Ist die Kirche da ein geschützter Raum?
Geschützt? In der Verfassung heißt es, die Würde des Menschen ist unantastbar. Bei uns heißt es, jeder Mensch ist Gottes Ebenbild. Man macht sich nicht derartig persönlich nieder, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Wir haben Respekt davor, dass es unterschiedliche Überzeugungen gibt.
Unterschiedliche Überzeugungen gibt es auch in der politischen, gesellschaftlichen Debatte. Nun wurde die Kindergrundsicherung im Kabinett beschlossen mit 2,4 Milliarden Euro und gleich danach ein Wirtschaftsentlastungspaket, das sieben Milliarden kosten soll. Protest auf den Straßen ist aber nicht zu sehen.
Das Diakonische Werk, das Kinderhilfswerk und viele andere sozialen Organisationen haben sich sehr klar zur Kindergrundsicherung geäußert und kritisiert, dass es zu wenig Geld gibt. Nun ist es leider immer so, dass in unserer Gesellschaft die Schwächsten – die Kinder und die Alten – die kleinste Lobby haben. Das haben wir auch in der Coronazeit gesehen: Da saßen Virologen und Vertreter der Wirtschaft mit am Entscheidungstisch, aber wo waren die Alteneinrichtungen und die Familienverbände?
Zu den bestehenden sozialen Ungleichheiten kommen Klimaveränderung, Inflation, Wohnungsnot – Lösungen aber sind eher nicht in Sicht. Verstehen Sie Menschen, die sagen, da wähle ich AfD?
Verstehen und Nachvollziehen sind zwei unterschiedliche Sachen. Ich kann nachvollziehen, dass einige sagen, meine Situation ist so schwierig und ich habe den Eindruck, meine Lebenslage wird nicht wahrgenommen, deswegen wähle ich aus Protest die AfD, die behauptet, sie sei für die "kleinen Leute" da. Das kann ich nachvollziehen. Aber verstehen kann ich das nicht. Eine Partei, die derartig ausgrenzt, nationalistische und antisemitische Parolen von sich gibt, darf man nicht wählen, wenn einem Demokratie und Freiheit am Herzen liegen. Jeder vierte, der in unserem Land lebt, hat einen Migrationshintergrund, und die AfD sagt: Ihr habt hier nichts zu suchen. Sie sät einen derartigen Unfrieden, diffamiert andere Menschen so pauschal, dass ein Zusammenleben in unserem Land nicht möglich ist. Aber wir brauchen das gesellschaftliche Miteinander, damit wir mit diesen Krisen umgehen können.
Offenbar gibt es also Defizite bei den etablierten Parteien. Was sollten sie anders machen?
Hinhören. Ich bin ja gerade in Ostdeutschland, da ist das Thema Geflüchtete ein großes Thema. Ich bin immer eingetreten für Geflüchtete. Aber natürlich kannst du in ein Dorf mit 400 Einwohnern nicht 500 Geflüchtete unterbringen. Die kommunale Realität steht da nicht immer im Mittelpunkt, und das macht sich sicher die AfD zunutze. Oder: 100 Milliarden sollen für die Bundeswehr ausgegeben werden. Aber im Haushalt gibt es nur 2,4 Milliarden für Kindergrundsicherung, Es gibt Kürzungen bei den Freiwilligendiensten, bei der Kinder- und Jugendhilfe, sogar bei der politischen Bildung. Das sind doch fatale Signale.
Und was heißt das im Umkehrschluss für die anderen Parteien?
Was Menschen persönlich erleben, führt zu einer politischen Haltung. Das muss viel stärker in den Blick genommen werden. Zum Beispiel diese Diskussion, dass Väter weniger Unterhalt zahlen sollen, wenn sie sich mehr um ihre Kindern kümmern. Die Realität aber ist, dass 700.000 Väter überhaupt keinen Unterhalt zahlen. Wie geht es denn einer alleinerziehenden Mutter mit drei Kindern, die keinen Unterhalt erhält? Die Situation von Alleinerziehenden in unserem Land – und das sind Millionen – ist prekär. Ich sehe bei Einschulungen, wie schwierig es für Mütter oft ist, das Lehrmaterial finanzieren zu können. Und dann die ganze Mietsituation. Ich bin keine Politikerin, aber ich denke, die Lage der Menschen, die Lage des schwächeren Viertels der Gesellschaft, ist zu wenig im Blick.
Aber warum ist das so? Warum haben sich offenbar viele Politiker:innen derart von den Menschen entfernt?
Vielleicht liegt es daran, dass diese ganzen Kanäle wie Instagram, Twitter und so weiter auf schnellen Output ausgerichtet sind. Aber die Zeit zum Zuhören fehlt. Ich bekomme viele Mails von Menschen, die Angst haben, ihre Wohnung nicht mehr bezahlen zu können wegen der Energiepreise, wegen rasant steigender Mieten. Die wacker ihr Leben gestalten wollen, es aber einfach nicht mehr schaffen. Das sieht die Politik zu oft zu wenig.
Was machen Sie mit diesen Hilferufen?
Oh, ich habe eine ganze Liste mit Hilfsangeboten und vermittle: an die Pastorin vor Ort, an das diakonische Werk. Ich kann die Probleme ja nicht lösen. Aber es gibt in Deutschland viele tolle Organisationen. Die Tafeln beispielsweise und die Hospizvereine – das ist alles ehrenamtlich. Mich ärgert, dass das zu wenig gesehen wird: Wie viele Leute sich echt engagieren für andere.
8 Kommentare verfügbar
Uwe Rücker
am 13.09.2023>>>
T-Online: Die westlichen Waffen helfen aber der Ukraine.
Käßmann: Es ist Spekulation zu mutmaßen, was ohne diese Waffenlieferungen passiert wäre.
<<<
Mit Verlaub, das ist mit das abscheulichste, was ich zum…