Die Medien berichten noch immer landesweit und vielfältig. Die Besetzer werden von der SPD, den Grünen, der FDP und dem Großteil der Bevölkerung unterstützt. Zeitweise sind bis zu 20 000 Menschen auf den Freiburger Straßen, um zu protestieren. Bereits im März 1978 kommt die erste Kündigung von Eigentümer Alois Selz. Die Besetzer legen Widerspruch ein. Sie verteilen Flugblätter, durch öffentliche Veranstaltungen wollen sie zeigen, wie wichtig ein Kulturzentrum wie dieses für Freiburg wäre. Der wohl nachhaltigste Versuch, das Dreisameck weiterleben zu lassen, ist, eine Genossenschaft zu gründen und das Gebäude aufzukaufen, um ein autonomes Kultur- und Kommunikationszentrum zu erschaffen.
Besonders viel Empörung gibt es, als die Stadt nicht bereit ist, ein solches Zentrum zu unterstützen, während sie aber bereit ist, ein Konzerthaus, das damals schon in der Planung war, für mehrere hundert Millionen Mark zu bauen.
"Obendrein würden die Folgekosten für das 'Nobelzentrum' pro Jahr fast so hoch kommen, wie die Erstellungskosten für ein 'allgemeines Gebrauchszentrum'." (Aus der BZ vom 25.3.1980)
Mit "Nobelzentrum" ist hier das Konzerthaus gemeint.
Doch alle Öffentlichkeitsarbeit und aller Widerstand helfen nicht. Die Gerichtsprozesse ziehen sich über Monate in die Länge. Die Räumung ist schließlich unausweichlich. Die Besetzer bauen Barrikaden und verstärken alle Fenster und Türen.
Am Sonntag den 8. Juni 1980 wird das Dreisameck um 5.00 Uhr morgens mit 1200 Polizisten geräumt. Umgehend beginnt der Abriss. Das ganze Eckhaus ist mit Stacheldraht abgesperrt. Freiburg ist in den nächsten Tagen in einem Ausnahme-Zustand. Täglich ziehen Zehntausende durch die Straßen. Am Freitag, fünf Tage nach Abrissbeginn, ist das Dreisameck weg.
Schwarzwaldhof
Aus einer Demonstration heraus wird
fünf Tage nach Räumung des Dreisamecks der leerstehende Schwarzwaldhof besetzt. Der Schwarzwaldhof liegt strategisch günstig, ein großes Areal mit nur zwei Eingängen. Leicht zu verteidigen also. Die Besetzung wurde grundlegend anders angegangen. Sofort wurden Schritte zur Legalisierung geprüft.
Aus einem Brief der Besetzer an den damaligen Oberbürgermeister Eugen Keidel:
"Wir stellen uns zunächst folgende Schritte der Stadt vor: [...] 2. Den Erlaß eines Bebauungsplans [...] der die derzeitige Bebauung beläßt. Dies soll [...] allen Beteiligten die Gelegenheit verschaffen, die Nutzung des Schwarzwaldhofs [...] als Wohngebiet, Kulturzentrum, mit Café, Werkstätten, Kinderläden und Krabbelstuben abzusichern."
Doch sie bekommen keine Rückmeldung, die Stadt scheut sich, mit den Besetzern zu verhandeln. Allerdings werden sie in Ruhe gelassen und das bunte Leben im Schwarzwaldhof kann beginnen.
"Aber aus der Langeweile gebiert sich ein Brodeln, wachsen neue Formen und Inhalte. Die Kultur von Unten. Unten? Wo ist das? Das sind wir. Das bist du. Das sind die Musiker, die Theaterleute die politisch Verfolgten, die Tagträumer, die Seiltänzer des Lebens. [...] Kultur heißt für uns Austausch, Lebendiger Austausch von Musik, von Erfahrungen von Verzweiflung von Wut und von Lust, so haben unsere Veranstaltungen auch ein anderes Gesicht. Die Eintritte finanzieren nur die Unkosten. Es gibt keine Ordner keine exakten Anfangszeiten, und schon gar kein vorprogrammiertes Ende. [...] Kultur heißt für uns Austausch, Austausch auch von politischen Erfahrungen. Die heilige Grenze zwischen Politik und Kultur wird niedergerissen. (Aus: Z'Friburg in dr Stadt, Sufer ischs un glatt, 1981)
Der Schwarzwaldhof besteht für neun Monate. Die Nachbarschaft beschwert sich immer wieder über Ruhestörung, denn die Nachtruhe ab 22 Uhr wird selten eingehalten. Nachdem die Bewohner dann auch noch verdächtigt werden, in Verbindung mit der Terroristischen Gruppe RAF zu stehen, wird auch der Schwarzwaldhof geräumt.
Autonomes Zentrum
Am 2. Oktober 1981 wird in der Nacht ein leerstehendes Lagergebäude der Universität im Glacisweg besetzt und zum "Autonomen Zentrum" (AZ) erklärt. Die Stadt, die gerne einem weiteren besetzten Haus aus dem Weg gehen würde, wählt den Verein Arbeitskreis Alternative Kultur (AAK) zum Ansprechpartner für Ersatzräume. Allerdings lehnt dieser ab, da er nicht stellvertretend für die ganze "Szene" dastehen will.
