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Ein modernes Robin-Hood-Ding

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Datum:

Raum für Kultur, Künstler, Initiativen, soziale Projekte – die Kulturinsel in Bad Cannstatt, im ehemaligen Zollamts-Areal, ist ein Kleinod, wie es sonst in Stuttgart kein zweites gibt. Nun droht ein Teilabriss.

Im kalten Februar wächst noch nichts? Weit gefehlt! Mangold, dazu Gartenkräuter wie Petersilie, Thymian, Salbei oder Rosmarin gedeihen in selbst gezimmerten Holzkisten, in Autoreifen, Badewannen, Tonnen, Einkaufswagen oder sogar auf einem ausrangierten Klavier. Studenten der Uni Hohenheim testen in einigen Beeten digital gesteuerte Bewässerungsmethoden, und auch das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit hat hier ein "Lernbeet", wie Joachim Petzold, Geschäftsführer der Kulturinsel, erläutert. "Die haben uns selber recherchiert, angerufen und gesagt, dass sie uns super finden." Mit piefiger Schrebergarten-Idylle hat dieser Garten nichts zu tun.

Der "Inselgrün"-Garten ist für Petzold das Herzstück der Kulturinsel, kurz KIS. Viel Charme hat auch der Rest des ehemaligen Zollamt-Areals in Bad Cannstatt. Im Innenhof des Backstein-Komplexes ist im Sommer ein Biergarten untergebracht, es gibt ein kostenloses Open-Air-Kino, die verschiedenen Gebäudeteile können für Veranstaltungen gemietet werden oder werden auch, wenn es beispielsweise soziale Projekte sind, kostenlos zur Verfügung gestellt. Eine kleine Oase in der Stadt am Rande der riesigen Brache, die mal zum Baugebiet Neckarpark werden soll.

"Wir wollen Räume für alle gesellschaftliche Schichten im Quartier bieten", sagt Petzold. Hier finden Deutschkurse für Flüchtlinge statt, hier trifft sich die Initiative Joblinge, die junge Menschen bei der Arbeitssuche unterstützt. Und immer wieder treffen sich diese Gruppen auch mit Unternehmern. "Unsere Idee ist: Subkultur trifft Industrie", sagt Petzold, wobei er Subkultur sehr breit versteht: "Alle Kulturen, für die es zu wenig Öffentlichkeit gibt." Es gehe ihnen darum, große Unternehmen mit sozialen Themen in Verbindung zu bringen – damit diese ihr Geld auch in soziale Projekte stecken, die von der Stadt nicht finanziert werden. "Ein modernes Robin-Hood-Ding", so Petzold.

Mit dem Charme des Ensembles könnte es bald zu Ende sein

Seit 2012 gibt es die Kulturinsel. Betrieben wird sie von einer gemeinnützigen GmbH, fast komplett selbstfinanziert. Geschäftsführer ist Joachim Petzold, der in den Räumen auch mit seiner Event-Agentur "JP Promotion" untergebracht ist. Die Kulturinsel begann als Projekt dieser Agentur, wird immer noch bei Bedarf von ihr querfinanziert. Auf Messers Schneide ist das oft, im letzten Jahr war eine Crowdfunding-Aktion nötig, um das Angebot der KIS aufrecht erhalten zu können.

Mit dem Charme des Ensembles könnte es bald ein Ende haben. Denn laut einer Anfang Februar vorgestellten Machbarkeitsstudie soll die Güterabfertigungshalle und das angrenzende "Türmchen", abgerissen werden. Auch der Garten Inselgrün stünde vor dem Aus. Sie stehen Straßen und Gebäuden des geplanten Neckarpark-Quartiers im Weg. Abgesehen davon, dass sich dadurch der Charakter des Innenhofs massiv verändern würde, wären auch viele der aktuellen Nutzungen nicht mehr möglich. Veranstaltungen etwa, die momentan in den Räumen des ehemaligen Clubs Zollamt stattfinden.

Das mutet ein wenig absurd an. Denn im vergangenen Sommer schien die Kulturinsel gerettet. Die Stadträte von Grünen, CDU, SÖS-Linke-Plus, FDP und Stadtisten brachten am 29. Juni 2017 einen interfraktionellen Antrag in den Gemeinderat ein, Titel: "Kulturinsel (KIS) erhalten!". Die KIS, stand darin zu lesen, habe sich "zu einem unverzichtbaren kulturellen Baustein weit über den Stadtteil hinaus entwickelt". Gelobt wurde ausdrücklich auch, dass so oft Räume an soziale Projekte vergeben werden und eine engte Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen bestehe. "Die Angebote und Kooperationen", heißt es weiter, "sollen im Fall einer planbaren Zukunft weiter ausgebaut werden."

Der Antrag wurde darauf im Umwelt- und Technik-Ausschuss der Stadt (UTA) diskutiert. Bei der Sitzung wurde entschieden, dass bislang im Neckarpark-Neubaugebiet liegende Zollamts-Areal dem angrenzenden Sanierungsgebiet Veielbrunnen zuzuschlagen, wodurch dafür auch Sanierungsmittel aus dem Haushalt und Bundes-Zuschüsse eingesetzt werden können. Im Protokoll heißt es, "die Verwaltung stehe einem Erhalt der Kulturinsel sehr aufgeschlossen gegenüber", und das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung "werde demnächst eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben, wie das dortige Areal mit den unterschiedlichen Nutzungsanforderungen und Potenzialen entwickelt werden könne."

