Globalisierungskritiker waren lange Zeit Nomaden. Sie zogen von einem Gipfeltreffen zum nächsten, um gegen die herrschenden Verhältnisse zu demonstrieren, die ihnen von einem Komplex aus Großkonzernen, Finanzkapital und Politik gesteuert schienen. Anders die großen Protestbewegungen, die vor allem nach 2011 auf den Plan traten. Der arabische Frühling mag mit den Indignados in Spanien oder Occupy Wall Street in New York City auf den ersten Blick wenig gemein haben. Alle drei, wie auch eine ganze Reihe weiterer Protestbewegungen, verbindet aber ihr ausgesprochen urbaner Charakter und ihr starker lokaler Bezug. Tahrir-Platz, Puerta del Sol, Zucotti Park – öffentliche Plätze sind zum Symbol der Proteste geworden, zum Symbol einer Erneuerung von Demokratie und Zivilgesellschaft, die letztlich eine Revolution bedeuten könnte. Welche Bedingungen begünstigen gerade jetzt das Entstehen ortsgebundener, städtischer Bewegungen? Worin liegt ihre spezifische Macht? Und – was ist zu tun?
Bereits seit den 1980er Jahren wird ein Großteil der Wertschöpfung in der BRD im tertiären Bereich erzielt, in Handel und Dienstleistung also. Die beiden einzigen deutschen unter den 20 umsatzstärksten Unternehmen der Welt sind allerdings nach wie vor die Autobauer Volkswagen und Daimler. Die deutsche Volkswirtschaft bleibt abhängig von den Großen im produzierenden Gewerbe. Der Schutz der entsprechenden Unternehmen scheint oberste Priorität der Bundesregierung zu sein. Wie sonst ließe sich die Untätigkeit bei Emissionen und Umweltstandards erklären? Die Betrügereien der Autobauer beim Dieselmotor, die von deutschen Behörden offensichtlich geduldet wurden, sind nur ein Beispiel unter vielen.
Das Festhalten an überkommenen Wirtschaftsformen und der entsprechenden Technologie gefährdet die öffentliche Gesundheit. Es bedeutet aber auch – und das ist mindestens ebenso skandalös – einen Anschlag auf die Zukunft des Landes. Viel wichtiger als Schadensbegrenzung in der Dieselaffäre wäre das Nachdenken darüber, wie immaterielle Formen der Wertschöpfung aussehen könnten. Antworten werden nur in den Städten zu finden sein.
Die spezifische Raumordnung der Industriegesellschaft allerdings ist im Grunde antiurban. Wohnen und Arbeiten finden getrennt auf jeweils dazu ausgewiesenen Flächen statt. Das Stadtzentrum dient als Kulisse für Einzelhandel und Gastronomie. Zwischen den Sphären lässt sich leicht mit dem PKW auf bestens ausgebauten Straßen pendeln. Die Automobilwirtschaft war so lange fast autark: Der Industriearbeiter war für ein Leben in der industriellen Raumordnung nicht nur auf seinen Lohn angewiesen, sondern auch auf ein eigenes Automobil.
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