KONTEXT:Wochenzeitung
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Stadt der Wissenschaft und des Militärs

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Auf den ersten Blick fällt kaum ins Auge, dass Ulm lange Zeit vor allem Militärstandort war. Die Umorientierung von der Garnisons- zur Wissenschaftsstadt begann mit den Geschwistern Scholl und der Gründung der Hochschule für Gestaltung.

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Wer Ulm sagt, denkt ans Münster. Angesichts des höchsten Kirchturms der Welt übersieht man leicht, dass von der historischen Bausubstanz der mittelalterlichen Reichsstadt kaum etwas erhalten ist. Auch die jüngere Geschichte der Stadt tritt in den Schatten des imposanten Turms. Ein Jahrhundert lang war Ulm zuallererst Militärstandort. In der von 1842 bis 1859 erbauten Bundesfestung waren anfangs 5000 Soldaten stationiert – in einer Stadt mit 22 000 Einwohnern. Die Besatzung wuchs annähernd im selben Maße wie die Stadtbevölkerung. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war in Ulm jeder Fünfte Soldat. Jeder Fünfte: Das heißt zwei von fünf männlichen Bewohnern, Kinder und Greise mitgerechnet.

Die Bundesfestung ist das größte erhaltene Festungsbauwerk Deutschlands. In der Schlacht von Ulm besiegte Napoleon 1805 die österreichische Armee und teilte daraufhin die Stadt. Als Reaktion auf diese Niederlage planten Württemberg und Bayern gemeinsam die riesige Festungsanlage. Mit den zum Teil weit vorgelagerten Außenwerken fasste der ovale Ring Ulm und Neu-Ulm wieder zusammen. Gedacht für bis zu 100 000 Mann, wurde die Festung in der Realität niemals gebraucht. Schon um 1900 wurden Teile für Stadterweiterungen wieder abgetragen. Dennoch gab es hier in nationalsozialistischer Zeit so viele Soldaten wie nie.

1933 bis 1935 war das Fort Oberer Kuhberg das wichtigste württembergische Konzentrationslager. "Wir werden hinter Hitler stehn, und wenn wir durch die Hölle gehn", stand über dem Tor. Eine "Station zur Hölle" war das KZ in der Tat für mehr als 600 Regimegegner. Aus Ulm kam aber auch der Widerstandskreis der "Weißen Rose" um die Geschwister Hans und Sophie Scholl. Deren Vater Robert Scholl ernannten die Amerikaner 1945 sogar zum Oberbürgermeister, der allerdings drei Jahre später abgewählt wurde. Seine älteste Tochter Inge Aicher-Scholl stieß bei seinem Nachfolger Theodor Pfizer aber weiterhin auf ein offenes Ohr. Mit ihrem Mann Otl Aicher gründete sie die Ulmer Volkshochschule und dann die Hochschule für Gestaltung (HfG).

Prägend für das Gesicht der jungen Bundesrepublik

Auf der Rückseite des Oberen Kuhbergs, am äußersten Rand der Ulmer Weststadt, sollte ein Laboratorium für ein anderes, demokratisches Deutschland entstehen: Ein neues Bauhaus sollte die junge Bundesrepublik gestalten wie einst die Weimarer Hochschule die Weimarer Republik. Tatsächlich entstand an der HfG das Design für viele Dinge, die das Gesicht der Republik geprägt haben: etwa die U-Bahn-Wagen der Hamburger Hochbahn, das Corporate Design der Lufthansa oder die Musiktruhen der Firma Braun. Erster Rektor wurde der Schweizer Künstler und Architekt Max Bill, der den "Ulmer Hocker" und die Hochschulgebäude entwarf. Die letztlich unerfüllbar hohen Ansprüche führten freilich zu inneren Richtungskämpfen, welche die Landesregierung unter Hans Filbinger ausnutzte, um die unbequeme Hochschule 1968 wieder zu schließen.

