Die württembergische Landeskirche müsse "deutlich machen, wie sie ihrer Verantwortung den Betroffenen gegenüber gerecht wird", sagt die ehemalige Bundesfamilienministerin. Eineinhalb Jahre lang war die SPD-Politikerin Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, in 3000 Briefen und über 15 000 Anrufen hat Christine Bergmann nicht nur das Leid ehemaliger Heimkinder und Betroffener sexuellen Missbrauchs hautnah erlebt. Die 75-Jährige kennt auch die üblichen Vermeidungsstrategien der verantwortlichen Träger, seien sie weltliche, wie in der Odenwaldschule, oder kirchliche, wie im Aloisius-Kolleg in Bonn, die da heißen: verzögern, verleugnen, Klagen abwehren.
Jetzt hat sich Bergmann mit den Missbrauchs-Vorwürfen ehemaliger Heimkinder gegen die Evangelischen Brüdergemeinde beschäftigt. "Wir haben uns bereits bei den vergangenen Kirchentagen mit dem Missbrauchs-Thema auseinandergesetzt, und angesichts der Korntaler Fälle sollten wir es auch in Stuttgart im Juni nächsten Jahres tun", sagt Bergmann gegenüber Kontext, "denn unabhängig von der anhängigen Klage ist die Landeskirche in der Verantwortung, aufzuarbeiten."
Dabei geht es um die Vorwürfe ehemaliger Heimkinder an die Adresse der Evangelischen Brüdergemeinde in Korntal. Im April dieses Jahres hat Detlev Zander mit seiner Klageandrohung auf Schadensersatz nicht nur die Korntaler Brüder aufgeschreckt, sondern auch den Blick der Öffentlichkeit auf die schlimmen Heimzustände in den 60er- und 70er-Jahren gelenkt. Von sexuellem Missbrauch ist die Rede, davon, dass die Kinder Erbrochenes essen mussten, geschlagen und gedemütigt wurden. Bis heute leiden viele unter den Folgen der körperlichen und seelischen Misshandlungen, sie wollen, dass man ihnen zuhört, sie verlangen eine Entschuldigung der Verantwortlichen und schonungslose Aufklärung.
Über die Homepage der Selbsthilfegruppe <link http: heimopfer-korntal.de _blank>Heimopfer Korntal, die seit Juli online ist, hätten sich, so Detlev Zander, über 60 weitere Betroffene gemeldet und ihre persönliche Geschichte erzählt. Sie alle kämpfen darum, dass man ihnen endlich glaubt und ihr Leid anerkennt. Viele sind heute in therapeutischer Behandlung, um mit ihren Kindheitserlebnissen im Korntaler Flattich- und Hoffmannhaus fertig zu werden.
Unterdessen läuft die juristische Auseinandersetzung weiter. Um die Prozesskosten aufbringen zu können, hat Detlev Zander einen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt. Der wurde am 10. September vom Landgericht Stuttgart abgelehnt mit der Begründung, dass ein Prozess um Schadensersatz wenig Aussicht auf Erfolg habe. Dagegen hat Zanders Anwalt Christian Sailer, der schon österreichische Heimopfer vertreten hat, vor zwei Tagen beim Oberlandesgericht (OLG) Beschwerde eingelegt. Sailer rechnet mit mehreren Wochen, bis das OLG die Entscheidung fällt.
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Ulrich Scheuffele
am 08.10.2014http://www.opferhilfe-korntal.de/pages/tatorte.php