Darin war die Rede von einer "Überforderung des Landes", die eine Änderung der derzeitigen Zuwanderungspraxis durch Rückkehr zur strikten Anwendung des geltenden Rechts dringend gebiete. Die Unterschriften von 44 Abgeordneten aus der 311-köpfigen Unionsfraktion schmückten das Schreiben, das in der Führungsetage der Christdemokraten allerdings gar nicht gut ankam. "Einfach mal die Klappe halten und arbeiten. Machen und nicht nur reden", kommentierte etwa CDU-Vize Julia Klöckner die Protestpost. Selbst in heimischen Gefilden, wo damals gerade die heiße Phase des Landtagswahlkampfs begann, distanzierte sich der CDU-Kreisverband Schwäbisch Hall vom "lieben Christian", ebenfalls per Brief: Von Stettens "Aussagen, dass der Wahlkreis uneingeschränkt hinter Deinen Thesen steht", stimme nicht, schrieb der Vorstand. Die Debatten um Flüchtlinge seien "von Populismus und Ängsten geleitet", was doch sicherlich nicht von Stettens Ziel sei.
Bis dahin hatte von Stetten nur einen Pokal in der Vitrine stehen gehabt, den des schönsten Politikers im Hohen Haus. 2003, ein Jahr nachdem er das Bundestagsmandat von seinem Vater Wolfgang zu Stetten übernommen hatte, wurde der damals 32-jährige Reichstags-Novize von Parlaments-Mitarbeiterinnen zum "Mr. Bundestag" gewählt. 2013 erneuerten die "BILD.de"-Leser das Votum mit 32 Prozent der Stimmen.
Gewisse Eitelkeiten trägt der 46-Jährige weiter mit sich rum, wie sich <link http: www.christian-stetten.de external-link-new-window>auf seiner Internet-Seite zeigt. Während alle anderen Abgeordnetenkollegen online im jeweiligen Parteiendesign erscheinen, schmückt von Stettens reich bebilderter Webauftritt der Bundesadler.
Schöne Bilder vom türkischen Incirlik
Dabei machte der Adelige in seiner Politikerkarriere nicht nur als Parlaments-Schönling und Merkel-Brutus Schlagzeilen. Als Vertreter des CDU-Wirtschaftsflügels kämpfte er auch gegen die Euro- und Griechenland-Rettung, die Rente mit 63 und gegen eine Erbschaftsteuerreform. Wie Seehofer verstand es von Stetten stets, sich durch ausgefallene Aktionen in Szene zu setzen. Im Sommer 2012 beschäftigte er kurzzeitig den Gangster-Rapper Bushido in seinem Bundestagsbüro. Das viertägige Praktikum hatte ein türkischstämmiger Geschäftspartner des Freiherrn vermittelt. Dieser soll Mitglied des berüchtigten, in Berlin ansässigen Abou-Chaker-Clans sein, dem auch Bushido nahestehe, berichtete kurz darauf der "Stern".
Zwischenzeitlich ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen den Geschäftspartner. In die Ermittlungsakten Eingang fand ein Scheck in Höhe von 30 000 Euro, den von Stetten diesem ausgestellt hatte – zur Rückabwicklung der geplatzten Markteinführung eines Energydrinks, wie von Stetten betonte. Die Ermittlungen wurden ergebnislos eingestellt. Später distanzierte sich von Stetten öffentlich von seinem rappenden Praktikanten. Er habe vor und nach dem Praktikum keinen Kontakt zu Bushido gehabt, und er pflege auch keine Kontakte zu der Familie, mit der Rapper in Zusammenhang gebracht wird, ließ er die Medien wissen.
Im vergangenen Sommer löste zu Stetten erneut Aufregung mit einer Reise zur türkischen Nato-Militärbasis Incirlik aus, wenige Wochen nachdem der Bundestag seine Armenien-Resolution verabschiedet hatte. Als Reaktion auf die Abstimmung verwehrte die Türkei einer Parlamentariergruppe den Besuch der dort stationierten Bundeswehrsoldaten. Von Stetten machte sich kurz darauf auf eigene Faust zum Stützpunkt auf - und wurde trotz Live-TV-Schalte nach Deutschland nicht eingelassen. Der Lohn für die Mühe: ein großer Bericht in der "Bild", schön bebildert mit Aufnahmen, die von Stetten am Zaun der Luftwaffenbasis zeigen.
In die aktuelle bajuwarische Lobpreisung von Seehofer auf Merkel mag der Adelige aus dem Kochertal (noch) nicht einstimmen, auch wenn er bei der Bundestagswahl im Herbst zum fünften Mal in Folge das Direktmandat holen will (52,3 Prozent Stimmenanteil in 2013). "Herr von Stetten hat es damals nicht nachvollziehen können, dass die an der deutschen Grenze Einreisenden weder kontrolliert, noch registriert werden. Seine Kritik an der Bundesregierung war damals heftig und erfolgreich", lässt er auf Kontext-Anfrage aus seinem Bundestagsbüro mitteilen. Inzwischen werde an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich wieder kontrolliert, registriert und auch bestimme Personengruppen zurückgeschickt, heißt es ergänzend aus seinem Büro. Ansonsten ist der Abgeordnete zum Thema Flüchtlingspolitik leider nicht zu sprechen, weil unterwegs.
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