Da steht er am Rednerpult, der SPD-Kanzlerkandidat mit dem Kassengestell auf der Nase, den ewigen grauen Anzügen, der roten Krawatte. Und er müht sich durch sein ihm völlig entglittenes Leben. Geschubst von miserablen BeraterInnen, längst ohne Biss und Durchsetzungskraft, aber immer weiter unterwegs, mechanisch winkend, nur noch selten lächelnd, in Wahrheit am Rande seiner körperlichen und mentalen Kräfte. Sebastian Schäfer bewegt sich wie Schulz, redet wie Schulz, leidet wie Schulz, lässt den Sarkasmus des Ex-Bürgermeisters von Würselen aufblitzen, sogar in größter Not. Was Schulz wohl sagen wird, wenn er sich dem 150-Minuten-Stück demnächst durch persönliches Erscheinen aussetzt?
Christof Küster, der künstlerische Leiter, Regisseur und Autor dieser Bühnenfassung der "Schulz-Story", hat jedenfalls Erfahrung mit gefallenen Heroen. 2013 holte er im Stuttgarter Theaterhaus mitten im Schlussapplaus Jürgen Schneider auf die Bühne. Der Baulöwe, der in den Neunziger Jahren Milliarden veruntreut hatte und dann hinter Gittern verschwand, musste weinen, nachdem er sich "Doktor Utz oder die wundersame Läuterung des Jürgen Schneider" zu Gemüte geführt hatte. Küster war gerührt, weil Schneider so gerührt war. Dem Gefühlsmenschen Martin Schulz wird es, wenn er dem Sechs-Personen-Stück über Hype und Höllenfahrt eines Hoffnungsträgers wie versprochen die Ehre gibt, kaum anders gehen.
Markus Feldenkirchen hat den persönlichen Aufschlag bereits hinter sich. Der "Spiegel"-Autor, der in Talkshows so smart und redegewandt rüberkommt, weiß nach der gelungenen Premiere kaum umzugehen mit seinem Stolz, der Verlegenheit und damit, sich selber zugeschaut zu haben. Moritz Brendel spielt den Chronisten, der zugleich Erzähler ist und für die Verknüpfung der vielen rasanten Szenen sorgt. Vier AkteurInnen in immer neuen Rollen: Schirin Brendel kann Stewardess und Andreas Nahles und besonders gut Angela Merkel; Gundi-Anna Schick sogar die selten an der Seite ihres Mannes gesehene, so liebevolle Inge Schulz; Boris Rosenberger die sozialdemokratischen Sargnägel Thorsten Albig, Ministerpräsident in Kiel, oder Parteisprecher Tobias Dünow; und Axel Krauße, mal Sigmar Gabriel darstellend und mal Hubertus Heil, personifiziert den Untergang doppelt: Der erste ist gar nicht der Schulz-Freund, den er mimt, und letzterer hat als Wahlkampfmanager reichlich Pannen und Possen, Falschmeldungen und Fehlentscheidungen zu verantworten. Ist dieser Heil nach all den Flops von damals heute wirklich Arbeitsminister?
Dann musste ein eitler Gockel mit seiner neuen Geliebten prahlen
Apropos Verantwortung: Der Niedergang beginnt, auf der Bühne wie in der Realität, im März 2017, als die SPD die erste von drei Landtagswahlen auf dem Weg ins Kanzleramt nicht gewinnen kann. Die fast 30 Prozent im Saarland werden falsch analysiert, nämlich unterbewertet. Deshalb kommt der Höhenflug erstmals leicht ins Trudeln, wovon der sich genauso wie das Team um Schulz nie mehr richtig erholen sollte, der allzu platten Optimismus-Rhetorik zum Trotz.
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