Der Sommer ist seine Jahreszeit. Hans-Ulrich Rülke (FDP), gebürtiger Tuttlinger, hat die Tradition seines Parteifreunds Walter Döring, früherer Wirtschaftsminister, kopiert und kultiviert. Im Juli und im August tourt der einstige Studienrat und heutige FDP-Fraktionsvorsitzende durch den Südwesten, gibt Interviews, entwirft Szenarien und Strategien, rammt dabei munter Pflöcke in die Landschaft. Mit dem Ziel, wie er eben erst mit schönem Freimut sagte, einer bürgerlichen Koalition nach den Landtagswahlen 2026. Weil für Schwarz und Gelb gegenwärtig je nach Umfrage zwischen sechs und acht Prozentpunkte zur Mehrheit der Landtagsmandate fehlen, vereinnahmt er kurzerhand die SPD für seine Zwecke.
Mehr noch, Rülke "glaubt" sogar, es gebe "auch hinreichend gegenseitiges Vertrauen mit dem SPD-Kollegen Andreas Stoch, und wir sind uns eigentlich schon einig, dass wir 2026 gemeinsam regieren wollen". Rotes Dementi? Fehlanzeige! Stattdessen die triviale Mitteilung auf Kontext-Anfrage, dass "demokratische Parteien immer in der Lage sein sollten, zu koalieren", dass "wer aber mit wem regieren kann, die Wählerinnen und Wähler entscheiden". Eine Antwort, die gerade aus SPD-Sicht einfach falsch und geschichtsvergessen ist. Denn nicht die Wählerinnen und Wähler haben 2011 entschieden, mit gemeinsam 47,3 Prozent eine grün-rote Koalition einzugehen statt mit zusammen satten 62,1 Prozent eine schwarz-rote. Der damalige SPD-Landeschef Nils Schmid hatte sogar einen Parteitag schon fünf Monate vor der Wahl davon überzeugt, sich nicht allein auf rot-grün, sondern auf grün-rot einzustellen.
Aber die SPD ist längst wieder angekommen in jener Gemütslage, die die Achtziger und Neunziger im Umgang mit den Grünen prägten. Mehr noch: Aus den Eifersüchteleien früherer Jahre ist Entfremdung geworden. SPD-Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch trägt daran ein gerütteltes Maß an Mitschuld. Kretschmann hat ihn in der gemeinsamen Regierungszeit bis 2016 sogar einmal als besten Kultusminister in Baden-Württembergs Geschichte bezeichnet. Dennoch griff der Rote den Grünen sofort und immer wieder frontal an.
Sehnsucht nach alter Stärke
Wirklich näher kamen sich die beiden nicht mehr. Dazu sind sich in der historisch größten grünen Fraktion mit 58 Direktmandaten zu viele Abgeordnete selber genug – erkennbar gerade im Parlamentsalltag oder auf Ausschussreisen. Das Interesse an stabilen persönlichen und politisch belastbaren Kontakten mit Sozialdemokrat:innen ist deutlich unterentwickelt. Und umgekehrt lautet einer der schmallippig vorgetragenen Standardsätze: "Wir hätten mit den Grünen in einer Ampel regiert, aber Kretschmann wollte uns nicht."
1 Kommentar verfügbar
Helmut Gattermann
am 07.08.2024