Prozent die CDU, 14 Prozent die Linke, elf Prozent die SPD, sieben die Grünen und sechs die FDP. Woraufhin übrigens sich 170 Kommentatoren zu Wort meldeten und davon mindestens vier Fünftel in Jubel ausbrachen – anstatt stutzig zu werden. 

AfD im Abwärtstrend

In Brandenburg liegt die AfD nach Höchstständen von 23 Prozent inzwischen bei 19. In Thüringen – Bodo Ramelow (Die Linke) führt mit SPD und Grünen eine Dreier-Koalition an – hat die AfD schon mal an der Dreißig-Prozent-Marke gekratzt. Weil auch dieser Wert schrumpft, werden Dreier-Konstellationen der demokratischen Parteien wieder realistisch. In Hamburg, wo 2020 gewählt wird, würde die AfD nach heutigem Stand aus der Bürgerschaft fliegen. In Bayern zerlegt sich die rechte Truppe schon sechs Monate nach dem Einzug ins Maximilianeum, immer dem Muster entsprechend, das sich schon in so vielen Parlamenten gezeigt hat: Am Rand des politischen Spektrums sind Fanatismus und Einäugigkeit so ausgeprägt, dass sich der daraus resultierende Mangel an Kompromissbereitschaft über kurz oder lang gegen die eigenen Leute richtet. Deshalb sind auch im Freistaat die Umfragen so bemerkenswert schlecht und einstellig.

Für den Abschwung in Baden-Württemberg, ermittelt vor wenigen Tagen von Infratest dimap, hat Gögel seine Gründe rasch gefunden: "Die Debatten über eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz und das Spendenthema tragen nicht dazu bei, dass die Bürger mehr Vertrauen in die AfD entwickeln." Tatsächlich wird in nicht repräsentativen Umfragen im Netz immer wieder der ungeklärte Geldfluss aus der Schweiz thematisiert, vor allem an die Bundestagfraktionsvorsitzende Alice Weidel in ihrem Wahlkreis Konstanz und an den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen.

Viele AfD-Plätze auf den Kommunalwahllisten bleiben leer

Laut "Stuttgarter Zeitung" hat sich der Spitzenkandidat für die Wahl zum Europaparlament im baden-württembergischen Landtagswahlkampf 2016 helfen lassen "von Alexander Segert, dem deutschen Chef der Schweizer Werbeagentur Goal Ag". Die Unterstützungsleistungen im Wahlkreis – Flyer, Plakate, möglicherweise die Website – sind nach Einschätzung des Begünstigten selber allerdings keine Parteispenden im Sinne des Parteigesetzes. "Ist es nicht ein wenig erstaunlich, dass zu Beginn des Wahljahres 2019 zunächst die Verfassungsschutzkeule gegen die AfD geschwungen wird, und nachdem sich dieser Versuch als lächerlich und überdies in Teilen als glatt rechtswidrig erwiesen hat, nun quasi die gesamte Parteispitze der AfD medial zu kriminalisieren versucht wird?", schreibt Meuthen in einer "Klarstellung" auf Facebook. Und weiter: "Könnte es vielleicht sein, dass daran interessierte Kreise eine vor der Europawahl möglichst maximale Rufschädigung der AfD und ihrer Spitzenfunktionäre intendieren? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt ...".

Dabei sind die Aktivitäten der Geheimdienste und genauso wie die dubiosen Geldzuwendungen nichts anderes als Ausdruck von Versagen und finsteren Zuständen in einer Partei, in der zu viele Radikale und zu viele Irrlichter ihre politische Heimat gefunden haben. Eine Erkenntnis, die selbst Verantwortliche umtreibt. Meuthen führt so manchen Landtagsabgeordneten, ohne Namensnennung, unter der Kategorie "durchgeknallt".

Die erstaunlichen Karrieren von nur bedingt geeigneten VolksvertreterInnen sind auch dem hiesigen Landtagswahlrecht geschuldet: Es erlaubt, dass in einem Hinterzimmer ein paar Versprengte einen der Ihren zum Kandidaten aufstellen können, der sich dann ein paar Monate später im Parlament als dem Betrieb, der Komplexität der Themen und nicht zuletzt der eigenen Kollegenschar als nicht gewachsen erweist. Auf den Kommunalwahllisten, die bis Ende März eingereicht werden mussten, sind jedenfalls viele AfD-Plätze leer geblieben. Nicht nur in der Landeshauptstadt ist die Partei heillos zerstritten. In Mannheim wollte der direkt in den Landtag gewählte Rüdiger Kloos Spitzenkandidat zur Kommunalwahl werden – und schmierte mit satten acht von 58 Stimmen ab.

