"Wir sind gegen das System. Weil das System gegen uns ist", sagt Aurora Gómez Delgado. Sie steht in der Lautenschlagerstraße gegenüber dem Stuttgarter Hauptbahnhof, rechts ein Trommler, links ein Mann mit Schild – "Kapitalismus war als Kind schon scheiße", steht darauf. Hinter ihr erstreckt sich von einer Straßenseite zur anderen der Banner von Blockupy, dem deutschen Protest-Dachverband, der am vergangene Samstag im Vorfeld der Europawahl seine Zellen in Deutschland aktiviert und zu konzertiertem Widerstand aufgerufen hat.
Aurora Gómez Delgado ist eine der "Indignados", der Empörten, Mitglied der Movimento 15-M, der Bewegung, die im Mai 2011 den Platz Puerta del Sol in Madrid mit Tausenden Menschen füllte, die gegen den staatlichen Umgang mit der Finanzkrise und die hohe Arbeitslosigkeit demonstrierten. 15-M ist der Prototyp nach Vorbild des Arabischen Frühlings, aus dem eine europaweite, gut vernetzte Gegenbewegung mit Hunderten einzelnen Zellen entstanden ist.
In Griechenland demonstrierten die "Empörten des Syntagma-Platzes", in Portugal die Bewegung M12M, Occupy Wall Street erregte mit einer Zeltstadt mitten in Manhattan großes Aufsehen, es entstanden Bewegungen in Frankreich, Belgien, Italien, Deutschland. 2011 kampierten nach spanischem Vorbild Hunderte Blockupy-Demonstranten auf dem Berliner Alexanderplatz. In Deutschland tauchte die Bewegung vor allen 2013 in den Schlagzeilen auf, als im Juni Hunderte Blockupy-Demonstranten in Frankfurt am Main stundenlang in einem Polizeikessel vor sich hin schmorten.
Im Mai 2014 feiern die Kapitalismusgegner von Blockupy und Co. nun den dritten Jahrestag der Gründungsinitiative 15-M aus Spanien. Es ist der <link http: blockupy.org mai-2014 karte _blank>"May of solidarity", in dem linke Bündnisse im Vorfeld der Europawahl vom 15. bis zum 25. Mai zu den "European days of action" aufgerufen haben – zu europaweiten Konferenzen, Aktionen und Demonstrationen, die am vergangenen Samstag im Protest unter anderem gegen die EU-Sparpolitik, den Sozialabbau und menschenverachtende Arbeitsbedingungen gipfelten.
"Keine Grenzen, keine Schulden, keine Angst" lautete das Motto in Madrid, in Saragossa oder Bilbao wurde demonstriert, in Wien stieg das zweitägige "Transnational care meeting", die Portugiesischen Demonstranten erinnerten an die Unterzeichnung des Troika-Memorandums vor drei Jahren. In Deutschland hatte Blockupy als Dachorganisation zum Protest aufgerufen, ein Bündnis, das Gewerkschaften, Parteien und linke Initiativen untereinander und mit solchen aus Italien, Spanien, Griechenland, Belgien, Niederlande, Dänemark oder Frankreich vernetzen möchte. 15 Blockupy-Initiativen gibt es in der Bundesrepublik. In Stuttgart wird die Vernetzung vom Bündnis "Wir zahlen nicht für eure Krise" getragen, einer Art Vorläufer der Blockupy-Bewegung.
Das Bündnis wurde unter dem Namen "Stuttgarter Bündnis gegen Sozialabbau" bereits im Januar 2003, lange vor den Protesten in Spanien, von linken Aktivisten gegründet, später in "SoNet" umbenannt – eine Abkürzung für "Soziales Netzwerk", passenderweise aber auch lesbar als "so net" – "so nicht" auf Schwäbisch. SoNet war eine der Triebfedern für eine bundesweite Demonstration gegen Agendapolitik, Hartzgesetze und Sozialabbau 2003 in Berlin mit mehr als 100 000 Demonstranten. Allein aus dem Raum Stuttgart fuhren 30 Busse in die Hauptstadt. 2009 wurde aus diesen Vorläufern das Stuttgarter Bündnis "Wir zahlen nicht für eure Krise" als lokale Ortsgruppe einer gleichnamigen bundesweiten Bewegung. Heute besteht sie aus 12 Organisationen – unter anderem der IG Metall, Verdi, den Globalisierungsgegnern von Attac, der DKP und der Linken sowie Stuttgart-21-Gegnern – und koordiniert Aktivisten aus ganz Süddeutschland, die am Samstag zum Demoauftakt in der Stuttgarter Lautenschlagerstraße vor dem Bahnhof stehen.
Aber im Vergleich zu den Anfangsjahren scheint die Luft mttlerweile dünner auf Höhe des Krisenprotest. Denn viele waren es nicht, die da demonstriert haben. Nicht in Berlin, nicht in Madrid, nicht in Stuttgart, rund 3000 Menschen sind nach Polizeiangaben in der Landeshauptstadt auf die Straße gegangen. "Zu wenig Werbung", sagt eine Frau mit Banner gegen Massentierhaltung. Dabei gebe es so viele Gründe zu protestieren.
Aurora Gómez Delgado klappt einen blauen Regenschirm auf. Regenschirme galten auf der eingekesselten Blockupy-Demo in Frankfurt im vergangenen Jahr als Waffen. In Stuttgart gibt es gelbe, grüne, weiße, solche in rosarot. Einer ist schwarz. "Revolution" steht darauf.
3 Kommentare verfügbar
Oli
am 22.05.2014m.E. berechtigte Fragen!