KONTEXT:Wochenzeitung
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"Die Besatzung ist völkerrechtswidrig"

"Die Besatzung ist völkerrechtswidrig"
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Seit dem Sechstagekrieg vor 50 Jahren steht das Westjordanland unter israelischer Besatzung. Annette Groth, Bundestagsabgeordnete der Linken, ist eine der wenigen ParlamentarierInnen, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzen.

Frau Groth, Winfried Kretschmann hat Ende März Israel und die Westbank besucht. Nun schreibt die "Jerusalem Post", informiert von einer Stuttgarter Gewerkschaftssekretärin ...

... Bärbel Illi ...

... Kretschmann habe den Hassprediger Mitri Raheb mit einem Scheck über 30 000 Euro für eine Solaranlage gefördert. Wer ist dieser Hassprediger?

Mitri Raheb ist ein Theologe (lacht). Genau das Gegenteil von einem Hassprediger, sehr leise, sehr ruhig, einer der Mahner. Ich habe ihn in den 80er Jahren in Stuttgart beim Kirchentag kennengelernt. Er versucht seit Jahrzehnten, die Kirchen zu einer klaren Stellungnahme zu bewegen und ChristInnen für eine Zukunftsperspektive in Palästina zu gewinnen. Die Solaranlage ist für ein ökumenisches Zentrum gedacht.

Den Artikel in der Jerusalem Post hat Benjamin Weinthal geschrieben. Wann immer es irgendwo eine Veranstaltung gibt zur Menschenrechtslage in Israel/Palästina, schießt er aus allen Rohren und beschuldigt die Referenten des Antisemitismus. Ich habe gerade eine Broschüre über behinderte und abgesagte Veranstaltungen zur Lage in Palästina herausgebracht. Zuletzt wurde eine Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing abgesagt. Die <link https: www.kopi-online.de wordpress external-link-new-window>Jahrestagung des Koordinationskreises Palästina Israel (KoPI) in Frankfurt konnte nur aufgrund eines Urteils des Verwaltungsgerichts im Ökohaus durchgesetzt werden.

Der Artikel spricht von einem <link https: www.oikoumene.org de resources documents other-ecumenical-bodies kairos-palestine-document external-link-new-window>Kairos-Palästina-Dokument, veröffentlicht auf der Website des Ökumenischen Rats der Kirchen. Da steht viel von Glaube, Liebe, Hoffnung – aber auch von Boykott.

... die BDS-Kampagne.

Was ist das?

BDS heißt Boykott, Deinvestition und Sanktionen. Das ist eine Kampagne, die 2005 nach der Zweiten Intifada ins Leben gerufen wurde, als eine Form des gewaltlosen Widerstands nach dem Modell von Südafrika. Wir in Deutschland tun uns damit besonders schwer. In den USA haben etliche Kirchen ihre milliardenschweren Pensionsfonds von Aktienpaketen von Caterpillar oder Hewlett Packard wegen deren Engagements in Israel abgezogen. Diese Deinvestitionspolitik gilt gerade bei Kirchen als probates Mittel, um die PalästinenserInnen zu unterstützen und auf Apartheid und gravierende Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen.

Durch einen Boykott von Waren aus Israel?

Es wird uns immer vorgeworfen, dass wir angeblich fordern würden "Kauft nicht bei Juden". Es geht aber um Waren aus illegalen Siedlungen in den besetzten Gebieten, deren Verkauf völkerrechtswidrig ist. Das muss man laut sagen. Die EU hat vor einigen Jahren eine Kennzeichnungspflicht für solche Waren beschlossen. Viele Großhändler halten sich daran noch nicht. 90 Prozent der Datteln, schätzt man, kommen aus den illegal besetzten Gebieten. Auf diesen Waren steht oft wahrheitswidrig "Israel" als Herkunftsort drauf.

Auch die Bundesregierung hat hierzu <link http: dipbt.bundestag.de extrakt ba wp17 external-link-new-window>eine klare Position in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen bezogen: "Eine Kennzeichnung 'Made in Israel' ist nach Auffassung der Bundesregierung nur zulässig für Produkte aus dem israelischen Staatsgebiet innerhalb der Grenzen von vor 1967."