Zum demoskopischen Minus trägt womöglich bei, dass die Partei keine sachpolitischen Erfolge vorweisen kann – und sich dafür auch kaum interessiert zeigt. Wichtiger ist AfD-Parlamentariern, die Tonlage zu verschärfen und andere Parteien dazu zu bringen, sich mehr oder weniger klammheimlich da oder dort AfD-Positionen anzunähern. So soll die eigene Wählerschaft bei der Stange gehalten werden. Darüber hinaus sind auf klassischen Politikfeldern nur Leerstellen. Der Klimawandel wird einfach geleugnet und mit selten dämlichen Parolen verbrämt, etwa die Stuttgarter AfD mit "Müslizwerge proben den Aufstand".

AfD flutet Ministerien mit manisch hingepinselten "Kleinen Anfragen"

Kein finanzierbares Rentenkonzept, keine arbeitsmarktpolitischen Vorstellungen unter dem Eindruck der Digitalisierung, die gesellschaftspolitischen Ideen sind ohnehin von vorvorgestern und in der Bildungspolitik machen Schlagzeilen bestenfalls immer nur Aufreger. Erst neulich hat sich Stefan Räpple wieder einmal danebenbenommen, diesmal im Schulausschuss. "BAAAAAMM! Leck-o-mio, gab das ein Gewitter", beschreibt er die Szene im Netz, "Volltreffer ins Schwarze, ins offensichtlich schlechte Gewissen, der linksgrüne Bildungsideologen, deren Laissez-faire-Kuschelpädaogik nur bildungslose und überforderte Schlaf-Schafe produziert." Da erntet er sogar in der eigenen Community die Aufforderung zur Mäßigung.

Immerhin 13 Gesetzentwürfe hat die Fraktion in drei Jahren erarbeitet. Allerdings fehlt es an Seriosität: Entweder sind sie nicht durchgerechnet oder bloße Blaupausen von Vorlagen aus anderen Ländern. Oder sie sind schlicht und einfach überflüssig, wie der Versuch, mit einem zusätzlichen Staatsbürgerschaftsnachweis neben dem Pass "dem grundgesetzlichen Postulat Rechnung zu tragen, dass lediglich im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit befindliche Einwohner (...) Wahlrecht haben". Geradezu manisch hingegen werden "Kleine Anfragen" an die Landesregierung gepinselt. Einzelne Ministerien sind derart geflutet, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann sich schon mit Überlegungen trägt, wie die Zahl dieser Art parlamentarischer Anfragen begrenzt werden könnte. Die Antworten der Regierung finden sich für gewöhnlich auf Facebook wieder, sind für die jeweiligen Wahlkreise aber in der Regel gänzlich irrelevant.

Der von der ewigen Selbstbespiegelung verstellte Blick, kombiniert mit der verzerrten Wahrnehmung – siehe Messerattacken und deren angeblicher explosionsartige Anstieg –, eröffnet den konkurrierenden Parteien neue Möglichkeiten. Aus dem demoskopischen Baden-Württemberg-Trend mit einem Vier-Punkte-Minus geht auch hervor, dass gut ein weiteres Viertel der AfD-WählerInnen ansprechbar ist für die demokratischen Parteien. Es äußert sich zufrieden mit der Arbeit der Landesregierung. Und fast ein Fünftel gibt sogar den Grünen ordentliche Noten, Tendenz steigend.

Wenn die zahlreichen Analysen richtig sind, dass ein Teil der Bürgerschaft nur aus Protest nach ganz rechts abgerutscht ist, wäre jetzt, kaum mehr zwei Monate vor den Europa- und Kommunalwahlen, eine gute Gelegenheit, mit den Rückholaktionen gerade im prosperierenden Südwesten zu beginnen. Denn noch zwei Zahlen überraschen: 79 Prozent der AfD-AnhängerInnen schätzen die wirtschaftliche Lage im Land als gut ein. Und nicht weniger als 37 Prozent würden bei einer Direktwahl Winfried Kretschmann ihre Stimme geben. 


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2 Kommentare verfügbar

  • Volkherr Zwey
    am 03.04.2019
    Antworten
    Wahltag ist Zahltag. Und nicht der 1. April 2019.
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 11 Stunden
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