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Occupy Villa Berg

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Seit Jahrzehnten zerbröselt die Stuttgarter Villa Berg im Dornröschenschlaf. Um das Architekturdenkmal wieder wachzuküssen, hat eine Initiative 2013 einen mustergültigen Bürgerbeteiligungsprozess durchgeführt. Die Ergebnisse liegen seit Monaten vor. Doch die Stadtverwaltung hüllt sich in Schweigen.

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Mit einer <link https: www.facebook.com occupyvillaberg _blank>Facebook-Seite fing es an. Christian Dosch und Deborah Brinkschulte hatten sich im Kulturdialog kennengelernt: jenem zweijährigen Austauschprozess zwischen der Stadt Stuttgart, Kulturschaffenden und interessierten Bürgern, der auf die angekündigten Kürzungen im Kulturbereich und die <link http: www.parrotta.de past art_parade.html _blank>Art Parade 2009 gefolgt war. Dosch, Projektleiter der Film Commission, einer Beratungseinrichtung der Region Stuttgart für Medienschaffende, moderierte die Arbeitsgruppe "Räume für Kunst und Kultur – Chancen für die Stadtentwicklung". Brinkschulte hatte schon vor Abschluss ihres Architekturstudiums angefangen, im Büro des renommierten Stadtplaners Franz Pesch zu arbeiten, der bis vor Kurzem an der Universität Stuttgart gelehrt hat. Allgemein und abstrakt, darin waren sich beide einig, lässt sich die Frage nach Räumen für Kunst und Kultur nicht beantworten, sondern nur im Einzelfall, am konkreten Objekt. Und als Raum für Kultur wurde kein Objekt so stark öffentlich diskutiert wie die Villa Berg.

Nach dem Auszug des SWR 2005 hatte der Stuttgarter Investor Rudi Häussler die einstige Kronprinzenvilla übernommen. Sein Plan war, anstelle der Fernsehstudios, die der Süddeutsche Rundfunk in der Nachkriegszeit in den Park gestellt hatte, Luxuswohnungen zu bauen. In der Villa wollte der Investor einen Wirtschaftsclub mit gehobener Gastronomie einrichten. Diese Pläne stießen damals bereits auf Kritik. Nach Häusslers Insolvenz 2010 hätte die Stadt die Chance ergreifen können, das Areal selbst zu erwerben. Aber sie machte von ihrem Vorkaufsrecht keinen Gebrauch und überließ die Villa erneut einem privaten Investor: Mathias Düsterdicks Düsseldorfer Property Development Investors GmbH (PDI).

Der Investor will die TV-Studios in Wohnungen verwandeln

Auch Düsterdick möchte die Fernsehstudios in 150 Wohnungen verwandeln und mit dem Gewinn die Sanierung der Villa finanzieren. Er spricht lieber von Mietwohnungen – wie hoch die Miete ausfällt, ist damit noch nicht gesagt. Für eine kulturelle Nutzung der Villa zeigt er sich offen – etwa als dem Friedrichsbau-Varieté 2013 gekündigt wurde, das nun allerdings an den Pragsattel zieht. Allerdings hat sein Konzept einen Haken: Um Wohnungen in den Park zu bauen, müsste der Bebauungsplan geändert werden. Dies hat aber der Gemeinderat abgelehnt. Am 24. Juli 2013 stimmte er der zwölf Tage zuvor vom grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn eingebrachten Beschlussvorlage zu, die Studios abzureißen und in Park zurückzuverwandeln, ferner die Villa zu erwerben und einer öffentlichen Nutzung zuzuführen. Genau dazwischen fiel – nicht geplant, aber sehr wirkungsvoll – der erste öffentliche Auftritt der Initiative in der Langen Ost-Nacht am 20. Juli.

