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Nagende Zweifel

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Die Heilbronner Ermittler im Fall Kiesewetter haben unter Tausenden Spuren keinen eigenständigen Hinweis auf die Beteiligung des NSU am Mordanschlag vom April 2007 gefunden. Im Untersuchungsausschuss wird deutlich, dass die offizielle Täterversion nur auf Erkenntnissen der Thüringer Polizei beruht. Und die sind mit größter Skepsis zu betrachten.

"Auf die Polizeibeamtin Kiesewetter und ihren Streifenpartner haben Mundlos und Böhnhardt geschossen", heißt es im Bericht der Ermittlungsgruppe Umfeld, mit deren Einsetzung 2013 SPD-Innenminister Reinhold Gall einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU überflüssig machen wollte. "Belastbare Erkenntnisse zum Tatgeschehen" konnte die Beamten damals nicht vorlegen. Der frühere Leiter der Sonderkommission Parkplatz, Axel Mögelin, wiederholte am vergangenen Montag im Landtag, dass ihm "nichts einfällt", was auf die beiden NSU-Täter hinweist. Ohnehin war er nach dem 4. November 2011, an dem das Terrortrio aufflog, gebremst worden in seinem Ermittlungsdrang.

Für den Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger stand damals schnell fest: "Die Erkenntnisse, die wir jetzt aus Thüringen und Sachsen haben, haben bei mir die Überzeugung begründet, dass wir mit den dort befindlichen Personen, insbesondere mit den Männern, die Gruppe haben, die für den Mord an Michèle Kiesewetter und den Mordversuch an ihrem polizeilichen Begleiter verantwortlich ist." Zu schnell, sagen viele. Dennoch steht die Zwei-Täter-These bis heute. Weil aber viele Indizien nicht wirklich belastbar sind, kommen Untersuchungsausschüsse, Terrorexperten und Kenner der vielen Merkwürdigkeiten an den Tatorten in Heilbronn und Eisenach-Stregda immer wieder auf dieselbe Frage: Ist die offizielle Tatversion die richtige?

Einmalig in der deutschen Kriminalgeschichte

Wolfgang Schorlau, der Stuttgarter Kriminalschriftsteller, der seinen Detektiv Georg Dengler in Sachen NSU ermitteln lässt, hat sie längst beantwortet: "In Eisenach-Stregda zerstört Polizeidirektor Mentzel den Tatort, einen Fiat Camper, in dem sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt angeblich erschossen haben, indem er den Camper mit den beiden Leichen darin im 40-Grad-Winkel gekippt auf einen Laster hochziehen und abtransportieren lässt." Die Leichen, die Gegenstände im Wagen, Waffen, "alles ebenjene Beweisstücke, die im Nachhinein die Mordserie bis hin zu Michèle Kiesewetter erklären sollen – all dies fliegt durcheinander". Diese Zerstörung eines so wichtigen Tatorts durch die Polizei selbst sei in der deutschen Kriminalgeschichte einmalig.

Wie so vieles anderes, mit dem sich der Stuttgarter Untersuchungsausschuss zu beschäftigten hat. Nach Mögelins Aussage rückt die Auffindesituation nach dem Brand in dem NSU-Wohnmobil, in dem auch die Waffen von Kiesewetter und ihrem schwer verletzen Kollegen Martin Arnold gefunden wurden, in den Mittelpunkt der Betrachtung.

Die Lektüre des Protokolls der Erfurter Kolleginnen und Kollegen würde lohnen. Denn im Ausschuss dort, dem zweiten seiner Art, hatten mehrere Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr im Zeugenstand vor einigen Wochen ihre Verwunderung über die Kollegen von der Polizei bekundet. Vor allem darüber, wie sie unmittelbar nach ihrem Löscheinsatz an dem brennenden Wohnmobil in ihrer Arbeit behindert wurden. Zwei der Männer beschrieben, dass sie nach Öffnen der Tür "ein Paar Turnschuhe mit Beinen dran" im Fahrzeuginnern sahen. Ein Beamter habe sie angewiesen, nicht weiter zu löschen, um etwaige Spuren nicht zu zerstören. Die Frage, wieso von einem Toten und nicht von einem Verletzten ausgegangen wurde, blieb ebenso unbeantwortet wie jene zur Suche nach weiteren möglichen Opfern. Denn die hätte eigentlich sofort im Inneren starten müssen. Einer der Männer formulierte den Verdacht, Polizisten könnten bereits vor der Feuerwehr gewusst haben, dass im Inneren des Wohnmobils nur noch Leichen zu finden sein würden.

