Ähnlichen Ärger gab es im September 2018 in der Evangelischen Akademie Bad Boll. Um die völlig vergiftete Diskussion zu versachlichen, lud die Akademie zu einer Tagung ein mit dem Titel "Krise der Dialogfähigkeit im Israel-Palästina-Konflikt." Wenige Tage vor Beginn der Veranstaltung meldete sich der Bundesvorsitzende der DIG, Volker Beck, mit dem Vorwurf, die Tagung sei als antiisraelisches BDS-Happening geplant und leiste antisemitischen Haltungen Vorschub. Ein Sturm der Entrüstung brach über die Akademie herein. Höhepunkt der Empörung: Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles erklärte, in Bad Boll plane man eine Tagung mit dem Ziel, sechs Millionen Juden zu ermorden. Fakt ist, die BDS-Bewegung war überhaupt nicht Thema der Tagung und niemand erhob während der Tagung irgendwelche Boykott-Forderungen.
Die Kampagne gegen Besatzungskritiker hat ein klares Muster. Zuerst wird behauptet, ein Referent, eine Ausstellung, eine Tagung habe etwas mit der Boykott-Bewegung zu tun. Da diese antisemitisch sei, wird dann erklärt, müsse die Tagung abgesagt, die Ausstellung abgehängt und der Referent zum Schweigen gebracht werden. Weder die Tagung in Bad-Boll noch die Nakba-Ausstellung oder Andreas Zumach sind Teil der Boykottbewegung. Allein der suggestive Vorwurf, es gäbe einen Nähe, reicht aus, um (mit der Antisemitismuskeule) Druck auszuüben, um Veranstaltungen zu verhindern. Deshalb muss sachlich über die Boykottbewegung Klarheit verschafft werden.
Hart auf hart zwischen Besatzungskritik und Boykott-Bewegung
Was ist die BDS? Die Boykott-, Deinvestitions- und Sanktionsbewegung wurde 2005 von rund 170 palästinensischen Organisationen gegründet. Ein Jahr zuvor erklärte der Internationale Gerichtshof (IGH), Israels Trennungsbarrieren seien illegal, Israel müsse diese unverzüglich abbauen und Reparationen an Geschädigte zahlen. Jeder Staat, so der IGH, sei verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sich Israel an das humanitäre Völkerrecht hält. Tatsächlich hatte das Gutachten des IGH keinerlei Folgen, es entstanden weitere israelische Siedlungen auf dem Gebiet, welches durch den Teilungsplan der UNO eigentlich für die Palästinenser vorgesehen war. Der Boykott-Aufruf der Palästinenser war eine Reaktion darauf. Die Palästinenser berufen sich auf Gandhis Boykott gegen die Engländer, auf Marin Luther King und auf Nelson Mandela. Die zentralen Forderungen lauteten: Ende der Besatzung der 1967 von Israel eroberten Gebiete, Rechtsgleichheit für die palästinensischen Bürgerinnen und Bürger Israels und Umsetzung der UNO-Resolution 194, also Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge.
Gerade die Rückkehrforderung löst bei der israelischen Regierung massive Kritik aus. Denn wenn alle sieben Millionen palästinensischen Flüchtlinge zurückkämen, wäre Israel in seiner Existenz gefährdet, und daher sei die BDS-Bewegung im Kern antisemitisch. Die Palästinenser dagegen argumentieren, dass von diesem von der UNO beschlossenen Recht ja nur ein Bruchteil der Betroffenen Gebrauch machen würde. Das sei vergleichbar dem bestehenden Einwanderungsrecht nach Israel für alle Juden dieser Welt, welches ja auch nur von wenigen in Anspruch genommen werde.
Die BDS-Bewegung und dem Feldzug des aktuellen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gegen sie haben die israelisch-palästinensische Debatte wesentlich verschärft. Große Firmen ziehen sich aus den besetzten Gebieten zurück, an vielen amerikanischen Universitäten wird darüber gestritten, ob die BDS-Bewegung antisemitisch ist oder ob Verbote das Recht auf Meinungsfreiheit verletzen.
Vieles an der Boykott-Bewegung ist fraglos kritikwürdig. Organisationen, die im palästinensisch-jüdischen Jugendaustausch engagiert sind, berichten, dieser leide unter dem Boykott-Druck. Begegnungen von Akademikern und Künstlern werden erschwert. Die Debatte um den Nahost-Konflikt ist regelrecht vergiftet, zumal die Boykottaufrufe in Deutschland Vergleiche mit "Kauft nicht bei Juden"- Parolen der Nazis hervorrufen und ausgewiesene Antisemiten wie der AfD-Politiker Wolfgang Gedeon Boykottaufrufe für ihre Zwecke nutzen.
Die Verbotswelle erscheint deshalb auf den ersten Blick verständlich. Viele Städte haben inzwischen beschlossen, dass es keine Raumvergaben für BDS-Veranstaltungen geben darf. Wenn wir uns jedoch klar machen, dass die beiden wohl prominentesten Vertreter der jüdischen Friedensbewegung in den USA, der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders und die Frontfrau der US-Demokraten, Dianne Feinstein, in vielen deutschen Städten Auftrittsverbot hätten, denn beide kämpfen leidenschaftlich gegen ein Verbot der BDS-Bewegung, dann wird deutlich, wie gefährlich und zutiefst undemokratisch diese Verbote sind. Es muss möglich sein, dass repressionsfrei über die Geschichte und die Gegenwart des Nahostkonflikts informiert wird. Daher muss dem fast schon hysterischen Verbotsgeschrei Einhalt geboten werden.
18 Kommentare verfügbar
M. Stocker
am 24.03.2019Dass Sie im wutbürgerischen Geschnaube schon mal ein paar Kleinigkeiten übersehen können, wundert mich jetzt nicht. Aber schön der Reihe nach. Diejenigen, die bei uns die Freiheit am Hindukusch meinen verteidigen zu müssen, oder mit ihrem imperialen Gehabe Europa zerstören (EZB, Schäuble,…