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IG Metall

"Es darf keine Ausrede mehr geben"

IG Metall: "Es darf keine Ausrede mehr geben"
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Die Corona-Krise trifft viele Beschäftigte mit brutaler Wucht. Für Gewerkschaften bedeutet das Arbeitskampf unter erschwerten Bedingungen. Max Czipf, Jugendsekretär der Esslinger IG Metall, ist trotzdem überzeugt, dass es jetzt eine ökologische Wende braucht – und verlangt nicht nur von der Autoindustrie den Mut, auf nachhaltiges Wirtschaften umzustellen.

Die Wirtschaftsweisen waren zu optimistisch und mussten ihre Prognose ändern: Demnach treffen die Folgen der Pandemie die deutsche Wirtschaft noch härter als die Eurokrise. Viel zu tun also für Gewerkschaften, die für ordentliche Arbeitsplätze und anständige Löhne streiten wollen. Aber wie funktioniert Arbeitskampf trotz Kontaktverboten? Welche Ideen gibt es zur Überwindung der Krise? Und welche Utopien für die Zeit nach Corona? In einer Interview-Reihe fragt Kontext bei jungen GewerkschafterInnen aus der Region nach. Den Auftakt macht Max Czipf, Jugendsekretär bei der IG Metall Esslingen.

Herr Czipf, was hat die Corona-Krise zutage gefördert?

Bei uns in den Betrieben, dass die Ausbildung häufig immer noch so abläuft wie vor 40 Jahren. Wir haben schon lange darauf gedrängt, dass die Digitalisierung genutzt werden muss. Das öffnet ja auch methodisch irrsinnig viele Chancen. Aber das hat in vielen Betrieben nicht stattgefunden und ist uns jetzt total auf die Füße gefallen.

Und welche Erkenntnisse gibt es über die Ausbildung hinaus?

In den Betrieben, in denen es bisher schlecht lief, hat Corona voll reingehauen. Da werden wir einen schwierigen Herbst erleben.

Wie habt ihr als Gewerkschafter auf Corona reagiert?

Wir haben die Arbeit komplett umgestellt. Viele sind ins Homeoffice gegangen. Betriebsversammlungen, Jugendversammlungen, Mitgliederversammlungen konnten nicht stattfinden. Wir haben auf Webinare umgestellt, das mussten wir erst entdecken für uns. Und wir haben viele Online-Angebote hochgezogen. Sprechstunden zum Beispiel.

Jetzt fahren die Betriebe die Produktionen wieder hoch, aber wir wissen, es werden gerade hier in Baden-Württemberg mit seiner ausgeprägten Industriestruktur schwere Verwerfungen auf uns zukommen. Was erleben Sie in den Betrieben?

Geschäftsführungen wollen mit uns verhandeln, wenn es Liquiditätsengpässe gibt, wie man die beiseiteräumen kann. Das sind jetzt so die ersten Schritte. Und klar, bei Eberspächer in Esslingen, die jetzt ein Werk mit 300 Arbeitsplätzen schließen wollen: Da hat Corona die Entscheidung, die schon lange gefallen war, beschleunigt, dass man Produktion jetzt nach Polen verlagern möchte. Aber es gab auch Betriebe, die haben durchgeschafft und sind auch jetzt voll ausgelastet.

Wird Corona genutzt, um strategische Entscheidungen schneller durchzusetzen?

Ganz sicher. Geschäftsleitungen nutzen Corona jetzt, um irgendwelche Papiere aus der Schublade zu holen und die jetzt umzusetzen.

Es geht gar nicht um Liquiditätsprobleme?

In vielen Fällen schon, aber nicht in allen, denke ich. Manchen geht es auch jetzt einfach darum, Profite weiter zu maximieren.

Wie reagiert ihr darauf, und wie reagieren die Beschäftigten im Betrieb?

Unsere Leute reagieren unterschiedlich. Bei Eberspächer organisieren wir jetzt den Widerstand gegen die Verlagerung nach Polen. Aber es gibt bei unseren Leuten auch ganz viel Verständnis, wenn im Betrieb tatsächlich wirtschaftliche Schwierigkeiten anstehen. Zum Beispiel bei Heller in Nürtingen: Der Mangel an Aufträgen bestand schon länger und die Situation ist durch Corona dramatisch schlechter geworden. Aber die Geschäftsleitung ist sehr offen damit umgegangen und auf uns zugekommen. Bei der Belegschaft ist viel Verständnis da, dass man jetzt einen guten Kompromiss finden muss.

