Dass "Medien" sich "lieber Anzeigenkunden andienen", ist richtig, wenn wir unter Medien die Unternehmer verstehen, die sie herausgeben und damit Profit erzielen wollen beziehungsweise müssen. Da ist das Interesse an Anzeigen "naturgegeben" größer als die Qualität des Journalismus – zumal Verlegerpersönlichkeiten mit Überzeugungen, mit kritischen gar, eine aussterbende, wenn nicht bereits ausgestorbene Spezies sind. Erstaunlich finde ich aber, dass auch die meisten Journalistinnen und Journalisten diese Strukturen gegen jede Diskussion über andere Eigentumsverhältnisse – Stichwort: Medien gehören in die Hand der Gesellschaft – verteidigen.
Was ist dafür verantwortlich, dass wir – so der Titel eines Ihrer letzten Bücher – von so vielen "Gute-Macht-Geschichten" medial eingelullt und also mit politischer Propaganda regelrecht überflutet werden?
Journalistinnen und Journalisten lassen sich meist nicht böswillig, aber allzu willig und vielleicht im Glauben, "ideologiefrei" zu handeln, zum Transmissionsriemen bestimmter Ideologien machen. Sie erfinden die "Gute-Macht-Geschichten" nicht, aber sie erzählen sie weiter. Die Erfinder sitzen woanders: in Wirtschaftsverbänden, in den Grundsatz- und PR-Abteilungen von Parteien, auf vielen Lehrstühlen für Volkswirtschaft, bei Stiftungen wie Bertelsmann oder in mehr oder weniger verdeckten Propaganda-Abteilungen wie etwa dem "Institut der Deutschen Wirtschaft" oder der von den Metall-Arbeitgebern finanzierten "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM). Denjenigen, die schon aus materiellen Gründen nicht über ähnliche Instrumente verfügen, eine Stimme zu geben – das wäre mal eine Aufgabe für unabhängigen Journalismus!
Was genau ist Propaganda für Sie?
Es ist das, was die Spin-Doktoren unter dem Stichwort "Agenda Setting" beschreiben. Die Besetzung der eigenen Ideologie mit allgemein als positiv wahrgenommenen Begriffen. Und das hat sehr viel mit der Frage zu tun, wie viel Geld ich habe, um den "Meinungsmarkt" – noch so ein furchtbarer Begriff – zu beeinflussen.
Haben Sie hierfür vielleicht konkrete Beispiele?
Sehen Sie sich die Plakataktionen oder die Homepage der INSM einmal an! Ich habe da zum Beispiel, ausgerechnet in einer Handreichung für Lehrer, einen Text gefunden, in dem es in vermeintlich sachlichem Ton heißt: "In der aktuellen Reformdebatte wird vor allem darüber diskutiert, in welchem Ausmaß die Bürger wieder mehr Eigenverantwortung übernehmen können und sollen. Die Forderung nach mehr Eigenverantwortung resultiert insbesondere daraus, dass der Staat sich zu weit ausgedehnt und den Menschen zu viel Verantwortung abgenommen hat. Dadurch ist der Wille der Bürger zunehmend erlahmt, selbst Verantwortung zu übernehmen." Auf Deutsch: Sozialstaat gleich "zu weit ausgedehnter Staat" gleich erlahmter Bürger. Oder nehmen Sie die "schwäbische Hausfrau", auf die sich Angela Merkel beruft: So ein Begriff ist doch nichts anderes als eine versuchte Verblödung der Menschen, als sei der Staat das Gleiche wie ein Privathaushalt, der mit dem feststehenden Einkommen eben auskommen müsse. Als könnte der Staat nicht – auf demokratische Weise – selbst seine Einnahmen "steuern", nämlich über Steuern!
Wie können die Mediennutzer derlei "Propaganda" erkennen?
Zunächst müssten Journalisten sie offenlegen. Da das leider zu selten geschieht, denke ich: Es bleibt nichts anderes übrig, als die Gegenprobe zu versuchen. Da ist das Internet eine große Hilfe. Wer aufmerksam ist und nicht alles glaubt, wird immer eine kritische Auseinandersetzung mit bestimmten Begriffen und Denkschablonen finden. Dieses gesunde Misstrauen empfehle ich übrigens auch bei solchen Medien, die einem prinzipiell sympathisch sind. Denn auch Kritiker der herrschenden Propaganda haben ihre Denkroutinen, die es zu hinterfragen lohnt.
Würden Sie sagen, die Medien "lügen", wo sie solche manipulative Propaganda unwidersprochen weitertragen?
3 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 12.09.2017Nee, wirklich?
Gleich noch einen drauf gesetzt: Es gibt keine [i]Korruption[/i], es gab noch _niemals_…