Zwei Bonner Polizisten funkten sich Anfang Juni während der Vorbereitung des G-7-Gipfels in Elmau das Goebbels-Zitat "Wollt Ihr den totalen Krieg?" zu. Bis zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens dauerte es zehn Tage. Als vor 15 Jahren in Baden-Württemberg der Verfassungsschutz ohne Namensnennung intern bekannt machte, dass zwei Beamte Mitglieder im rassistischen Ku-Klux-Klan waren, vergingen fast zwei Jahre, bis Konsequenzen auch nur erwogen wurden. Die Amtsspitze des Innenministeriums war darüber informiert.
Thomas Schäuble ist tot. Der jüngere Bruder des Bundesfinanzministers starb im Januar 2013 nach einem Herzinfarkt und einem halben Jahr im Wachkoma. Im Juli 2002 hatte ihn Dieter Schneider, damals Landeskriminaldirektor, per Vermerk darüber unterrichtet, dass zwei junge Beamte in einen Schwäbisch Haller Ableger des Ku-Klux-Klan eingetreten und nach einiger Zeit wieder ausgetreten waren. Schäuble hätte elektrisiert sein müssen schon beim Stichwort Schwäbisch Hall: Keine zwei Jahre zuvor ist dort der Jüdische Friedhof zum zweiten Mal geschändet worden. Vor allem aber stand er selber im Wort – mit weitreichenden öffentlichen Versprechungen über den konsequenten Kampf gegen rechtsaußen.
Es war die Zeit der Sparprogramme bei der Polizei. Meldungen machten die Runde, Beamte müssten ihre Ausrüstung selber mitfinanzieren, Gerätschaften waren veraltet, Autos ebenfalls. Es war aber auch die Zeit, in der die Republikaner im Landtag von Baden-Württemberg saßen. Kein Unfall der Geschichte, denn 1968 war für eine Legislaturperiode bereits die NPD mit zehn Prozent der Stimmen eingezogen, 1992 folgten die Reps mit elf und 1996 mit neun Prozent. Ihre Spitzenfunktionäre prahlten mit der Nähe zur Polizei und dem hohen Organisationsgrad unter Ordnungshütern.
Leere Worte von Thomas Schäuble
Nicht alle in der Südwest-CDU sind in diesen Jahren um konsequente Abgrenzung bemüht. Schäuble gehörte immerhin zu jenen, die klare Kante zeigten, und kündigte mehrfach tatkräftiges Handeln an. Die Verbindungen der bei ihrem ersten Einzug vor Grünen und FDP drittgrößten Landtagsfraktion der Republikaner in die radikale Szene sollten ausgeleuchtet und der rechten Szene insgesamt das Leben möglichst schwer gemacht werden. "Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun", sagte der Minister Anfang Oktober 2000. Auf die Synagoge in Düsseldorf waren Brandsätze geflogen, die KZ-Gedenkstätte in Buchenwald wurde geschändet, und der heutige Kontext-Autor Anton Maegerle hatte für die "Jüdische Allgemeine Wochenzeitung" eine Liste schwerwiegender Vorkommnisse, wie es im beschönigenden baden-württembergischen Polizei-Jargon heißen würde, mit antisemitischem Hintergrund zusammengestellt: 70 an der Zahl in zehn Jahren.
Vollmundig kündigte Schäuble eine bundesweite Datei rechter Staftaten und -täter an, wie es sie für Hooligans bereits gab. Nicht einmal im Land folgten diesen Worten die Taten. "Eine zahlenscharfe Aussage ist nicht möglich, da eine entsprechende polizeiliche Statistik nicht geführt wird", hieß es zum Beispiel 2003 in einer Antwort des Innenministeriums auf einen parlamentarische Antrag der SPD zur rechten Gewalt, und von einer "entsprechenden Anfrage an die Polizeidienststellen wurde aufgrund des hohen Aufwands abgesehen".