Sowohl Eberspächer als auch Heller sind Zulieferer der Automobilindustrie. Dass es da schwieriger werden wird, war schon vor Corona bekannt. Was hat Corona verändert?

Nach der letzten Krise, 2008/2009, waren wir noch massiver von der Automobilindustrie abhängig als davor. Es war bekannt, dass das ein Problem bei uns in der Region ist. Dann kam der Dieselskandal, der hat alles beschleunigt, dann kam Fridays for Future – zu Recht – und hat nochmal auf die Tube gedrückt, und jetzt kam Corona und ich denke, dass das dem Ganzen noch einen weiteren Boost verschafft. Die Transformation muss jetzt kommen. Es kann keine Ausrede mehr geben, dass wir noch an irgendwas Altem festhalten. Ich denke, wir müssen da jetzt ziemlich mutig sein und alles in die Waagschale werfen und die Produkte und die Produktion auf nachhaltiges Wirtschaften umstellen. Das ist auch Konsens in der IG-Metall-Jugend: Wenn wir auf den alten Technologien hocken bleiben, werden wir irgendwann auf einem toten Pferd sitzen. Gerade wir, die wir auch noch in 30 Jahren in den Betrieben arbeiten und dort ein gutes Auskommen haben wollen, sind darauf angewiesen, dass wir in neue Technologien einsteigen. Und da mindestens Weltmarktführer werden. (lacht)

Euer Vorsitzender Jörg Hofmann und euer Bezirksleiter Roman Zitzelsberger haben die Politik dafür kritisiert, weil im Konjunkturpaket keine Kaufprämie für Verbrennermotoren vorgesehen ist. Wie kam das bei euren Leuten an?

Mein Eindruck ist, dass es auf Kritik stieß, wie das kommuniziert wurde. Das Konjunkturpaket hat großen Rückhalt, auch die Entscheidung, dass wir in Richtung Elektromobilität gehen wollen. Aber wenn man rein wissenschaftlich auf das Thema guckt, muss man einfach sagen: Ganz moderne Dieselmotoren und Elektroautos sind nahezu gleichauf, was die Ökobilanz angeht. Es ist nicht so, dass das Kaufen eines Dieselfahrzeugs schlechter für die Umwelt sein muss. Auch das E-Auto ist nicht das allein selig machende.

Aber wenn es Geld für Diesel gäbe, hieße das ja: Macht weiter so.

Nein – wie bereits erwähnt geht es nicht darum, jeden Drecksdiesel auf die Straße zu bringen, sondern die umweltfreundliche Technologie zu fördern. Aber die Politik wollte hier ein Zeichen setzen. Nur hilft das den Automobilherstellern nicht, die viele Autos auf Halde haben. Und es heißt ja Konjunkturpaket, das soll also den Absatz fördern – unter der Prämisse, dass wir in die richtige Richtung laufen. Ich meine, versuch mal ein E-Auto zu kaufen. Es gibt kaum welche. Es ist aber auch Aufgabe von Gewerkschaft, sich dafür einzusetzen, dass die Betriebe weiterhin Beschäftigung anbieten können, und dazu gehört, dass sie liquide bleiben. Da habe ich großes Verständnis für. Und das ist auch die Linie von Roman Zitzelsberger und Jörg Hofmann. Da ist ein Zitat aus dem Interview rausgegriffen und skandalisiert worden.

Wo bleibt da die Verantwortung der Auto-Unternehmen für eine offensichtlich falsche Unternehmenspolitik?

Ja klar haben die Unternehmen die Verantwortung. Die Kapitalisten haben einen Riesenreibach gemacht in den letzten Jahren. Das Problem ist halt, dass wir im Kapitalismus auf die Arbeitsplätze angewiesen sind. Also, was sollen wir machen?

Max Czipf, 33, studierter Wirtschaftswissenschaftler, ist seit 2012 Jugendsekretär bei der IG Metall Esslingen. Zu deren Bereich zählen 140 Betriebe mit 45.000 Beschäftigten. Schwerpunkt der Industrie in der Region: Maschinenbau, Werkzeugmaschinenbau und Automobilzulieferer, viele der Betriebe hängen direkt an der Automobilindustrie. Bundesweit ist die IG Metall mit knapp 2,3 Millionen Mitgliedern die größte Gewerkschaft der Republik. 

Wollt ihr den Kapitalismus eigentlich abschaffen?

