Äh. Nö. Sorry. Keine Sekunde des Teasers rechtfertigt die Aufregung. Der Video-Ausschnitt verursacht lediglich eines: ein richtig mieses Gefühl. Man ist ekelhaft berührt von diesen Bildern, die man aus zahlreichen Dokus, Filmen und Museumsbesuchen kennt. DAS ist der Trigger: Derartige Bilder evozieren Gefühle von Wut, Traurigkeit, Horror, Ekel, und Mitgefühl, wie es kaum andere Bilder können. Vielleicht sogar Scham. Sie sind der Inbegriff des Bösen. Eine nie verblasste Erinnerung daran, dass Deutschland einmal das beschissenste Land der Welt war. Und ruft irgendetwas diese Erinnerung wach - auch noch in Form eines Kulturprodukts einer kontroversen Band – weiß niemand recht damit umzugehen.
Dabei sind Rammstein musikalisch gesehen eigentlich vollends wurscht. Wer sich ein bisschen mit deutscher Popkultur auskennt und nicht ganz malle ist, könnte irgendwann in den vergangenen gut 20 Jahren mal festgestellt haben, dass Rammstein zwar massenkompatible Marsch-Metal-Disco machen, aber weder Grauzone, noch Faschos sind. Als dem Nischen-Musikgenre "Neue Deutsche Härte" zugehörig, bedienten sie sich schon immer der Leni-Riefenstahl-Ästhetik – ohne dabei irgendwelche Nazi-Inhalte zu verbreiten. Über diese Ästhetik hinaus gibt es keinerlei Anhaltspunkte, dass die Band irgendwelches rechtes Gedankengut verwurstet oder propagiert. Kann man geil finden. Muss man aber nicht. Warum sie Ästhetik aus der Nazi-Zeit reproduzieren? Weil's funktioniert. Millionenfach. Immer noch. Ihre kommende Tour wird wieder Stadien füllen. An manchen Orten sogar zweimal hintereinander. Fertig. Das wegzudiskutieren ist lächerlich. Aber ebenso interessant.
Ob man "so was darf", ist keine Kategorie
Rammstein triggern wunderbar auf allen Ebenen der Medienwelt – und dieses Phänomen ist viel interessanter als die Band selbst. Nach derselben Logik müsste man auch diskutieren, ob man Hemden im Stil von Hugo Boss "noch" tragen "darf", weil das Label mal Uniformen für die SS und die Hitlerjugend geschneidert hat. Und das weiß die Berliner Band. Deshalb tut sie es. Ob man "so was darf" ist keine Kategorie, in der eine Rezeption stattfinden kann. Die einzige Frage, die zu stellen ist: Wie geht man mit diesen Bildern in der Kunst um? Sie kategorisch abzulehnen hieße, sie zu verdrängen und aus dem Kunstbetrieb und kollektiven Gedächtnis auszuschließen, weil "zu schlimm" und nur in Form von institutionalisierten Museumsbesuchen "richtig". Sie sind jedoch da und machen etwas mit uns. Immer noch.
Dabei unterscheiden sich Rammstein ganz klar von "Künstlern" wie etwa dem Rapper Kollegah, der sich unbestritten antisemitisch, homophob und frauenfeindlich in seinen Texten äußert. So was "geht nicht". Ganz klar. Aber das tun Rammstein nicht und haben es nie getan. Sie reproduzieren eine archaische Ästhetik, die auch die Nazis nicht "erfunden", aber zu nutzen gewusst haben. Man könnte es cleveres Marketing nennen.
Die ewige Diskussion um Rammstein und der immer gleiche Vorwurf ist ein Paradebeispiel dafür, dass die deutsche Kultursphäre samt "Experten" nach wie vor keinen souveränen Umgang mit Kunstprodukten hat, die sich an Nazi-Themen abarbeiten. Da brennen sofort Drähte im Experten-Hirn durch, die es verhindern, progressive Diskussionen über Ästhetik, Psychologie, Kunst, Politik und Moralempfinden voranzutreiben. Das darf man nicht. Das soll man nicht. Das geht nicht. Basta. Deutscher geht's nicht.
Viel wichtiger und ertragreicher wäre eine Diskussion über das, was auf der Seite der RezipientInnen passiert. Was in uns passiert, wenn wir Kunst- und Kulturprodukte konsumieren und bewerten, die Nazi-Themata triggern? Vielleicht ist es heilsamer, die dunklen Stellen unserer eigenen Herzen aufrichtig zu erforschen, statt ständig nach außen auf Bilder projizieren? Deutschland hatte schon vor dem "Dritten Reich" ein Antisemitismus-Problem – genauso wie viele andere Länder. Solange das nicht Geschichte ist, ist es da und muss an uns genauer betrachtet werden als in Musikvideos. Rammstein erinnern uns daran – ob sie das wollen oder nicht. Es gibt viel zu tun.
Epilog
Das eigentliche Musikvideo zu "Deutschland" ist durch die Explosion über dem Teaser nicht annähernd so leidenschaftlich besprochen worden, wie es besprochen hätte werden müsste. Das ist sehr schade, denn es ist eine geniale und unfassbar aufwendige Kino-Produktion zwischen Tarantino-Film, Rapvideo und Sci-Fi-Bombast, an dessen Ende eine schwarze Frau als Germania über alle weißen Männer triumphiert. Muss man gesehen haben.
2 Kommentare verfügbar
Valerie Solanas
am 03.04.2019