Intern war "alles in unserer Macht Stehende" noch weniger als wenig. Vor den Abgeordneten im Untersuchungsausschuss des Landtags zum Nationalsozialistischen Untergrund offenbarten sich im Umgang mit den beamteten Ku-Klux-Klan-Mitgliedern nicht nur "suboptimale Zuständigkeiten", so der Grünen-Obmann Jürgen Filius, sondern vor allem die fehlende Bereitschaft und das Interesse, die unglaublichen Vorgänge ernst zu nehmen. Von der rassistischen Organisation als einer "fantastischen Welt in sich" berichtet die für die Auswertung einschlägiger Informationen zuständige Verfassungsschützerin.
"Ich tu Sie gerne etwas aufklären"
Da seien halt mal "Kreuze erleuchtet worden", sagt sie über diese nächtlichen Zusammenkünfte, aber davon habe ja kein Mensch etwas mitbekommen. Die Mitglieder hätten sich nur wichtig machen wollen. Als Filius konkrete Ermittlungsschritte in Erfahrung bringen möchte, strahlt die Zeugin: "Wir haben im Telefonbuch geblättert." Sie hat sich vorgenommen, konsequent die Rolle der unbedarften Polizistin zu spielen. "Ich tu Sie gerne etwas aufklären", sagt sie gönnerhaft, als der Grüne die Geheimhaltungsstufen problematisiert.
Habhaftes kommt aber doch ans Tageslicht. Zum Beispiel, dass der Verfassungsschutz spätestens seit 1999 Wind vom Treiben in und um Schwäbisch Hall bekam – und wie viel Zeit verstrich, bis etwas unternommen wurde. Erst am 31. Mai 2002 informierte Helmut Rannacher, der Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV), das Innenministerium und das Landespolizeipräsidium über die zwei Beamten beim Klan und weitere drei Interessenten. Er bezeichnete die Informationen jedoch als nicht verwertbar und verlangte Zurückhaltung, weil noch ermittelt werde. In der Tat kommen am 16. September intern die Klarnamen auf den Tisch, danach geschieht aber auch nichts.
Das wundert 14 Monate später sogar die Verfassungsschützer. Die fragten nach. Inzwischen waren Fotos aufgetaucht, auf denen die Beamten mit Fahnen und KKK-Symbolen zu sehen sind. Die stammten von einem Computer des Klan-Chefs und V-Manns Achim Schmid, den der Staatsschutz dessen früherem Vermieter abgekauft(!) hatte. Offensichtlich musste im Landespolizeipräsidium erst einmal der eineinhalb Jahre alte Bericht gesucht werden – ohne Erfolg. Im Januar 2004 wird er nochmals im LfV angefordert, erst im Mai wird ein Disziplinarverfahren eröffnet, entscheidende Fristen waren mittlerweile verstrichen. "Entweder ist das mit Absicht so gelaufen oder aus Nachlässigkeit", so der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD), beides sei inakzeptabel.
Rechtsradikale Lieder in der Kneipe
Aber von unterschiedlichem Gewicht. Nicht zuletzt, weil einer der Hauptverantwortlichen heute in der Landeshauptstadt das Amt des Bürgermeisters für Recht, Sicherheit und Ordnung bekleidet. Martin Schairer war von 1999 bis 2006 Stuttgarter Polizeipräsident und damit der Disziplinarvorgesetzte eines der beiden KKK-Beamten. Er war zuständig für das, was Wolf-Dieter Hammann, inzwischen Amtschef im SPD-geführten Integrationsministerium, eine "schwache Ahndung" nennt. Dabei hatte Schairer viel Erfahrung gesammelt, im Justizressort unter drei Ministern, dort stieg er auf zum stellvertretend Abteilungsleiter, nach seinen sieben Jahren als Polizeipräsident wurde er Bürgermeister, er gilt als Experte für Prävention. Genau die erklärte Schäuble schon Ende der Neunzigerjahre zum Arbeitsschwerpunkt. Im Falle der KKK-Beamten führte selbst das nicht zu erhöhter Wachsamkeit.
In dem schließlich anlaufenden Disziplinarverfahren werden beide Beamte vernommen, Details werden acht Jahre später öffentlich, die Riten, der Schwur auf die rassistischen und antisemitischen Ziele, die Ausreden der beiden Männer, der Umstand, dass einer der beiden schon einschlägig aufgefallen und Adressat einer offiziellen Missbilligung geworden war, nachdem er in einer Kneipe "rechtsradikale Lieder und Gedankengut kundgetan" hatte. Im August 2012 wird auch bekannt, dass beide Polizisten – befördert – weiterhin im Dienst sind. "Da muss doch schon mal früher was aufgetaucht sein", wundert sich Drexler. "Wir waren extrem überrascht", antwortet Hammann.