Dosch und Brinkschulte hatten sich überlegt, wie sie am schnellsten wirkungsvoll auf das Thema aufmerksam machen könnten. Die Facebook-Seite wurde ein durchschlagender Erfolg – wohl auch wegen des provokativen Namens "Occupy Villa Berg". "Und ihr wollt wirklich die Villa besetzen?", wurden sie gefragt. Doch es ging ihnen nicht darum, in den Bau einzudringen wie die Hausbesetzer der 1980er-Jahre. Sie wollten dazu aufrufen, das Thema zu besetzen, sich in die Diskussion einzumischen. "Liebe Freunde der Villa Berg, wollen wir mal Ideen sammeln, was man aus Villa Berg und Park machen könnte?" heißt es in einem frühen Eintrag auf der Facebook-Seite, zwei Wochen nach dem Start. Bald war eine Initiative von rund 20 Aktiven entstanden, die in der Langen Ost-Nacht einen Infostand aufbaute. Drei Tage später war <link http: occupyvillaberg.wordpress.com _blank>eine Website im Blog-Format online: mittlerweile ein reiches Kompendium zu allem, was die Villa betrifft. Gerade mal vier weitere Tage vergingen bis zum ersten Planungspicknick, bei dem Bürger aufgerufen waren, nun auch im realen Raum des Parks ihre Ideen zur Zukunft der Villa in die Debatte einzubringen.

"Wir machen ganz viel Bürgerbeteiligung", sagt Deborah Brinkschulte über ihre Arbeit im Büro von Franz Pesch. Diese Prozesse, zumeist im Auftrag von Kommunen, findet sie jedoch oft wenig befriedigend. Auf verschiedene Planungsvarianten "dürfen die Bürger grüne oder rote Punkte draufmachen", damit ist der Beteiligung Genüge geleistet. Für Dosch und Brinkschulte sind drei Dinge wichtig: erstens, dass es sich um einen konkreten Ort oder ein Objekt handelt, und es sollte geklärt sein, welche Verbindlichkeit die Vorschläge der Bürger haben. Allgemeine Fragestellungen, weit in der Zukunft liegende Projekte oder Prozesse, die sich später in den Planungen nicht abbilden, sind kontraproduktiv: Sie schüren nur Misstrauen und führen den Gedanken der Beteiligung ad absurdum. Zweitens brauchen die Bürger zuerst einmal Informationen. Sie müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen, um fundiert an der Planung teilhaben zu können. Deshalb sollte der Prozess drittens, so Dosch, auch "weg von einem Zeitfenster" gehen, in dem sich die Bürger einbringen können, hin zu einer Beteiligung über den gesamten Planungsprozess hinweg.

Die Initiative hat viel getan, um über die Villa Berg zu informieren und den Bewohnern des Stuttgarter Ostens und der gesamten Stadt Raum zu geben, ihre Vorstellungen zu artikulieren. Mittlerweile 13 fundierte Gastbeiträge auf der Website geben Auskunft zur Geschichte des Parks, zur Stellung der Villa in der Architekturgeschichte, zur Rundfunk-Nutzung, zur Rolle des Architekten Egon Eiermann in der Gestaltung des Großen Sendesaals oder zur kulturellen Vielfalt und sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung in der Umgebung. Dabei sind Dinge zutage getreten, die bisher einer breiten Öffentlichkeit verborgen waren, etwa dass der französische Komponist Olivier Messiaen, Lehrer von Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen, im April 1952 auf der Walcker-Orgel im Großen Sendesaal sein "Livre d'orgue" uraufgeführt hat.

Die Villa und die Orgel verrotten jeden Tag mehr

Diese Orgel, eine der größten ihrer Zeit, ist nach wie vor da, doch sie rottet mit jedem Tag, den die Villa leer steht und verfällt, weiter vor sich hin. Es herrscht eine Patt-Situation: Die Stadt möchte die Villa zurückkaufen. Düsterdick will nicht klein beigeben. Wohnungen bauen geht nicht, der Gemeinderatsbeschluss gilt. Der Investor ist aber der rechtmäßige Besitzer der Villa, und er will an der Immobilie verdienen. Verhandelt wird hinter geschlossenen Türen, bisher ohne Ergebnis. Welche Rolle kann Bürgerbeteiligung in dieser Situation spielen?

Für Christian Dosch und Deborah Brinkschulte geht es nicht um eine bestimmte Nutzung der Villa. Dosch ist auch im Vorstand des Vereins Neues Kommunales Kino, der die Villa Berg auch schon mal ins Auge gefasst hat. Dennoch nimmt er sich im Fall der Occupy-Initiative zurück. Er ist sich bewusst, in verschiedenen Funktionen unterschiedliche Rollen zu spielen, die er nicht miteinander vermischen will. "Man muss darauf achten, welches Hütchen man sich gerade aufsetzt", sagt er. Die Initiative möchte Bürgern eine Plattform bieten, ihre eigenen Ideen einzubringen. Die Wünsche der Initiatoren stehen auf einem anderen Blatt. Sie reagierten so auch auf die aufgeheizte Situation in der Landeshauptstadt. Brinkschulte kam erst 2005 zum Architekturstudium nach Stuttgart. Dosch ist in München geboren, in Augsburg aufgewachsen und lebt hier seit 2009, nachdem er bereits 2000 bis 2005 an der Hochschule der Medien studiert hat. Gerade Ende 2009 entwickelte sich Stuttgart zur Protesthauptstadt, angefangen mit der Art Parade gegen die Kulturkürzungen. Occupy Villa Berg versteht sich nicht als Protestbewegung, sondern möchte positive Impulse setzen. 

