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Blümchen im Haar

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Im linken Zentrum "Ewwe longt's" in Mannheim gab's zur Eröffnung Pfefferspray und Kuchen. Seit Januar am Start, stehen die Uhren auf Anfang. Fest steht bislang nur: keine Sturmhauben, alles andere wird sich finden. Unsere Autorin hat sich vor Ort auf die Suche gemacht.

Freitagabend, 19 Uhr in der Neckarstadt-Ost, Mannheim. Beim Penny ist noch ein bisschen was los, ansonsten sind die schmalen Straßen zwischen den Jugendstilbauten leergefegt vom Nieselregen. Nur vor dem neuen Linken Zentrum stehen eine Handvoll junger Leute herum. Erwartungsvoll, ein bisschen aufgeregt. Wie viele werden wohl kommen zur ersten "Offenen Kneipe"?

Zwei Stunden später wird es rappelvoll sein. Rund 60 Menschen werden reden, lachen, diskutieren, ein Bier oder einen Tee trinken, Chips futtern. Aus Glasschüsseln, nicht aus der Tüte. Ganz normale Menschen auf zwei Zimmer, eine Küche und ein bisschen Flur verteilt. Alles blitzblank hier, weißgestrichene Wände, ein paar Tische, Stühle, ein Sofa, ein bisschen Büro, ein Beamer an der Decke, eine rote Fahne an der Wand. "Da kommen schon noch ein paar Bilder hin." Es klingt entschuldigend. Geraucht wird draußen und die Kippen kommen in den Aschenbecher und nicht auf die Straße, eine Ikea-Palme mit Lichterkette steht neben der Tür, und wenn da nicht wenigstens der Übertopf fehlen würde, wäre es fast schon ein bisschen unheimlich perfekt.

"Ewwe longt's" (kurpfälzisch für jetzt reicht es) heißt das durch Spenden finanzierte Linke Zentrum, das knapp zwei Wochen vorher eröffnet worden ist und es ruckzuck auch überregional in die Presse geschafft hat, weil ein paar rechte Störenfriede bei den Eröffnungsfeierlichkeiten unter anderem mit Pfefferspray unangenehm aufgefallen sind. "Wir hatten zig Presseanfragen", erzählt Vincent. "Allerdings drehten sich alle nur um den Übergriff. Der wurde in den Medien reichlich überhöht. Für uns stand die Eröffnung im Mittelpunkt." Vincent nimmt es locker. "Zuerst hat uns der Vorfall sehr angekotzt, weil die Rechten versucht haben, unsere Feier kaputtzumachen. Aber letztlich hat uns die Geschichte eine gewaltige Solidaritätswelle gebracht." Und dann ist dazu auch schon alles gesagt.

Vincent ist 21 und arbeitet in einer Werbeagentur. Er ist einer der rund 20 Menschen im Aktivkreis, die das "Ewwe longt's" realisiert haben. Räume, fernab vom "AZ-Image mit zugetaggten Wänden". Ein Dreivierteljahr hat es gedauert von der Idee bis zur Eröffnung. Am schwierigsten war die Suche nach dem geeigneten Platz. Eigentlich wollten sie lieber in der Neckarstadt-West Quartier nehmen. "Da ist mehr Multikulti und viele von uns leben dort." Aber das hat nicht geklappt, und schließlich ist das Ladengeschäft in der Kobellstraße ein Glücksgriff, denn der Blick auf Immoscout zeigt, dass die Vierzimmerwohnung im Jugendstilhaus zwei Häuser weiter nach Sanierung satte Einsfünf kalt kostet. Ja, es gibt auch noch günstigeren Wohnraum in der Neckarstadt, aber die Mieten steigen, es wird knapp. Die Gentrifizierung wird auch hier langsam zum Problem. Auch wenn es noch nicht so schlimm sei wie im Jungbusch, sagt Vincent. Alle hier sehen das dennoch kritisch.

Die Idee hinter dem "Ewwe longt's" sind freie Räume, selbstverwaltet, unabhängig. Geschaffen von politisch und gesellschaftlich aktiven Menschen mit großen Zielen. "Wir wollen gemeinsam Perspektiven für eine solidarische und klassenlose Gesellschaft entwickeln", so das Selbstverständnis der Initiative. Das Durchschnittsalter der Aktiven aktuell liegt bei Mitte 20.

