Niemand geht leichten Herzens ins Exil. Und jetzt kann sie nicht mehr gehen, weil sie ihr den Pass abgenommen haben. Natürlich kann ich sie verstehen. Auch für mich ist die Sprache Heimat. Nun bin ich im Exil und habe meine Sprache verloren. Das ist bitter, denn für mich als Politikerin und Journalistin ist die Sprache meine Waffe. In der Fremde ist diese Waffe stumpf. Aber wenn ich ins Gefängnis gekommen wäre, wäre es schwer geworden für die Menschen, die mir nahestehen. Ich wusste das. Und ich habe eine Mama, die 80 Jahre alt ist, herzkrank und nicht mehr so lange zu leben hat. Außerdem kenne ich die Verhältnisse im Gefängnis.
Aus eigener Erfahrung?
Ich war schon oft in Untersuchungshaft. Einmal in den 90er Jahren, als wir bei einer Frauendemo den Minister ausgepfiffen haben, der gesagt hat, Flirten sei Huren. Gefängnis habe ich immer miteinkalkuliert. Das ist in der Türkei so, wenn du aktiv bist als Feministin, Sozialistin und dazu gegen die Diskriminierung der Kurden kämpfst, obwohl du keine Kurdin bist. Aber seit der Ausnahmezustand verhängt wurde, weißt du nicht mehr, wann und ob du je wieder herauskommst. Wir haben inzwischen eine Einmannshow in der Türkei. Erdoğan ist so mächtig, viele Richter wurden entlassen, andere bedroht, dort kann ich keine Gerechtigkeit mehr erwarten. Weil ich im Beirat einer Zeitung saß, werde ich mit lebenslanger Haft bedroht wie Aslı. Und zwar seit dem Ausnahmezustand unter verschärften Bedingungen. Das heißt: keinerlei Kontakt nach außen. Das kann ich nicht in Kauf nehmen.
Wann haben Sie Ihren letzten Artikel veröffentlicht?
An dem Tag, als die Zeitung geschlossen wurde, stand ein Artikel von mir darin. Es ging um Pressefreiheit und den Ausnahmezustand in der Türkei. In letzter Zeit sind die Frauenthemen weniger geworden.
Wie wollen Sie im Exil darauf hinwirken, dass in der Türkei wieder rechtsstaatliche Verhältnisse herrschen? Erdoğan ist mächtig und wird durch die Präsidialverfassung bald noch mächtiger. Oder glauben Sie, dass die Präsidialverfassung im Referendum abgelehnt wird?
Jedenfalls werde ich aus dem Exil die Nein-Kampagne für das Referendum unterstützen. Seit der Putschnacht im Juli 2016 und den anschließenden Verfolgungen durch Erdoğan sind viele Politiker, Akademiker, Gewerkschafter und Schriftsteller ins Exil gegangen. Sie mussten fliehen, weil sie keine Jobs mehr hatten und verfolgt wurden nach den Gesetzen des Ausnahmezustands. Wir haben eine Organisation von geflüchteten Akademikern gegründet. Wir nennen uns "Europäisches Forum für Frieden, gegen Krieg und Diktatur". Zu diesem Forum gehören unter anderen der Journalist Ragip Zarakolu und der Wissenschaftler Çetin Gürer, der in Bremen arbeitet. Man ist nicht mehr frei in der Türkei, Journalisten werden verhaftet, selbst die sozialen Medien werden beobachtet. Im Exil sind wir freier.
Das heißt, Sie wollen nun im europäischen Exil aufklären über Ihre Heimat Türkei?
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Schwabe
am 04.02.2017