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Strahlender Advent

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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Seit Juni dieses Jahres hat die EnBW viermal hochradioaktive Brennstäbe auf dem Neckar von Obrigheim nach Neckarwestheim transportiert. Der Transport berge viele Risiken und löse kein einziges Problem, sagen Antiatom-AktivistInnen. Bei den vergangenen beiden Transporten wurde auch im Wasser demonstriert.

Niedlich sind sie, die große gelben Schwimmenten, gar nicht niedlich dagegen die Fracht, gegen die sie an diesem 16. November zu Protestzwecken zu Wasser gelassen werden: drei Castorbehälter mit hochradioaktiven Brennstäben aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Obrigheim. Weswegen die Enten auch "Anti-Atom-Enten" heißen. Die Castoren sollen per Schiff auf dem Neckar zum Zwischenlager nach Neckarwestheim transportiert werden.

Es ist bereits der vierte Transport dieser Art seit Juni dieses Jahres, als die EnBW erstmals diese Transportart für ihren Atommüll wählte (<link https: www.kontextwochenzeitung.de politik strahlende-fracht-4226.html external-link-new-window>Kontext berichtete im Vorfeld). Jedes Mal begleitet von Protestaktionen des <link https: www.neckar-castorfrei.de external-link-new-window>Bündnisses "Neckar castorfrei", beim dritten Transport am 11. Oktober erstmals auch im Wasser. Am 16. November wird dies erneut probiert: Gegen 9.20 Uhr steigen bei Heilbronn zehn SchwimmerInnen in Neoprenanzügen ins sieben Grad kalte Wasser und bringen Transparente sowie viele blaue Fässer, die die Castoren symbolisierten, in die Mitte des Neckars. Der Schubverbund, der um 2 Uhr nachts in Obrigheim gestartet ist, muss erst Mal stoppen. Rund 40 Minuten lang.

Erst nach einer halben Stunde rückt die Polizei mit Schnellbooten an und beginnt mit der Räumung. Teils sehr ruppig und fahrlässig, wie ihr verschiedene AktivistInnen vorwerfen, etwa <link http: blog.eichhoernchen.fr post mit-gummi-enten-schwimmend-gegen-castor external-link-new-window>Cécile Lecomte, die ihre Eindrücke in ihrem Blog festgehalten hat. So habe die Polizei, die SchwimmerInnen "mit waghalsigen Bootsmanövern" gefährdet, und sie "ordnete die Weiterfahrt des zuvor wegen der Wasserdemonstration angehaltenen Castor-Schiffes an, obwohl die Menschen sich noch im Wasser befanden", so Lecomte. Mit nur wenigen Metern Abstand sei der Schubverband an einigen SchwimmerInnen vorbeigefahren, habe diese durch die Sogwirkung massiv in Gefahr gebracht. "Völlig inakzeptabel" findet so ein Verhalten Franz Wagner von der Arbeitsgemeinschaft Atomerbe Neckarwestheim, die Teil des "Neckar castorfrei"-Bündnisses ist.

Was sind das für Leute, die gegen die Transporte ins Wasser gehen und solche Risiken auf sich nehmen? Ganz unterschiedliche, sagt Franz Wagner, und "niemand von ihnen hatte vor unseren Protesten so eine Schwimmaktion gemacht". Auch nicht die aus Frankreich stammende, in Deutschland lebende Lecomte, Spitzname "Eichhörnchen", die so eine Art Star ist in der UmweltaktivistInnen-Szene, schon dutzendfach porträtiert (unter anderem von der <link http: www.taz.de external-link-new-window>taz und <link https: www.brandeins.de archiv gut-boese aufgeben-ist-nicht-drin external-link-new-window>"Brand eins"). Sie war sicher die mit der meisten Erfahrung, sagt Wagner, und auch einige andere seien schon bei Robin-Wood-Aktionen dabei gewesen. "Aber es waren auch Leute von der Antiatom-Initiative Karlsruhe dabei, die so eine Art Protest noch nie gemacht hatten", die aber mithelfen wollten, ein besonders deutliches Zeichen zu setzen. "Die Antiatombewegung rekrutiert sich aus der Normalbevölkerung", betont Wagner.