Wie sieht die Kennzeichnung aus?

Es sollte "Produkt aus israelischer Siedlung im Westjordanland" darauf stehen. Wir machen manchmal Aktionen, zum Beispiel gegen Ahava-Kosmetik, die vom Toten Meer kommt oder gegen Hewlett Packard. HP liefert die Sensoren und Überwachungskameras für die Checkpoints und Gefängnisse für Israel. Was mir noch am Herzen liegt: Wir fordern die Aussetzung des Assoziierungsabkommens der EU mit Israel, um ökonomischen Druck auszuüben. Insbesondere müssen sofort alle Waffenlieferungen in die Region gestoppt werden.

Wie kommt es, dass Sie sich für Palästina engagieren?

Ich war in den 1970er Jahren aktiv in der Anti-Apartheits-Bewegung, viele der damals Aktiven engagieren sich heute für Palästina. Im Bundestag habe ich mich oft gefragt, warum es so wenige Abgeordnete gibt, die sich mit Palästina beschäftigen: Dieses Thema ist nicht karrierefördernd. Ähnlich bei JournalistInnen: Man kann sehr schnell und auf sehr üble Weise verleumdet werden.

Lässt sich die Apartheid mit der Situation in Israel vergleichen?

2011 war ich auf einer Konferenz des Russell-Tribunals zu Israel/Palästina in Kapstadt. Der Ideengeber war Stéphane Hessel, der das Buch "Empört Euch" verfasst hat. Nach den Zeugenaussagen über die gravierenden Menschenrechtsverletzungen sagte der Generalsekretär der COSATU-Gewerkschaft in Südafrika, dass die Apartheid in Israel/Palästina schlimmer sei als in Südafrika, weil AfrikanerInnen bei Gesetzesverstößen, zum Beispiel Verstößen gegen die Passgesetze, immer gewusst hätten, welche Strafe sie dafür erhielten. Das ist in Israel/Palästina anders, da Gefängnisstrafen immer wieder verlängert werden können. Richard Falk, ein renommierter Völkerrechtler, mit dem ich ein Buch herausgebe, hat einen Report für eine UN-Kommission geschrieben, und juristisch ausgeführt, warum die israelische Politik Apartheid ist.

Die UN hat mehrfach Resolutionen gegen den Siedlungsbau erlassen ...

Die Besatzung ist völkerrechtswidrig. Sie widerspricht etlichen UN-Konventionen, ganz krass beim Thema Wasser. Seit der Besatzung ist kein einziger palästinensischer Brunnen gebaut worden. Man braucht für alles eine Genehmigung. Wäre ich Israelin könnte ich Brunnen meiner palästinensischen Nachbarn zerstören, so dass sie kein Wasser mehr haben, ich könnte auch Brunnen bauen. Das dürfen PalästinenserInnen nicht. Auch die Mauer ist völkerrechtswidrig, sie ist hauptsächlich auf palästinensischem Gebiet gebaut. Es gibt Administrativhaft, die unbegrenzt verlängert werden kann. Auch das ist völkerrechtswidrig.

Im Moment befinden sich 1500 Palästinenser im Hungerstreik.

Das ist der letzte Ausweg, auch um die internationale Gemeinschaft über die schrecklichen Haftbedingungen zu informieren. Letztes Jahr war die jüngste Gefangene der Welt ein zwölfjähriges palästinensisches Mädchen. 13 demokratisch gewählte Abgeordnete sind in israelischen Militärgefängnissen, und ca. 400 Kinder und Jugendliche.

Wann sind Sie zum letzten Mal dort gewesen?

Ich habe mit der Free-Gaza-Flottille versucht, in den abgeriegelten Gazastreifen zu kommen. Das ist, wie bekannt, kläglich gescheitert.

Das war also Ihr einziger Israel-Besuch. Wie kam es dazu?

