Mitten in der Kernstadt, am Keplerbogen, fünf Minuten vom Münster entfernt, hat die Ulmer Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft (UWS) kürzlich einen L-förmigen Komplex mit 40 Mietwohnungen erstellt. Neben Zwei-, Drei- und Vierzimmerwohnungen gibt es dort die erste Ulmer Senioren-WG, bestehend aus fünf kleinen Wohneinheiten mit gemeinsamer Küche und Wohnzimmer. "Mitten in der Innenstadt in bezahlbaren Wohnungen leben?", <link https: www.akbw.de fileadmin download dokumenten_datenbank akbw_broschueren konzept konzept_ausgabe1.pdf external-link-new-window>fragt die Architektenkammer im ersten ihrer Arbeitshefte für zeitgemäßes Wohnen. "Während diese Vorstellung für viele Städte und Kommunen nahezu unwahrscheinlich klingt, beweist Ulm, dass es durchaus möglich ist."
Zehn der 40 Wohnungen sind gefördert, aber auch die anderen bleiben im Rahmen des Ulmer Mietspiegels, der in der letzten Erhebung bei einer durchschnittlichen Kaltmiete von 7,23 Euro pro Quadratmeter angelangt war. Zum Vergleich: In Stuttgart sind es längst 9 Euro pro Quadratmeter. Bei der UWS lag die Durchschnittsmiete aller, also nicht nur der bezuschussten Wohnungen im August 2016 bei nur 5,43 Euro. Der Geschäftsführer Frank Pinsler: "Um eine bezahlbare Miete garantieren zu können, verzichten wir auf hohe Rendite."
Das unterscheidet die UWS von der städtischen Wohnungsgesellschaft SWSG in Stuttgart, die versucht, möglichst hohe Einnahmen zu erzielen, um ihre Bestände auszubauen, und zu diesem Zweck, etwa im Hallschlag oder in Zuffenhausen, auch kostengünstige Altbauten abreißt. Die Neubauwohnungen sind dann, bis auf einen kleineren Anteil an Sozialwohnungen, sehr viel teurer: Laut einer <link https: difu.de publikationen difu-berichte-12017 kommunaler-umgang-mit-gentrifizierung.html external-link-new-window>Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik eine der wichtigsten Ursachen für Mietpreisexplosion und Gentrifizierung.
Die Stadt behält ihren Grund und Boden – seit 125 Jahren
Ungefähr 7,50 Euro pro Quadratmeter kosten in Stuttgart Sozialwohnungen, anders sind sie angeblich nicht finanzierbar. Wie schafft es die UWS, wie schafft es die Stadt Ulm, so deutlich darunter zu bleiben? Das Grundstück am Keplerbogen gehört der Stadt. Die Stadt Stuttgart hätte ein solches Filetstück wohl an den meistbietenden Investor verkauft, der dann Büros, eine Shopping Mall oder Luxuswohnungen gebaut hätte. Nicht so Ulm. Die Stadt betreibt seit 125 Jahren eine konsequente Bodenvorratspolitik.
45 Quadratkilometer, das sind 37 Prozent des gesamten Stadtgebiets, gehören der Kommune selbst. Die Stadt hat es in der Hand, zu bestimmen, was wo gebaut wird und von wem. Sie kann frei entscheiden, dass am Keplerbogen die UWS, eine hundertprozentige Tochter der Stadt, zum Zug kommt und die Mieten in Grenzen hält. An dieser Politik haben bisher alle Bürgermeister festgehalten, unabhängig vom Parteibuch. Der derzeitige Amtsinhaber Günter Czisch (CDU) erklärt: "Wir sind faktisch der einzige Anbieter von Bauland in Ulm, und so können wir die Grundstückspreise kontrollieren und Einfluss auf die Baustandards nehmen."
Mindestens zwölf Millionen Euro investiert Ulm jährlich in den Erwerb neuer Grundstücke und weist neue Baugebiete erst aus, wenn die Stadt selbst Eigentümer ist. Dies gibt der Stadt einen großen Handlungsspielraum – was nicht bedeutet, dass sie sich automatisch in besonderer Weise um Wenigverdiener kümmert. Im Gebiet oberhalb des Ulmer Ostbahnhofs etwa, vom Bauherrn unter dem Namen "Wohnen am Michelsberg" vermarktet, entstanden in den vergangenen Jahren ausschließlich Eigentumswohnungen. Immerhin: der Quadratmeter kostete zwischen 2700 und 3600 Euro. In Stuttgart liegt der Preis für Neuwohnungen inzwischen bei 5740 Euro.
Auch auf dem großen Areal des ehemaligen Klinikums am Safranberg, wo auf 9,3 Hektar 485 Wohnungen entstehen sollen, war von Sozialwohnungen bisher nur wenig zu hören. Die grüne Gemeinderätin und Architektin Annette Weinreich fordert seit Jahren, verstärkt bezahlbaren Wohnraum zu fördern. Im Mai hat der Gemeinderat einen Anteil von 30 Prozent in allen Wohngebieten beschlossen.
Mit attraktiven Eigentumswohnungen werden Steuerzahler gehalten
Es geht jedoch nicht um Sozialwohnungen allein. In neuen Wohngebieten wie am Safranberg oder am Egginger Weg in der Weststadt werden geeignete Flächen für Baugemeinschaften reserviert, wie die Stadt Ulm auf ihrer Website ankündigt. Ihre Planungshoheit nutzt die Stadt auch, um Verkehrs- und Wohnungspolitik zu koordinieren: Das Baugebiet Egginger Weg liegt direkt <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne hier-geht-s-lang-4682.html internal-link-new-window>an der neuen Straßenbahnlinie 2. In fünf Minuten ins Stadtzentrum: wer holt da noch das Auto aus der Tiefgarage?
Ihr Monopol auf Grund und Boden nutzt die Stadt auch, um attraktive Eigentumswohnungen in Citynähe anbieten zu können: um den Wegzug der Steuerzahler aufs Land in Grenzen zu halten. Denn das Stadtgebiet ist begrenzt, Flächen für Einfamilienhäuser sind rar, zudem werden diese immer unerschwinglicher: Die Verkaufspreise für Eigentumswohnungen sind von 2009 bis 2016 um 70 Prozent gestiegen.
1 Kommentar verfügbar
Jue. So Jürgen Sojka
am 29.11.2017Bürgerinnen und Bürger planen selbst die Stadtgestaltung – mit AchitektenInnen und IngenieurenInnen aus der Bürgergesellschaft.
Viele Widerstände die zu überwinden waren, bis es soweit war, dass die Ulmer…