Çiğdem Akyol saß manchmal an ihrem Schreibtisch in Vesperweiler und winkte Erdoğan zu – auf ihrem Bildschirm. Recep Tayyip Erdoğan, Ministerpräsident der Türkei. Dem Mann, mit dem sie sich seit eineinhalb Jahren intensiv beschäftigt. An dessen Fersen sie sich geheftet hat. Dessen Lebensstationen sie bereist hat. Den sie aber nie persönlich getroffen hat. "Ich habe diesen Mann verfolgt, jemanden, den ich nicht kenne. Das ist schon ein bisschen verrückt", sagt sie.
Die 37-Jährige Deutsche, deren Eltern aus den türkischen Kurdengebieten kommen, ist Journalistin, Neugierige. Am 12. April soll ihre Biografie über den hochumstrittenen Politiker im Herder-Verlag erscheinen. Über den Mann, der sein Land in die EU bringen will. Über den Mann, der in seinem eigenen Land Journalisten schikanieren und ins Gefängnis werfen lässt, sobald sie ihn kritisieren. "Dieser Mann liefert mir jeden Tag News, das ist wie in einer Telenovela", sagt Akyol über Erdoğan.
Das Schicksal regierungskritischer Kollegen in den vergangenen Wochen habe sie wütend und nervös gemacht. Auch in ihrem Postfach landen seit dem ersten Buch "Generation Erdoğan" Drohungen von seinen Anhängern, einer hat ihr Bilder von seinen Waffen geschickt. Hinzu kam, dass im November Terrorwarnungen das öffentliche Leben in Istanbul gelähmt haben, wie sie erzählt. Sie wohnt wenige Meter vom Taksim-Platz und Gezi-Park entfernt, wo an kritischen Tagen alles abgesperrt wird, um Demonstrationen zu verhindern.
Erdoğans Geschichte ist in Deutschland noch nicht erzählt worden
An einem Samstag Mitte November tippte Akyol eine E-Mail an eine Kollegin in Stuttgart: "In Istanbul ist einfach zu viel los, dazu diese ständigen Terrorwarnungen. Ich brauche einen Rückzugsort, die Deadline rückt nahe. Am besten ein Ort im Wald, Natur, Ruhe. Weißt du etwas?" Die Kollegin wusste etwas: Sie vermittelte Akyol an Annette Rieger, ebenfalls Journalistin, die in Vesperweiler bei Freudenstadt lebt. "Ich musste für einen Moment raus aus der Türkei, um sachliche und professionelle Distanz zu wahren", sagt Akyol.
Vesperweiler, rund 240 Einwohner, mit dem Kulturdenkmal Mönchhof-Sägemühle. Die Ortsstraße windet sich in Schlaufen den Berg hinauf, bis sie im Wald verschwindet. Zu Hause in Istanbul sieht sie von ihrem Schreibtisch aus die Möwen auf den gegenüberliegenden Hausdächern sitzen. Vor dem Fenster ihrer Schreibstube im Schwarzwald ranken sich die winterdürren Blätter einer Weinrebe. Der Blick öffnet sich über ein kleines Tal hinweg auf die Kirche des nahe gelegenen Nachbarorts Lützenhardt. Auf einem Teller klebt der Wachsrest einer bis zum Ertrinken niedergebrannten Kerze. Hier kann Çiğdem Akyol wieder schreiben. Sie arbeitet die Nächte durch, bis vier Uhr morgens, um mit Erdoğan fertig zu werden.
Wenn sie schon im Schwarzwald ist, will sie auch was davon haben. Akyol schlingt sich einen dicken roten Schal um den Hals, klemmt ihre schwarzen langen Haare mit einer Klammer am Hinterkopf zusammen und spaziert los. Zeit, über ihr Projekt zu sprechen. Warum eine Erdoğan-Biografie? Warum über jemanden schreiben, der niemanden an sich ranlässt? Aus urjournalistischen Gründen: Für Çiğdem Akyol war es eine Lücke, dass Erdoğans Geschichte in Deutschland noch nicht erzählt worden ist.
3 Kommentare verfügbar
Jürgen P. Fuß
am 21.03.2016habe erst heute - durch Zufall - Ihren Kommentar gelesen. Finde viele Gedanken sehr interessant. Leider haben Sie keinerlei Quellen für Ihre Aussagen zur Türkei und zu Erdogan angegeben, sodass man sie bis auf weiteres als ihre persönliche Meinung / Bewertung / These ansehen…