Ich war Mitglied der fünfköpfigen Pax-Christi-Delegation und anfangs waren wir auf den beiden US-amerikanischen Challenger-Schiffen, die aber sabotiert wurden. Darum sind wir auf hoher See auf die Mavi Marmara umgestiegen.

Das Schiff befand sich in internationalen Hoheitsgewässern, als es von israelischen Soldaten vom Hubschrauber aus angegriffen wurde.

Sie haben gleich angefangen zu schießen, so wurde mir erzählt. Wir waren unter Deck. Morgens um vier, halb fünf, kam es durch die Lautsprecher: Das Schiff ist besetzt, israelische Soldaten sind an Bord, wir sollten uns ruhig verhalten. Dann ist das eingetreten, was mir ein Journalist aus Tel Aviv schon vorher angekündigt hatte: In Ashdod, da wird schon ein Gefängnis für Sie aufgebaut.

Was war das Ziel der Freedom Flottille?

Die Gaza-Blockade zu durchbrechen, um ein politisches Zeichen zu setzen und dringend benötigte Medikamente hinzubringen, auch Kleidung, Rollstühle und vieles mehr.

Die IHH, die das Schiff finanziert hat, wurde anschließend in Deutschland verboten.

Die IHH ist eine der größten Hilfsorganisation weltweit, die bei der Uno registriert ist. Man hat versucht, sie als Hamas-Freunde darzustellen, um das gesamte Vorhaben zu diskreditieren.

Sie sagten, Ihre Position wird nicht von allen in Ihrer Partei getragen.

Gregor Gysi hat im Zusammenhang mit Israel das Wort Staatsräson benutzt. Egal welcher Staat aber Menschenrechtsverletzungen begeht, darf man dazu nicht schweigen. Etliche KollegInnen aus meiner, wie auch aus anderen Parteien, geben mir in persönlichen Gesprächen Recht, Sie finden es gut, dass ich das thematisiere. Ich finde, gerade eine linke Partei muss klar Stellung beziehen. Wir haben viele Briefe von linken Israelis erhalten, die die Partei und die Fraktion DIE LINKE auffordern, sie nicht im Stich zu lassen und sie bei ihrem Kampf um Gerechtigkeit und Frieden aktiv zu unterstützen.

Sigmar Gabriel hat sich in Israel mit Vertretern von B'tselem und Breaking the Silence getroffen.

Das war sehr gut und hat Breaking the Silence noch bekannter gemacht. Breaking the Silence ist eine Organisation von israelischen SoldatInnen, die ein Ende der Straflosigkeit von Kriegsverbrechen fordert. Diese SoldatInnen geben zu, dass sie in den Gaza-Kriegen Kriegsverbrechen begehen mussten und fordern gerichtliche Untersuchungen. Sie werden von der israelischen Regierung offen als VerräterInnen bezeichnet. Alle Menschenrechtsorganisationen in Israel stehen unter großen Druck; B'tselem auch. Die MitarbeiterInnen erhalten Morddrohungen. Sie brauchen unsere Unterstützung.

 

Info:

Die erwähnte Broschüre über behinderte und abgesagte Veranstaltungen zur Lage in Palästina ist unter dem Titel "Meinungsfreiheit bedroht" soeben erschienen. Zu bestellen bei Annette Groth, anngroth@posteo.de, € 5,- inklusive Porto.

Im Oktober erscheint im Papyrossa Verlag ein Buch von Richard Falk, Annette Groth und Norman Paech unter dem Titel: "Palästina – Vertreibung, Krieg und Besatzung. Wie der Konflikt die Demokratie untergräbt."


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25 Kommentare verfügbar

  • Andromeda Müller
    am 06.07.2017
    Antworten
    Sehr geehrter Herr Sholem , sehr geehrte Elisabeth .
    Danke für ihr Einverständnis , Herr Sholem , daß die Herkunft eines Kritikers israels egal ist .
    Insofern sollte man weder einen jüdischen noch nicht jüdischen , z.B. einen arabisch- semitischen oder europäischen , Kritiker jemals per se als…
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