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Advent, Advent, die Erde brennt

Advent, Advent, die Erde brennt
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Zehntausende waren beim globalen Klimastreik am vergangenen Wochenende auf der Straße. In vielen Städten, auch in Stuttgart, und auch in der Lausitz bei "Ende Gelände". Unsere Autorin hat den "Grünen Finger" begleitet. Der startete von Dresden aus mit rund 700 AktivistInnen aus ganz Süddeutschland, um den Tagebau Welzow-Süd zu blockieren.

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Freitagabend, ein alter Theatersaal in Dresden. Der Deckenputz bröckelt, Banner hängen an den Galerien, unten drängen sich etwa 600 Menschen. Es tagt das Aktionsplenum, in dem die letzten wichtigen Punkte für die Aktion gemeinsam besprochen werden. "Wir führen eine friedliche Massenaktion zivilen Ungehorsams durch und sind dann am stärksten, wenn wir zusammenbleiben. Vermeidet es, in Kleingruppen unterwegs zu sein. Seid vor allem an Raststätten vorsichtig, da sind Angriffe auf euch besonders einfach." Die ModeratorInnen des Plenums wollen keine Panik verbreiten, sondern die AktivistInnen gut vorbereiten.

Denn im Gegensatz zum Rheinischen Revier, in dem "Ende Gelände" bereits im Sommer aktiv war, ist die Aktion in der Lausitz "kein Heimspiel". Hier weht ein stärkerer Gegenwind – von Betreibern, Kohlebefürwortern und vor allem von rechts. Im Vorfeld hatten die Gemeinden Leipzig, Bautzen und Görlitz bereits Versammlungsverbotszonen um einzelne Tagebaue und Kraftwerke verhängt. Fans des Fußballvereins Energie Cottbus zeigten im Stadion ein Banner mit der Aufschrift "Wann Ende Gelände ist, bestimmt nicht ihr! Unsere Heimat – unsere Zukunft! Ende Gelände zerschlagen!". Polizisten der Bereitschaftspolizei Cottbus posierten in einem Gruppenfoto vor einem Schriftzug "Stoppt Ende Gelände".

"Fühlt sich voll an wie Schulausflug"

Entsprechend vorsichtig werden Informationen zur Aktion verbreitet. Als sich die Dresdner Gruppe am Samstagmorgen um halb sechs am Bahnhof Neustadt trifft, weiß noch niemand, wohin es genau geht. Für die AktivistInnen stehen Busse bereit – zu wenige, wie sich schnell herausstellt. Der "Grüne Finger" teilt sich auf: Etwa 500 Menschen passen in die Busse, ungefähr 200 weitere machen sich mit dem Zug auf den Weg.

Die Sonne geht auf, Morgennebel liegt über den Dörfern, und so mancher Autofahrer wundert sich wohl über die lange Kolonne von Reisebussen, die ihm auf den kleinen Landstraßen begegnet. Die Stimmung in Bus 2 ist etwas angespannt, doch alle sind fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Die Fahrtzeit wird genutzt für letzte Schlafeinheiten, Schminkaktionen mit viel Glitzer und Edding oder zur Fachsimpelei über die Vegetation am Straßenrand. An einem großen Bauernhof mitten im Nichts ist dann das Ziel erreicht.

"Wo ist Hotzenplotz?", "Eeeextrablatt, hier!" – die Bezugsgruppen finden sich zusammen, das Frontbanner wird ausgebreitet, und nach fünf Minuten setzt sich der "Grüne Finger" in Bewegung. Es geht über raureifbedeckte Wiesen und Feldwege, dann hat die Gruppe auch schon den Rand des Tagebaus Welzow-Süd erreicht – ohne auch nur einem/r PolizistIn zu begegnen. "Das fühlt sich ja voll nach Schulausflug an", meint ein junger Aktivist, als er sich auf seinen Hosenboden setzt und den ersten Abhang hinunterrutscht.

Unten gibt es aber doch ein Empfangskomitee: Etwa 20 PolizistInnen stellen sich den 500 AktivistInnen entgegen und versperren ironischerweise den Ausgang, nicht den Eingang zur Grube. Nach Geschiebe und Gedränge sammelt sich der "Finger" und bricht aus. Es geht noch ein Stockwerk tiefer. Dort wiederholt sich das Spiel mit mehr Beamten, die nun etwas ruppiger werden, aber den "Grünen Finger" nicht festhalten können. Getreu dem Motto "be water" umfließen die AktivistInnen die Polizei und erreichen keine Stunde nach dem Ausstieg aus den Bussen den Boden der Grube.

Bis der letzte Bagger in der Lausitz stillsteht

In der schwarzen Mondlandschaft bilden die AktivistInnen einen großen Kreis und machen es sich, so gut es geht, gemütlich. Die Devise heißt: blockieren und warm bleiben. Isomatten und Planen werden ausgebreitet, Klappstühle ausgeklappt, Proviant, Bücher und Spiele ausgepackt. Die pinke Sambatruppe sorgt für Rhythmus, Menschen tanzen, einige nutzen die Zeit für Yogaübungen. Gegen die Kälte helfen Selfmade-Socken aus Rettungsdecken oder eng zusammenkuscheln.

Ein kleiner Chor findet sich und gibt den BeamtInnen ein Ständchen, die grinsen müssen und sich brav mit Applaus bedanken. "Ich würde schon verdammt gern eine rauchen", gibt eine Aktivistin zu, aber alle halten sich an das selbst auferlegte Rauchverbot in der Grube – auch wenn die ebenfalls anwesenden Mitarbeiter der Lausitz Energie Verwaltungs GmbH (LEAG) das offensichtlich lockerer sehen mit dem brennbaren Untergrund.

Weder die LEAG noch die Polizei haben Interesse an Eskalation und schlechter Presse und halten sich zurück. Die AktivistInnen unternehmen keinen Versuch, weiter in die Grube zu vorzudringen. Zwischen Einsatzleitung, Kommunikationsteam der Polizei (mit feschem Button!) und Delegierten des "Grünen Fingers" wird verhandelt, wie die Menschen wieder aus der Grube kommen. Am Nachmittag steht dann fest: Die Kohle-Gegner dürfen den Tagebau geschlossen ohne Identitätsfeststellung verlassen, die LEAG verzichtet auf eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs.

Nicht ganz CO2-neutral ziehen die AktivistInnen mit gezündeter Pyrotechnik aus dem Tagebau. Sie versprechen, wiederzukommen. Bis der letzte Bagger stillsteht.


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1 Kommentar verfügbar

  • David Sohn
    am 07.12.2019
    Antworten
    Den "Aktivisten" empfehle ich den Ratgeber für Notfälle des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Eine wirklich interessante Checkliste
    Da wäre u.a.: Legt euch mal alles in den Keller für 10 Tage ohne Strom.
    Ich hoffe keiner eurer Lieben ist/wird dann krank, braucht Polizei oder…
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