Dass die EnBW überhaupt ihren Atommüll verlagert, liegt daran, dass es in Obrigheim kein Zwischenlager gibt, das bestehende in Neckarwestheim aber wegen des für die Energieerzeuger unerwarteten Atomausstiegs 2011 Überkapazitäten hat. Dadurch, dass so teurer Leerstand verringert wird, spart die EnBW auch viel Geld, was sie aber nicht so an die große Glocke hängt. Ebensowenig, dass sie die Genehmigung des schon 2005 in Obrigheim beantragten Zwischenlagers hätte forcieren können. Der Transport auf dem Wasserweg wiederum habe, so eine Machbarkeitsstudie des Energiekonzerns, deutliche Vorteile gegenüber anderen Transportarten: Auf der Straße drohten zu viele Staus, für den Schienenweg fehlten die Gleisanschlüsse an den Standorten. Und da Castoren grundsätzlich sicher und die Transportschiffe praktisch unsinkbar seien, so die EnBW, bestehe kein Risiko.

Einige Gefahren des Straßen- und Bahntransports gebe es zwar beim Schiffstransport tatsächlich nicht, sagt Franz Wagner, "dafür aber wieder andere Gefahren". Denn so nahezu unzerstörbar, wie immer wieder betont wird, seien die Castoren nicht; moderne panzerbrechende Waffen könnten sie durchschlagen. Egal, für wie wahrscheinlich man so einen terroristischen Angriff hält, "ein leichteres Ziel als einen Castor auf einem Schiff, das mit acht Stundenkilometern fährt und sich in den Schleusen gar nicht bewegt, kann man sich gar nicht vorstellen." Und bei einem Angriff oder einer Havarie zeige sich die "üble Kehrseite des Wasserwegs: Durch das Wasser wird das Material weit verteilt."

Für Wagner sind Atommülltransporte generell nur dann gerechtfertigt, "wenn man sicher ist, dass man eine klare Verbesserung der Situation erreicht." Und das sei hier eindeutig nicht der Fall. Zwar sei die Art, wie in Obrigheim bislang die abgebrannten Brennstäbe gelagert werden – in einem Nasslager –, prinzipiell gefährlicher als eine Trockenlagerung in Castor-Behältern. Aber das Zwischenlager in Neckarwestheim sei wegen großer geologischer Risiken und ungeeignetem Beton auch alles andere sicher. Weswegen neben dem Abbruch der Transporte der Bau eines Zwischenlagers in Obrigheim die zentrale Forderung des Bündnisses "Neckar castorfrei" ist.

Man kommt an dieser Stelle zur Frage eines atomaren Endlagers, dessen Ort und Zeitpunkt der Inbetriebnahme bekanntlich noch in den Sternen stehen. "Aber selbst wenn bis 2035 oder 2040 ein Endlager in Betrieb gehen würde, würden mehrere Jahrzehnte vergehen, bis alle Castoren dort eingelagert sind." Die Zwischenlager stünden also Schlange, und kein einziges dieser Lager, die üblicherweise für 40 Jahre genehmigt seien, würde leer, bevor die Genehmigung ausläuft. Was der Grund sei, warum in Deutschland gerade auch Orte für große Zwischenlager gesucht werden. "Da denke ich: Lieber die Lager vor Ort auf jede erdenkliche Art sicherer machen", sagt Wagner, "denn durch Hin- und Herfahren wird der Müll nicht weniger."

Für "noch verrückter" hält es Wagner aber, dass einige Atomkraftwerke im Land noch laufen und weiter Atommüll produzieren. Zum Beispiel Neckarwestheim 2, das erst Ende 2022 vom Netz soll. Den Bogen schlagen zwischen den neuen Protesten gegen die Transporte auf dem Neckar und den schon lange bestehenden gegen den Kraftwerksbetrieb soll daher<link https: www.neckar-castorfrei.de informiert-sein news-berichte external-link-new-window> eine Demo am ersten Advent, zu der das "Neckar castorfrei"-Bündnis aufruft. Vom Bahnhof Kirchheim am Neckar geht es um 13 Uhr los zum AKW Neckarwestheim, das Motto: "Sofort abschalten". Angemeldet habe man sie für 250 Teilnehmer, "im Dezember demonstriert sich's nicht so schön", sagt Wagner. Ebenfalls im Dezember wird es einen weiteren, den fünften Castor-Transport auf dem Neckar geben. Wie das Wetter auch sein wird, die "Neckar castorfrei"-Leute werden wieder irgendwo am Ufer, auf Brücken oder im Wasser protestieren.

 

Info:

"Sofort abschalten!" Demonstration zum AKW Neckarwestheim, 3. Dezember, 13 Uhr, Start: Bahnhof Kirchheim/Neckar. Redebeiträge unter anderem von Christina Albrecht (Robin Wood) und Jochen Stay (.ausgestrahlt), Musik: Gerhard Schinkel


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