"Man muss sich bewusst sein, welche Art der Beteiligung setze ich auf, und wen schließe ich damit aus", betont Dosch. Mit der Facebook-Seite erreichten sie ein vorwiegend jüngeres Publikum im Alter von 20 bis 40 Jahren. In der Langen Ost-Nacht und bei den drei Planungspicknicks vor Ort meldeten sich auch ältere Mitbürger zu Wort. Gerade sie verbinden noch einiges an Erinnerungen mit dem historischen Ort, brachten alte Fotos und Postkarten mit. Den Jüngeren, so Dosch, sei die Geschichte, die Frage "Was erzählt dieser Ort?" teilweise verloren gegangen. "Das mangelnde Bewusstsein für die Bedeutung des Ortes hat uns verärgert", formuliert Brinkschulte, "die offene Zukunft des Areals hat uns angespornt." Fußball, Spielplatz, Freilichttheater, Disco über 50, Schlittenfahren im Park, Hotel für Gäste mit und ohne Asyl, eine Speakers' Corner, ein Rockpalast: Die Vorschläge sind mannigfaltig und nicht immer miteinander vereinbar. Der eine möchte ein Kommunales Kino, der andere schreibt: "Bürger entscheiden selbst – kein Filmhaus in der Villa."

"Ideen, Wünsche und Bilder" sind in ein 148-seitiges gedrucktes Abschlussdokument eingegangen, das der Stadt und dem Bürgermeister seit Oktober 2013 vorliegt. Es dokumentiert den Prozess, gibt allgemeine Empfehlungen in Form eines Leitbilds und nennt acht Referenzbeispiele in anderen Städten. Die Antwort der Stadt steht aus. Aber nun häufen sich die Ereignisse: Am 7. Oktober hat die Initiative selbst Vertreter aller Gemeinderatsfraktionen zu einer Diskussion im Restaurant Theater Friedenau eingeladen, wo sonst die monatlichen Stammtische stattfinden. Am 27. Oktober lädt das Architekturforum Baden-Württemberg zu einer weiteren Diskussion in der Villa Berg selbst, diesmal sogar mit dem Investor Mathias Düsterdick. Aber auch Dosch und Pesch, Andreas Baur, der Leiter der Villa Merkel in Esslingen, der Fraktionsvorsitzende der SPD, Martin Körner, und der erste Bürgermeister Michael Föll sind mit dabei. Auf einer <link http: www.tedxstuttgart.com de _blank>TEDx Konferenz am 31. Oktober – bisher gab es weltweit 900 solche Konferenzen zu neuen Ideen in Technology, Entertainment, Design – spricht schließlich Deborah Brinkschulte im Theater der Altstadt: über die "Rückeroberung der Stadt".

 

7. 10. 2014, 19 Uhr, Restaurant Theater Friedenau, Rotenbergstr. 127, Podiumsdiskussion: Die Zukunft von Villa Berg und Park.

27. 10. 2014, 19 Uhr, Villa Berg, Podiumsdiskussion des Architekturforums.

31. 10. 2014, ab 17 Uhr, Konferenz TEDx im Theater der Altstadt mit Vortrag von Deborah Brinkschulte: "Und ihr wollt wirklich die Villa besetzen? – Über die Rückeroberung der Stadt".


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6 Kommentare verfügbar

  • Jupp
    am 05.10.2014
    Antworten
    Viel Erfolg! Jeder qm Park ist wertvoll.
    Es wird Zeit, dass wir Menschen die Parkflächen zurückbekommen. Daher: Rückbau der Filmstudios. Daher: Rückbau des Gleisfeldes!
    Stuttgart ist schön und bald noch viel schöner. Freu....
    Es ist wirklich ein Privileg hier zu wohnen.
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