Der frühere Landespolizeipräsident, heute Amtschef im Integrationsministerium, ist erfahren, was Untersuchungsausschüsse anbelangt. Er musste mehrfach antreten als Zeuge zum Polizeieinsatz am Schwarzen Donnertag, unter anderem, um zu erklären, warum er seine Zweifel am Einsatzzeitpunkt im entscheidenden Gespräch am 29. September 2010 mit Ministerpräsident Stefan Mappus nicht offensiv zur Diskussionen stellte. Als der KKK-Komplex bekannt wird und bundesweites Aufsehen erregt, beauftragt ihn SPD-Innenminister Reinhold Gall, zu untersuchen, "warum die beiden Beamten vergleichsweise milde davongekommen sind und warum es so lange gedauert hat".
Hammann beschreibt als Zeuge am vergangenen Freitag, wie er daraufhin Kollegen zu ihren mehr als zehn Jahre zurückliegenden Ermittlungen befragte: "Ich habe praktisch mit allen gesprochen, manche konnten sich gar nicht erinnern, manche nur bruchstückhaft." Es komme aber doch nicht dauernd vor, dass die Mitgliedschaft von Polizisten in einer solchen Organisation bekannt wird, ereifert sich Drexler, Hammann zuckt die Schultern, der Ausschussvorsitzende setzt nach, was aber zu nichts führt. Immerhin, so viel kann er dem Zeugen entlocken: "Radikale und Dumme haben in der Polizei nichts verloren."
Vorladung für Ordnungsbürgermeister Schairer?
Schairer könnte in Bälde in den Landtag geladen werden, genauso wie der zur Jahrtausendwende zuständige Landespolizeipräsident Erwin Hetger und natürlich Heribert Rech. Der spätere CDU-Innenminister war unter Schäuble Staatssekretär und kann sich womöglich erinnern, warum in der delikaten Angelegenheit intern nicht mehr Druck gemacht wurde. Zeugen müssen vor dem Ausschuss nicht nur die Wahrheit sagen, sie dürfen nichts Bedeutsames weglassen, wie Drexler jedem eingangs einschärft. Rechs Einlassungen wären auch deshalb von Bedeutung, weil Akten verschwunden sind. So lässt sich nicht mehr nachvollziehen, was passierte, nachdem Schneider seinen Minister am 1. Juli 2002 informierte.
2007 wurde zudem das gesamte Vorgangsverwaltungssystem im Landespolizeipräsidium umgestellt, wie der Spitzenbeamte, der vor seiner Pensionierung LKA-Präsident war, erläutert. Mit der Folge, dass – auf Basis geltenden Rechts – verschiedene Akten gelöscht wurden. Schneider berichtet zudem von mehreren internen Besprechungen zum Thema KKK und von den Gründen, warum nicht sofort gegen die beiden Polizisten vorgegangen wurde: "Wir wollten nicht sehenden Auges ein verwaltungsrechtlich hoch angreifbares dienstrechtliches Verfahren anstrengen."
Wieder setzt Drexler nach, und wieder einmal verweist ein Zeuge auf die lange, lange Zeit, die inzwischen vergangen sei, und seine fehlende Erinnerung. Der Ausschussvorsitzende will wissen, ob man die Fristen habe womöglich absichtlich verstreichen lassen. "Das ist völlig abwegig", sagt Schneider schnell.
Im Fall der Bonner Beamten in Elmau werden keine Fristen verstreichen. Die Staatsanwaltschaft München II hat den Funkspruch bereits geprüft und kein strafbares Handeln festgestellt. Im Disziplinarverfahren ist der Sender des Goebbels-Zitat sofort vernommen worden. Er nennt seine Idee – wie passend – einen "totalen Blackout". Und ein Sprecher der Bonner Polizei meldete sich ebenfalls zu Wort: Man sei über das Verhalten "entsetzt und enttäuscht".
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Redaktion Kontext
am 22.06.2015