Cannstatter Bezirksbeirat macht sich für Bürgerbeteiligung stark 

Nun liegt diese Studie vor und sie sieht eine erhebliche Beschneidung des Areals vor. Die damaligen Beteuerungen wirken vor diesem Hintergrund eher wie blumige Rhetorik. Wie sollen so die Angebote und Kooperationen der KIS weiter ausgebaut werden? Fragt man bei den Fraktionen und Stadträten im Gemeinderat nach, die den Antrag eingebracht hatten, finden sich indes nur die Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-Plus und Einzelstadtrat Ralph Schertlen von den Stadtisten, die einen Kompletterhalt des Areals befürworten. Grüne, CDU, FDP und SPD scheinen mit dem Abriss der südlichen Gebäudeteile und dem Verlust des Gartens wenig Probleme zu haben.

Auf Kontext-Anfrage betont die stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Beate Bulle-Schmid, ihre Fraktion "hält einen Abriss der Güterabfertigung für vertretbar, da diese nicht Teil des historischen Zollamts ist". Und Grünen-Fraktionsvize Andreas G. Winter sieht auch keine Notwendigkeit, "die Halle zu erhalten und aufwändig zu sanieren". Denn letzteres wäre wegen Brandschutz- und energetischen Anforderungen zwingend. Gleichwohl betont Winter seine große Sympathie für die "hervorragende Arbeit" der KIS, findet auch "Inselgrün" ein "sehr interessantes Projekt" und verspricht, dass sowohl beim Garten als auch dem Türmchen ein Erhalt geprüft werde.

Joachim Petzold wirbt bei der Stadt um einen umfassenden Erhalt der bestehenden Strukturen. Und kürzlich sei auch ein Bürgermeister – konkreter will er nicht werden – da gewesen, um sich die Situation vor Ort anzuschauen. Er habe dabei "positive Signale" bekommen, man habe versprochen, "das Thema Halle, Türmchen und Garten noch einmal ganz genau zu prüfen".

Bei Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) nachgefragt, klingt das ernüchternd: "Verwaltungsintern geprüft" werde tatsächlich, ob das Türmchen oder ein Teil davon erhalten werden könne, aber: "Ein Erhalt der südlichen Halle ist nicht möglich", so Pätzold. Und "ein Erhalt des Inselgrüns ist wohl nur in geringen Teilen möglich". Eine Änderung des Bebauungs-Plans würde, so Pätzold, die Umsetzung des Neckarpark deutlich verzögern, und zwar um mindestens eineinhalb Jahre.

"Subkultur in Stuttgart ist eines der härtesten Brote"

Würde die Halle erhalten, müsste die an ihr entlang laufende Straße 13 Meter nach Süden verschoben werden, womit eine Bebaubarkeit der angrenzen Quartiere "in Frage gestellt wäre". Unter anderem würde das Quartier Q 15 so reduziert, "dass die Ansiedlung eines Supermarktes auf Q 15 nicht mehr möglich wäre." Auch das Quartier Q 10, wo ein Bildungshaus geplant ist, müsste dann beschnitten werden. So stand es in einem Schreiben an den Bezirksbeirat Bad Cannstatt.

Dort sieht man die Sache anders und macht sich für den Kompletterhalt des jetzigen Kulturinsel-Areals stark. Grünen-Bezirksbeirat Peter Mielert findet die Position seiner Parteifreunde in Gemeinderat und Bürgermeisteramt – und der meisten anderen Fraktionen – "sehr bedauerlich". Ihn ärgert, dass in Stellungnahmen der Verwaltung nie auf die historische und heimatgeschichtliche Bedeutung der Bauwerke eingegangen wird: " Die Erinnerung an die vormalige Funktion des Areals als bedeutender Umschlagplatz von Waren" ist für Mielert eines der wesentlichen Argumente für den kompletten Erhalt des Gebäudeensembles. Er zweifelt an, dass die Verlegung der Straße solche Zeitverzögerungen nach sich ziehen würde. Auch am behaupteten Aufwand für den Hallenerhalt hegt er Zweifel.

Der Cannstatter Bezirksbeirat will nun, initiiert von SÖS-Linke-Plus, beantragen, für das Areal eine Bürgerbeteiligung durchzuführen. Was daraus wird, steht ebenso in den Sternen wie der Zeitpunkt, wann die Stadt über die Zukunft des Zollamt-Areals entscheiden wird. Joachim Petzold sagt, er habe signalisiert bekommen, dass das bis Juni geschehen solle, Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) habe sogar schon von einer Entscheidung "bis Ostern" gesprochen. Petzold hat den Stadtvertretern versprochen, jedes Ergebnis zu akzeptieren und nicht zu blockieren. "Ich hoffe einfach, dass wir in der Bauphase hier bleiben können, mit einem sinnvollen Konzept", sagt Petzold. Er sagt aber auch: "Subkultur in Stuttgart ist eines der härtesten Brote, die man sich vorstellen kann."


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2 Kommentare verfügbar

  • Andreas Spreer
    am 23.02.2018
    Antworten
    Das Prinzip beim Stuttgarter Städtebau scheint zu sein: Alles von architektonischer oder historischer Bedeutung, peu à peu abzureißen und durch gesichtslose Neubauten zu ersetzen. Die kann man nämlich alle 30 Jahre wieder abreißen und neubauen, ohne dass es auffällt.
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