Schwer kann es ein Gedanke in unser Bewusstsein schaffen, der in der Sprache keinen Ausdruck findet. Wenn ein bestimmtes Verhalten oder Denken also vermieden werden soll, liegt es nahe, dass man nicht darüber spricht, dem Gedanken seinen Ausdruck entzieht und somit ein Tabu kreiert. Denn spricht man aus, was nicht sein darf, wird das Unerwünschte real.
Um dies zu vermeiden, werden neue, stellvertretende Beschreibungen erfunden, die von Satire oftmals nicht zu unterscheiden sind. Das gilt für religiöse Tabus genauso wie für gesellschaftliche und politische. Jüngst sprach Kellyanne Conway, die Beraterin des neuen US-Präsidenten Donald Trump, von "alternativen Fakten" statt einer Lüge, als bekannt wurde, dass ein anderer Trump-Sprecher nachweislich gelogen hatte, was die Besucherzahlen bei Trumps Amtseinführung betraf. "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten" – davon könnte auch Conway schon gehört haben. Doch wie der liebe Gott zu Euphemismen steht, ist leider nicht überliefert.
Rechtsphilosophisch sind "alternative Fakten" totaler Schwachsinn: Ein Faktum wird nicht wahr oder falsch, weil es sich jemand so wünscht. Trotzdem liegen Euphemismen voll im Trend, weil eine präzise Sprache gefährlich ist. Die deutsche Linguistin Elisabeth Wehling landete mit ihrem Buch "Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht" im vergangenen Jahr einen Volltreffer, weil sie präzise aufzeigt, wie Wortschöpfungen dazu dienen, unsere Sicht auf Tatsachen zu manipulieren.
Euphemismen manipulieren unser Denken
Begriffe wie "armutsgefährdet", "sozial schwach" und "Geringverdiener" sind solche Worte. Sie wurden erfunden, um vordergründig gegen die Stigmatisierung "arm" zu wirken. Doch die Vermeidungswörter verschlimmern die Lage der Bezeichneten, sie suggerieren Eigenverantwortung und wälzen politische Zuständigkeiten auf das Individuum ab. Menschen, die nicht aus eigener Kraft Geld zum Leben erwirtschaften können, gelten oft als "bildungsfern", sind schwach, verdienen Geringes – nichts Anderes suggerieren diese Armuts-Euphemismen, die ein selbstverantwortetes Schicksal vorgaukeln. Würde man das Kind beim Namen nennen und "arm" sagen, müsste man auch über "reich" nachdenken, über ungerechte Verteilung, über Vermögens- oder Einkommenssteuer. Doch viel bequemer ist es, von Gewinnern und Verlieren zu sprechen, die in der "freien Marktwirtschaft" die Schmiede ihres eigenen Glückes sind.
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Zaininger
am 27.01.2017