Die Evangelische Brüdergemeinde ist im Gottesdienst während des Jahresfests auf ihre Heimvergangenheit und die Klage von Detlev Zander eingegangen. Ist das richtig?
Ja.
Wenn ja, warum haben Sie sich dazu entschlossen und wer hat dazu gesprochen?
Uns ist es wichtig, die Gemeinde (in diesem Falle auch die Gäste des Jahresfestes) regelmäßig, offen und transparent über den Stand des Falls zu informieren. Gesprochen hat Klaus Andersen.
Gibt es dazu eine Aufzeichnung oder eine schriftlich niedergelegte Predigt?
Nein. Eine Predigt zum Thema wurde nicht gehalten.
Wie oft hat sich die Kommission zur Aufarbeitung der Heimgeschichte seit ihrer Gründung getroffen?
13 Mal.
Was hat die Kommission bis heute angestoßen, beschlossen oder initiiert?
– Dezidierte Untersuchung der Anklagepunkte von Herrn Z.
– Gespräche mit Zeitzeugen.
– Organisation der Aktenübernahme durch das Landeskirchliche Archiv Stuttgart.
– Festlegung der inhaltlichen Kernpunkte der Aufarbeitung der Heimerziehung im Entwurf.
– Überprüfung, Aktualisierung und Anpassung von vorhandenen Präventions-, Handlungs- und Beteiligungskonzepten in den JH-Einrichtungen.
Gibt es dazu Protokolle, die Sie mir zuschicken können?
Es gibt Protokolle. Zuschicken kann ich sie Ihnen aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten nicht.
Die Karlshöhe Ludwigsburg hat schon 2008 mit der Aufarbeitung ihrer Heimgeschichte begonnen (Tag der Erinnerung). Warum hat die Evangelische Brüdergemeinde erst im Mai 2013 eine Kommission gegründet?
Die Karlshöhe Ludwigsburg ist für viele vergleichbare Jugendhilfeeinrichtungen mit langer Tradition zum Vorbild in Sachen Aufarbeitung geworden. Trotzdem hat es laut meinen Recherchen vom Erstkontakt mit einem Ehemaligen, der auf die Karlshöhe direkt zugekommen ist, bis zum Start der Projektgruppe zur Aufarbeitung ungefähr sechs Jahre gedauert. Nach den Berichten von Herrn Zander im Juni 2013 begannen wir mit den Gesprächen mit Zeitzeugen rund ein halbes Jahr später und haben bereits weitere organisatorische Schritte der Aufarbeitung unternommen.
Bei der Karlshöhe waren auch Betroffene miteinbezogen. Warum haben Sie sich dagegen entschieden, in die Kommission auch Betroffene, also Heimkinder, mit aufzunehmen?
Die "Kommission zur Aufarbeitung Heimerziehung und Missbrauch von 1949 bis 1975" versteht sich zunächst als Lenkungsausschuss, der Aufarbeitung "organisiert". Tatsächlich werden die Berichte ehemaliger Heimkinder wie ehemaliger Erzieher ein wesentlicher, unabdingbarer Teil unserer Publikation zum Thema sein.
Warum sitzt, außer Ingrid Scholz von der Diakonie Württemberg, kein unabhängiger oder neutraler Aufklärer in der Kommission?
Die Kommission behält sich vor, in Fachfragen der Aufarbeitung Experten des jeweiligen Gebietes mit hinzuzuziehen. So arbeitet sie beispielsweise mit einem Datenschützer sowie mit Psychologen (Trauma- und Sexualtherapeuten) sowie Juristen zusammen. Durch die Übergabe der Heimakten haben wir einen weiteren wesentlichen Schritt zur "Aufklärung" mit externen Experten auf historischem Fachgebiet gemacht. Die Hinzunahme weiterer externer Fachleute bzw. ehemaliger Heimkinder, ehemaliger Erzieher usw. während der konkreten Aufarbeitungsphase ist Gegenstand der Projektgruppe. Der von Herrn Zander gewählte Weg einer juristischen Auseinandersetzung seit der Klageandrohung im November 2013 hat eine weitere, intensive Befragung von Zeitzeugen zum gegenwärtigen Zeitpunkt unmöglich gemacht. Seit diesem November 2013 dominiert die juristische Kommunikation, die Zeugen einen besonderen Status für ein evtl. gerichtliches Verfahren zuerkennt, den wir selbstverständlich achten. Damit haben wir Zeit zur historischen Aufarbeitung verloren.