Der Fokus rückt nun vollständig auf die Kultur, und das erfolgreich. Das Einzigartige am "Autonomen Zentrum" ist, dass hier nicht nur Punks und Hippies zusammenkommen, sondern auch weltbekannte Jazzer wie Waldi Heidepriem Konzerte geben. Zu den sonntäglichen Jazzsessions kommt nun auch das bürgerliche Publikum.
Neben Jazz gibt es dort auch Rock, Pop, Punk und Hip-Hop. Die Stadt toleriert das Autonome Zentrum für lange Zeit, bis die Universität anmeldet, das Gebäude wieder selber nutzen zu wollen. Die Stadt sucht im Dialog mit den Besetzern nach Ersatzräumen, aber wenige der Parteien sind daran interessiert, das AZ aufzugeben, die Angst ist zu groß, dass die selbstbestimmte Kulturarbeit in Gebäuden der Stadt verloren gehen würde. Kurz vor der geplanten Räumung brennt das Gebäude 1985 ab. Die Ursachen sind bis heute nicht geklärt. Wieder wird protestiert; doch die Unterstützung durch Freiburger Bürger ist längst nicht mehr so groß wie fünf Jahre zuvor.
Dr. Rolf Böhme wird 1982 Oberbürgermeister von Freiburg; er geht die Probleme mit den Hausbesetzern anders als sein Vorgänger Eugen Keidel.
"Ich habe [...] die Notwendigkeit gesehen, dass man die Alternative Kunst auch als Kunst anerkennen muss. Nicht nur als politische Bedrohung." (Böhme, Alternative Kultur in Freiburg, 2018)
Jahrelang wird für Ersatzräume gekämpft, oft werden weitere Besetzungen versucht, die jedoch nie erfolgreich sind. Das Autonome Zentrum spaltet sich auf in viele kleine Interessengruppen. Laut Böhme habe nach dem Abbrennen des AZ eine "Kernspaltung" stattgefunden. Es gibt keinen zentralen Treffpunkt mehr und die Ersatzangebote der Stadt werden nur von wenigen wahrgenommen, da eine Kooperation mit den "Etablierten" gegen das Grundprinzip Vieler verstößt.
Die Stadt bietet einen Keller in der Schnewlinstraße an. Doch nur die Punks nehmen ihn an und richten sich dort ihr "Cräsh" ein. Der Raum wird liebevoll "Böhme-Bunker" genannt.
Aus einem Flugblatt der AZ Betreiber, hier wird Böhme zitiert:
"Das Ersatzangebot gilt ja nur für diejenigen, die Kultur machen. Für die Polit-Chaoten hat es nie bestanden."
Der Kommentar darauf:
"Diese Entwicklung bestätigt, daß wir vom Autonomen Zentrum mit unserer Ablehnung jeglicher Verhandlungen recht hatten, Ohne Besetzung wird es kein neues AZ geben und wir wollen ein neues AZ. Bis dahin werden wir an unterschiedlichen Orten, mal legal, mal nicht so illegal, als AZ im Exil weitermachen." (Flugblatt, 7.5.1985)
Das "AZ im Exil" veranstaltet über Jahre hinweg noch Konzerte auf öffentlichen Plätzen. Immer wieder wird für ein autonomes Zentrum protestiert. Der AAK lässt sich, nach zehn Jahren Kampf, im E-Werk nieder. Andere alternative Gruppen finden in der Fabrik oder auf dem Grethergelände einen Platz.
Die Jazzer in Freiburg bekommen das Jazzhaus. Ursprünglich als Tiefgarage geplant, setzt sich Böhme, der selber Jazzfan ist, dafür ein, den alten Weinkeller der Universität dafür umzubauen. Bei der Eröffnung, nur zwei Jahre nach dem Brand im AZ, kommt sogar Miles Davis und spielt in den Tagen der Eröffnung.
Revolution bleibt aus, dafür kommt Kultur
Obwohl die Hausbesetzer der Siebziger- und Achtzigerjahre zunächst hauptsächlich politisch motiviert waren, hat die Kulturbewegung aus dieser Zeit am meisten verändert. Revolution, die damals viele wollten, kam dann doch nicht. Veränderungen in der Kulturlandschaft hervorzurufen ist wesentlich einfacher, als ein Mächtegleichgewicht ins Wanken zu bringen.
Zu Beginn der Hausbesetzungen spielt zwar der Wohnraumaspekt noch die größte Rolle. Doch im Laufe der Besetzungen wird die Kultur immer wichtiger. Das Dreisameck bot noch Raum zum Leben für etwa 80 Leute, der Schwarzwaldhof nur noch für 30 und im AZ wohnte keiner mehr. Die Suche nach "Lebensraum" wandelte sich vollständig in eine Suche nach Freiräumen.
Aus besetzten Häusern wurden Kulturzentren. Diese wurden zu Räumen für neue Musik, Theater, Kabarett und neue Formen des Selbstausdrucks. Unzählige Vereine und Arbeitsgruppen gründeten sich in diesen Freiräumen. Nur wenige gibt es heute noch, aber die Impulse, die damals aufkamen, beeinflussen auch die heutige Freiburger Kulturszene noch maßgeblich.
Es ist unvorstellbar, das E-Werk, das Theater im Marienbad, das Vorderhaus und das Jazzhaus aus dem Freiburger Kulturleben wegzudenken. Dass diese attraktive, kulturelle Vielfalt den Hausbesetzern zu verdanken ist, ist heute nur noch wenigen bewusst.
Der Text ist eine stark gekürzte und leicht bearbeitet Fassung des Arbeitsberichts zum Film für den "Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten".
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