Als ich aus der Türkei fliehen musste, hat mich der Weg aus der Dunkelheit in der Türkei nach Belgien geführt. Nach mir wurde in Istanbul gefahndet, gegen mich wurde ein Ausreiseverbot verhängt, ich hatte keine Wahl. Als ich mit einem Pass, der nicht mir gehörte, bei der Polizei am Flughafen in Belgien stand, sagte ich wieder: "Ich möchte nach Stuttgart". Denn hier leben mein Verwandten. Doch das war nicht möglich. Eine Geflüchtete muss in jenem Land leben, in das sie zum ersten Mal den Fuß gesetzt hat.
Darauf folgte ein "schweres" Jahr im Exil, in welchem ich mit "wenig" lebte. Und jetzt muss ich erklären, was diese Worte bedeuten, schwer und wenig, wenn man sie aus dem türkischen ins deutsche übersetzt. Und wenn man im Exil lebt wie ich.
Als könnte ich sofort wieder in meine Heimat zurückkehren, weigerte ich mich, mich auf all das Neue im Exil einzulassen. Ich habe mich dagegen gewehrt zu lernen, wie die Kaffeemaschine in den Wohnungen, in denen ich lebte, funktionierte. Oder wo der nächste Lebensmittelladen ist. Ich sträubte mich dagegen, die Bahn- und Buszeiten auswendig zu lernen. Wenig hieß auch: Wenig Bekannte, wenig Freund*innen, wenig Kino, wenig Konzert, wenig Gespräch, wenig Spaß, wenig Schlaf.
Verglichen mit meinem Leben in der Türkei, schrieb ich wenig, sprach wenig, gab wenig Geld aus, arbeitete wenig. Gewartet habe ich viel. Auf einen neuen Ausweis, auf einen Aufenthalt, auf eine eigene Wohnung. Ich habe gewartet und gewartet. Die Zeit verging schwer.
Die politischen Verhältnisse in der Türkei sind, seit ich gehen musste, nur noch schwerer geworden. Die Verhaftungen, die Folterungen, die Bemühung der Regierung, das soziale Leben religiös umzuformen, das Bestreben der Politik, sich vom Westen zu entfernen, die antikurdische Haltung im Nahen Osten, die Menschenrechtsverletzungen, das Beschränken der Meinungsfreiheit, das Verbot des Rechtes auf Protest, die Unterdrückung der Justiz – all das wird mehr und nicht weniger.
Ich kann noch nicht zurück in meine Heimat. Mein Prozess läuft weiter und wie bei vielen anderen Journalist*innen wird auch für mich eine lebenslange Freiheitsstrafe gefordert.
Das Wort schwer hat in der türkischen Sprache mehrere Bedeutungen. Manchmal wird es als Gegenteil von schnell benutzt, also langsam. Auch wenn man von einer mühsamen Situation spricht, gebraucht man das Wort schwer. Dieses vergangene Jahr war für mich in jeder Hinsicht ein "schweres" Jahr.
Das Schwerste für mich war, meine Mutter zu verlieren. Ich musste aus der Türkei fliehen, ohne dass ich mich von ihr verabschieden konnte. Sie ist gestorben, ohne dass ich sie noch einmal umarmen konnte. Und auch zu ihrer Beerdigung konnte ich nicht zurück in die Türkei.
Inzwischen, nach einem Exiljahr, vergeht die Zeit sehr schnell. Nun wohne ich nicht mehr bei Freund*innen, sondern in meiner eigenen Wohnung in Brüssel. Ich habe einen eigenen Ausweis und eigenen Pass. Ich gehe oft nach Stuttgart oder Esslingen zu meinen Verwandten. Doch während sich in meinem Privatleben langsam alles glättet, gilt das für mein Land leider nicht.
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