War die Evangelische Brüdergemeinde 2009 vertreten beim Karlshöher Diakonietag "Kinder haben Rechte"?
Das entzieht sich meiner Kenntnis. Was allerdings Kinderrechte angeht, so hat unsere aktuelle Jugendhilfe einen enorm hohen und in der Fachwelt anerkannten Qualitätsstandard erreicht. Leider haben Sie bislang nicht danach gefragt, wie unsere aktuelle Jugendhilfe arbeitet! Nicht nur aus journalistischer Sicht wäre diese Recherche zwingend notwendig gewesen!
Sie haben in einer Pressemitteilung verkündet, dass Sie die Akten von Flattich- und Hoffmannhaus an das evangelische Kirchenarchiv übergeben werden. Wann genau wird das sein?
In der nächsten Woche.
Welche Akten sind das genau? Akten der Heimkinder oder auch Akten der damals dort Beschäftigten?
Sowohl als auch.
Wie arbeitet die Kommission, wenn die Akten nicht mehr vor Ort sind, oder haben Sie Kopien angefertigt?
Falls wir eine Akte benötigen, werden wir sie vom Archiv erhalten bzw. sie dort einsehen können.
Wie sieht die wissenschaftliche Aufarbeitung der Heimgeschichte aus?
Das ist noch nicht entschieden.
Wie viele betroffene Heimkinder haben sich seit Mai 2013 schon bei der evangelischen Brüderschaft oder der Kommission gemeldet?
Extra für Sie, liebe Frau Stiefel, zählte ich im Excel-Dokument, in dem unsere Mitarbeiterinnen detailliert die Anfragen sowie deren Bearbeitungsschritte festhalten, nach: Seit Januar 2013 sind demnach – wenn ich richtig gezählt habe – 58 Anfragen auf Akteneinsicht eingegangen. 23 davon sind im Jahre 2014 eingegangen. Die 2014er-Anfragen verteilen sich folgendermaßen: Bis 30. April waren es neun, von Mai bis Juli demzufolge 14. Gestellt wurden diese Anfragen von Ehemaligen selbst, von deren Angehörigen, von Rentenversicherungsträgern sowie vom Landesarchiv im Auftrag von Ehemaligen.
Ein direktes Gespräch mit der Bitte, die eigene Geschichte erzählen zu können, hat seit 2013 nur Herr Zander verlangt. Unser Gesprächsangebot an Ehemalige, die direkt mit uns reden wollen, steht weiterhin.
Und übrigens – zur richtigen Schreibweise unseres Namens: Wir sind die "Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal"!
Haben Sie beziehungsweise die Kommission aktiv geforscht, was mit den ehemaligen Heimkindern in ihrem späteren Leben passiert ist?
Ja.
Nach meiner Information haben in den 60er-, 70er-Jahren mindestens drei ehemalige Heimkinder Selbstmord begangen, mindestens zwei sind an ihrer Alkoholsucht gestorben. Wie forschen Sie und wie fließt das spätere Schicksal ehemaliger Heimkinder in Ihre Aufarbeitung der Heimvergangenheit von Hoffmann- und Flattichhaus mit ein?
Das ist Gegenstand der Projektgruppe Aufarbeitung.
Wie gehen Sie mit der vor Ort gegründeten Opferhilfe Korntal um?
Über ihre Existenz haben wir aus der Presse erfahren. Die "Opferhilfe" hat bisher noch keinen Kontakt zu uns gesucht, um zu erfahren, wie wir wirklich mit ehemaligen Heimkindern umgehen.
Wie sieht Ihre Betreuung der ehemaligen Heimkinder aus?
Das hängt davon ab, was Ehemalige möchten. Vom lockeren Treffen beim Jahresfest, von dem viele regelmäßig und gerne Gebrauch machen, über die Akteneinsicht bis hin zum persönlichen, vielstündigen Gespräch mit Vorstehern, der Geschäfts- und Einrichtungsleitung – so wie bei Herrn Zander geschehen. Es ist unser Ziel, all diesen unterschiedlichen Vorstellungen so rasch wie möglich nachzukommen.
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Ulrich Scheuffele
am 05.08.2014SWR-Fernsehen um 20.15 Uhr