Geplant sind Vorträge, Diskussionen, Workshops, Lesekreise und mal sehen. Die "Offene Kneipe" freitagabends, immer von 19 bis 22 Uhr, soll ein erster Anstoß sein, sich zu treffen. Ideen zu entwickeln. Außerdem gibt es montags ein Café. Der Rest wird sich finden. Willkommen sind nicht nur Neckarstädter, willkommen ist jeder, der sich mit den Zielen der Initiative identifizieren kann - und das ist nicht daher gesagt an jenem Freitagabend. Das wird hier gelebt.

Dabei ist der Anspruch klar definiert: antikapitalistisch, antifaschistisch, antimilitaristisch. Und wie geht das mit dem Antikapitalismus und der Arbeit in der Werbeagentur so zusammen? Vincent muss schmunzeln. Erwischt. "Man kann nicht widerspruchsfrei arbeiten", sagt er dann ernst, und "ich hab dort viel gelernt, was mir auch hier nutzt."

Ikea-Palme vor der Tür

Nicht nur Vincent bringt sein Wissen in das Projekt ein. Hier bündelt sich eine enorme Vielfalt an Fähigkeiten. "Wir haben Techniker, Grafiker, Tischler, Studenten, Schüler, Menschen aus dem Pflegebereich und einen Gewerkschaftssekretär."

An jenem Abend sind auffallend viele Menschen mit Pflegeberufen da. Dina zum Beispiel. Sie ist 24 Jahre alt, wohnt seit sechs Jahren in der Neckarstadt, arbeitet um die Ecke, schätzt die Atmosphäre des Viertels, fühlt sich hier wohl und sicher. Auch nachts allein auf der Straße? "Klar." Lediglich den "Alten Messplatz" meide sie. Nicht aus Angst, sondern weil der inzwischen mit Kameras überwacht wird. Das behagt ihr nicht. Es ist ein Pilotprojekt, es sind intelligente Kameras, die auf "ungewöhnliche Bewegungen" reagieren. "Was ist denn eine ungewöhnliche Bewegung? Wenn ich zur Straßenbahn renne oder wenn sich ein Obdachloser besonders lange an einem Ort aufhält?", fragt Dina und erwartet keine Antwort.

Sandra, 23, betreut Senioren. Sie sieht das ähnlich und geht noch einen Schritt weiter: "Ich glaube nicht, dass die Kameras irgendetwas bringen. Die Leute fühlen sich nur sicherer." Sie selbst braucht das nicht. "Ich hab noch nie eine schlechte Erfahrung hier gemacht." Dabei gilt die Neckarstadt-West durchaus als Problemviertel. Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, die der "Mannheimer Morgen" letzten November in Auftrag gegeben hat, erklärten 47 Prozent der Befragten, dass sie bestimmte Bereiche dort "aus Angst meiden" würden. Dina und Sandra gehören offensichtlich nicht dazu.

Nadja, 30, lehnt am Küchentresen, ist Illustratorin und hat das "Ewwe longt's"-Logo entworfen. Sie will, wie alle hier, auch "den Leuten klar machen, dass es hier nicht darum geht, extremistische Dinge zu tun. Sondern dass wir reden, diskutieren, Entscheidungen gemeinsam treffen." Ja, das sei durchaus manchmal anstrengend bei 20 Aktiven. Da aber alle eine gemeinsame Lösung suchen, klappe es eben doch.

Schwer sei, von "diesem Molotow-Cocktail-Image" loszukommen. Nadja sagt schmunzelnd: "Es muss wirklich niemand Angst haben, dass wir hier mit Sturmhauben rumsitzen." Sie trägt ein Blümchen im Haar.

Die 37-jährige Katrin hat wohl keine Angst vor SturmhaubenträgerInnen. Katrin ist Professorin, unterrichtet an der SRH Heidelberg im Studiengang Soziale Arbeit und hat zwei Studierende aus ihrer Fachschaft zur "Offenen Kneipe" mitgebracht. Das "Ewwe longt's"-Projekt findet sie großartig, von den Räumen ist sie begeistern, von den Menschen auch. Sie erhofft sich Synergieeffekte, "vielleicht kann ich mit meinen Studierenden auch mal hierherkommen, einen Filmabend gestalten oder offene Diskussionen."

Student Marcel nickt und zupft sich ein bisschen schüchtern am Hemdsärmel. So ganz genau weiß er noch nicht, was er hier konkret machen kann. Aber er findet: "Man sollte solche Projekte unterstützen. Allein schon deshalb, um zu zeigen, dass wir gegen den Rechtsruck und den Populismus in unserer Gesellschaft sind. Und gegen soziale Ungleichheit."


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