Ein Nährboden für Thesen bis hin zu der Mutmaßung, sogar die Waffen aus Heilbronn könnten überhaupt erst von Dritten im Wohnmobil deponiert worden sein. Jedenfalls will sich jetzt der Untersuchungsausschuss des Bundestags in seiner zweiten Auflage ebenfalls besonders der Abläufe am 4. November und den Tagen danach annehmen. Nicht zuletzt, nachdem das ausgebrannte Wohnmobil über Nacht nicht in einer bewachten Polizeigarage stand, sondern "in der offenen Halle des Transportunternehmens abgestellt war", so Schorlau. Mit polizeilichen Erfordernissen sei ein solches Vorgehen jedenfalls "nicht zu erklären".

Pflieger, das BKA, der Generalbundesanwalt oder auch die von Gall beauftragten Nachermittler der EG Umfeld stützen ihre Version der Heilbronner Tat mit einem rund fünfzehnminütigen Bekenner-DVD, auf dem eine Szene der Kiesewetter-Trauerfeier und eine Polizeiwaffe zu sehen sind. Und mit der so oft diskutierten, weil viel zu spät ausgewerteten Durchfahrtskontrolle am 25. April 2007 um 14.30 Uhr in Oberstenfeld im Landkreis Ludwigsburg. Da sei ein Wohnmobil mit Chemnitzer Kennzeichen erfasst worden, heißt es im Bericht der EG Umfeld, "das nach derzeitigem Stand von Böhnhardt und Mundlos nach der Tat zur Flucht genutzt worden ist".

Vor allem aber wurde im letzten Versteck der Rechtsterroristen in der Zwickauer Frühlingsstraße – neben ebenjener Ceska, mit der die Mordserie an neun Ausländern begangen wurde, und ebenjener DVD – eine graue Trainingshose mit Blutspuren gefunden. Erst vergangene Woche hat ein Gutachter im Münchner NSU-Prozess noch einmal bekräftigt, dass das Blut unstrittig von Michèle Kiesewetter stammt. Taschentücher und Haare in der Hose werden ebenso zweifelsfrei Mundlos zugeordnet. Diesem Umstand will sich der Stuttgarter Ausschuss in seiner nächsten Sitzung widmen. Mögelin berichtete, wie er der Staatsanwaltschaft verschiedene Hypothesen präsentierte, wie er noch einmal die gefertigten Phantombilder nutzen wollte, die so lange unter Verschluss waren. Aber Generalbundesanwalt und BKA hätten eben die Gesamtübersicht gehabt, dort seien die Fäden zusammengelaufen. "Mögliche Helfer", sagt der Kriminaloberrat, "haben nach dem 4. 11. keine Rolle mehr gespielt."

Auch damit wird sich der Ausschuss im Stuttgarter Landtag befassen. Nicht zuletzt, weil hinter dem Rücken der Abgeordneten Beamte – vermutlich des BKA – vor vier Monaten eine Zeugin erneut vernommen haben, deren Aussage ursprünglich als nicht glaubwürdig abgetan worden war. Die Frau, die mit ihrem Mann am Tattag am Neckar spazieren ging, meint, einen der Männer auf den Porträts, die ihr aus einer Bildmappe vorgelegt wurden, erkannt zu haben.

"Wir haben davon nichts gewusst", so der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD), "es wäre aber besser gewesen, wir hätten davon gewusst." Jetzt werden diese Beamten, die die Zeugin acht Jahre nach der Tat in Heilbronn vernommen haben, in den Landtag geladen. Und noch einer könnte gehört werden, der aus seiner Skepsis gegenüber der amtlichen Darstellung schon lange kein Hehl macht: Walter Martinek. Für den Anwalt von Kiesewetters angeschossenem Kollegen reihen sich hier einfach zu viele Zufälle aneinander, um an die NSU-Zufallstat zu glauben. "Ich persönlich habe da meine Zweifel", bekannte er kürzlich in einem SWR-Interview – und ist alles andere als allein.


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2 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 01.10.2015
    Antworten
    Wow, in meinen Augen ein hoffnungsvoller Artikel .
    Die Überschrift "Nagende Zweifel" halte ich für gut gewählt und spricht mir aus der Seele.
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