Ja, wenn sich eine Gelegenheit bieten würde und wir eine vernünftige Alternative hätten – wieso nicht?

Sehen Sie eine vernünftige Alternative zu dem bestehenden System?

Ich glaube, es ist einfach, sich eine Vision auszudenken und sich vorzustellen, wie eine andere Welt aussehen könnte. Aber viel schwieriger ist es, sich einen Weg zu überlegen, wie man aus dem aktuellen System rauskommt. Denn das wird nicht ohne Gegenwehr passieren. Mancher mag da eine blutige Revolution wollen – ich nicht. Bei uns in der Gewerkschaft wird viel über bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert. Es wird über Gemeinwohlökonomie diskutiert, und auch wenn ich da nicht immer alles teile – ich glaube zum Beispiel nicht, dass das bedingungslose Grundeinkommen eine gute Alternative wäre –, aber es öffnet zumindest den Kopf, sich über Alternativen Gedanken zu machen. Und vielleicht öffnet es auch einen Weg raus aus dem aktuellen System. Das ist meine Hoffnung.

Wenn Sie Bundeskanzler wären: Was würden Sie jetzt anstoßen?

Ich würde zwei Sachen machen. In der Wissenschaft Forschungsgelder lockermachen, damit wir uns ökonomisch breiter aufstellen. In Deutschland wird neoliberaler Mainstream gelehrt. Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert. Da wurden Modelle durchgerechnet, am Ende kam 'ne Zahl raus und dann wurde zwei Minuten über das Ergebnis diskutiert. Aber ich finde, gerade diese Diskussion müsste zentraler Bestandteil von Wirtschaftswissenschaften sein, um über andere Lösungsansätze nachzudenken. Der wissenschaftliche Diskurs sollte erweitert werden. Die zweite Sache: Wir brauchen eine vernünftige Industriepolitik. Was ich ganz spannend finde: In Italien gibt es ein Gesetz, danach haben Belegschaften, deren Betrieb in die Insolvenz gerät, ein Vorkaufsrecht. Jetzt ist es nicht besonders attraktiv, eine insolvente Firma zu kaufen – die Insolvenz hat ja wohl einen Grund. Aber wenn wir das Ganze mit einem Fonds untermauern und sagen, die Belegschaft bekommt Eigenkapital oder einen sehr, sehr günstigen Kredit und dann kann sie selbst die Firma als Genossenschaft organisieren, fände ich das einen guten Plan. Und gerade jetzt durch Corona, wenn da Betriebe, die eigentlich gesund wären, in die Insolvenz schlittern, wäre das ja ein Ansatz, hin zu einem genossenschaftlicheren Wirtschaftsmodell zu kommen. Das ist noch nicht das Paradies auf Erden. Aber ich glaube, wenn Menschen in diesen Firmen arbeiten und dort viel stärker auf Kooperation als auf Konkurrenz gesetzt wird, dann verändert das mit der Zeit auch die Menschen. Das könnte ein Ansatz sein, raus aus dem kapitalistischen System.

Kennen Sie ein Beispiel aus Italien, wo das funktioniert hat?

Nein, weil die ja eben nicht so einen Fonds haben. Das bräuchte man halt noch. Das ist ja eine Idee von uns als IG Metall gerade in Esslingen: ein Regionalfonds. Also einen Topf Geld, der in guten Zeiten gefüllt wird, um dann in schlechten Zeiten in Krisen geratenen Firmen zu helfen. Und da könnte man auch sagen: Das Geld geben wir Belegschaften und wir kaufen damit unsere eigenen Unternehmen.

Zum Abschluss: Was wünschen Sie sich von Ihrer Gewerkschaft? Was sollte anders laufen?

Ich denke, dass wir als IG Metall, auch als Lehre aus Corona, noch viel stärker außerhalb vom Betrieb stattfinden müssen. Andere Gewerkschaften machen das besser. Zum Beispiel die Debatte über bessere Löhne in der Pflege – da ist Verdi sehr gut. Da können wir noch was lernen. Bislang führen wir Diskurse in der Gewerkschaft und auch im Betrieb, also wo wir gut organisiert sind, sehr erfolgreich. Schließlich geht es um Arbeitswelt, das betrifft uns alle. Die aktuelle Kampagne "Solidarität gewinnt" setzt stark auf einen gesellschaftlichen Diskurs. Gerade der Punkt, wer jetzt für die Krise bezahlt. Das ist nichts, was wir im Betrieb allein beantworten können. Das müssen wir als Gesellschaft beantworten.


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