Die HfG stand am Beginn eines Wandels der Stadt Ulm: von der Garnisonsstadt zur Wissenschaftsstadt. Ab 1960 kam die heutige Hochschule Ulm, damals Staatliche Ingenieurschule, auf dem Areal der Unteren Gaisenbergbastion hinzu. Die Universität, die in diesem Jahr ihr fünfzigjähriges Bestehen feiert, entstand ab 1969 zwischen zwei Festungswerken am Oberen Eselsberg. Beide Hochschulen waren technisch und wirtschaftsnah ausgerichtet. 1986 gab sich Ulm den Namen Wissenschaftsstadt. Zur selben Zeit richtete Daimler am Eselsberg ein Forschungszentrum ein, jüngste Aktivität ist ein gemeinsames Institut mit der Uni. Die Idee, Wissenschaft und Wirtschaft eng zu verzahnen, erwies sich als äußerst erfolgreich. Seine Position als Stadt mit der niedrigsten Arbeitslosenquote im Land bei vergleichsweise hohen Gehältern verdankt Ulm nicht Großunternehmen, sondern vor allem vielen kleinen, oft hoch spezialisierten Akteuren.

Aufarbeiten der Nazizeit? Lieber Bier und Sauerkraut!

Just im Jubiläumsjahr der Uni kam allerdings ein Schandfleck zum Vorschein – auch wenn die Fakten längst bekannt waren oder jedenfalls recherchierbar gewesen wären. Wie eine Historikerkommission zur Umbenennung von Straßen in Freiburg publik machte, war Ludwig Heilmeyer, der Gründungsrektor der Uni, schon kurz nach seiner Teilnahme an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik 1919, als Mitglied des rechten Freikorps Epp, eng mit den Nationalsozialisten verbandelt. Nach dem Krieg war er unbehelligt geblieben. Er sei Widerstandskämpfer gewesen, behauptete er – und deshalb Mitglied im antidemokratischen Frontsoldatenbund "Stahlhelm" gewesen. Wie es scheint, stand der Ex-Marinerichter Filbinger dem Nazi-Sympathisanten näher als dem Kreis der Geschwister Scholl.

<link http: www.gedenkstaettenforum.de nc gedenkstaetten-rundbrief rundbrief news ein_doppel_gesichtiges_baudenkmal_und_seine_wirkungen external-link-new-window>In Ulm kam die Aufarbeitung des Nationalsozialismus nur schleppend voran. Die frühere KZ-Kommandantur am Oberen Kuhberg war bis 1956 ein Ausflugslokal, wo es Bier und Sauerkraut gab. Von ehemaligen Widerstandskämpfern früh gefordert, wurde dort erst 1985 eine Gedenkstätte eingerichtet. Zwischen deren Trägerverein und dem Förderkreis Bundesfestung knisterte es immer wieder. <link http: dzok-ulm.de downloads external-link-new-window>Hinweise auf Hans und Sophie Scholl finden sich an zentralen Stellen der Stadt erst seit den 1990er Jahren. Seit 2000 werden sie in einer Dauerausstellung der Volkshochschule geehrt.

Die Festungsbauwerke dienen heute unterschiedlichsten Zwecken. Das Blaubeurer Tor steht verloren in einem Kreisverkehr, das Ehinger Tor ist eine Verkehrsdrehscheibe. In den Bastionen befinden sich unter anderem ein Studentencafé, eine Waldorfschule und das einzige professionelle türkische Theater Süddeutschlands. Das Militär ist fast überall abgezogen.

Nur auf der Rückseite der Wilhelmsburg gibt es weiterhin eine Kaserne. Hier werden seit 1989 die Auslandseinsätze der Bundeswehr koordiniert. Das Multinationale Kommando Operative Führung beschäftigt derzeit rund 450 Personen aus 13 Ländern. Einzelne Offiziere sind unter anderem in Mali, Afghanistan und Bagdad im Einsatz, bis vor Kurzem auch auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik. Das Kommando bereitet sich auch darauf vor, Auslandseinsätze der NATO anzuführen.


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1 Kommentar verfügbar

  • Stefan Collin
    am 07.09.2017
    Antworten
    Ich wohne seit ein paar Jahren in Ulm, lese sehr gerne den "Kontext" und bin erschrocken über diesen flachen, nichtssagenden Artikel. Was will der Autor damit sagen, das wird mir auch beim wiederholten durchlesen nicht klarer. Sicher hat Ulm diese militärische Vergangenheit und eine gewisse…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 15 Stunden
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