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Deutschland-Koalition

Gelb und schwarz und rot

Deutschland-Koalition: Gelb und schwarz und rot
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Manuel Hagel, der starke Mann der Südwest-CDU, und FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke wollen Baden-Württemberg ab 2026 miteinander regieren. Sagt jedenfalls der Liberale. Die fehlenden Sitze für die Mehrheit soll die SPD besetzen.

Der Sommer ist seine Jahreszeit. Hans-Ulrich Rülke (FDP), gebürtiger Tuttlinger, hat die Tradition seines Parteifreunds Walter Döring, früherer Wirtschaftsminister, kopiert und kultiviert. Im Juli und im August tourt der einstige Studienrat und heutige FDP-Fraktionsvorsitzende durch den Südwesten, gibt Interviews, entwirft Szenarien und Strategien, rammt dabei munter Pflöcke in die Landschaft. Mit dem Ziel, wie er eben erst mit schönem Freimut sagte, einer bürgerlichen Koalition nach den Landtagswahlen 2026. Weil für Schwarz und Gelb gegenwärtig je nach Umfrage zwischen sechs und acht Prozentpunkte zur Mehrheit der Landtagsmandate fehlen, vereinnahmt er kurzerhand die SPD für seine Zwecke.

Mehr noch, Rülke "glaubt" sogar, es gebe "auch hinreichend gegenseitiges Vertrauen mit dem SPD-Kollegen Andreas Stoch, und wir sind uns eigentlich schon einig, dass wir 2026 gemeinsam regieren wollen". Rotes Dementi? Fehlanzeige! Stattdessen die triviale Mitteilung auf Kontext-Anfrage, dass "demokratische Parteien immer in der Lage sein sollten, zu koalieren", dass "wer aber mit wem regieren kann, die Wählerinnen und Wähler entscheiden". Eine Antwort, die gerade aus SPD-Sicht einfach falsch und geschichtsvergessen ist. Denn nicht die Wählerinnen und Wähler haben 2011 entschieden, mit gemeinsam 47,3 Prozent eine grün-rote Koalition einzugehen statt mit zusammen satten 62,1 Prozent eine schwarz-rote. Der damalige SPD-Landeschef Nils Schmid hatte sogar einen Parteitag schon fünf Monate vor der Wahl davon überzeugt, sich nicht allein auf rot-grün, sondern auf grün-rot einzustellen.

Aber die SPD ist längst wieder angekommen in jener Gemütslage, die die Achtziger und Neunziger im Umgang mit den Grünen prägten. Mehr noch: Aus den Eifersüchteleien früherer Jahre ist Entfremdung geworden. SPD-Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch trägt daran ein gerütteltes Maß an Mitschuld. Kretschmann hat ihn in der gemeinsamen Regierungszeit bis 2016 sogar einmal als besten Kultusminister in Baden-Württembergs Geschichte bezeichnet. Dennoch griff der Rote den Grünen sofort und immer wieder frontal an.

Sehnsucht nach alter Stärke

Wirklich näher kamen sich die beiden nicht mehr. Dazu sind sich in der historisch größten grünen Fraktion mit 58 Direktmandaten zu viele Abgeordnete selber genug – erkennbar gerade im Parlamentsalltag oder auf Ausschussreisen. Das Interesse an stabilen persönlichen und politisch belastbaren Kontakten mit Sozialdemokrat:innen ist deutlich unterentwickelt. Und umgekehrt lautet einer der schmallippig vorgetragenen Standardsätze: "Wir hätten mit den Grünen in einer Ampel regiert, aber Kretschmann wollte uns nicht."

So haben zu viele auf ihre Art und Weise eine Rechnung offen, was dem FDPler Rülke nicht entgangen ist. Der ist erfahren und machtorientiert von Anfang an. 2006 zog er in den Landtag ein. Nur drei Jahre später landete er seinen ersten Coup, als er sich völlig überraschend – vor allem für seinen Vorgänger Ulrich Noll – zum Fraktionschef wählen ließ. Seither zimmert er unverdrossen am Image des Bad Cop der Landespolitik und am Profil seiner Partei, die in ihrem Stammland noch nie aus dem Landtag geflogen ist, aber 2011 aus der Regierung.

Der Blick 13 Jahre zurück lohnt gegenwärtig besonders. An der CDU, geführt von Stefan Mappus, und den trotz Stuttgart 21 und Fukushima eingefahrenen 39 Prozent lag es nicht, dass damals die schwarz-gelbe Koalition nicht fortgesetzt werden konnte: Die FDP hatte bei der Landtagswahl 2011 mickrige gut fünf Prozent geholt, 2006 waren es fast elf Prozentpunkte. Und diese Scharte will der langgediente Liberale jetzt ausmerzen.

Gemeinsam gegen die Grünen

CDU-Landeschef Manuel Hagel, der gerade durch den Osten der Republik gereist ist und in Berlin Großstadt-Flair tankte, Curry-Wurst inklusive, hat 2026 zum ersten Mal die Chance, als Winfried Kretschmanns Erbe in die Villa Reitzenstein einzuziehen. Er ist ebenfalls in eine Sommertour gestartet ("Wenn ihr mich schon immer persönlich etwas fragen wolltet, kommt vorbei"), will sich bekannt machen. Für den 62-jährigen Rülke dagegen ist die nächste Landtagswahl die letzte Chance, um doch noch als Vize-Regierungschef am Kabinettstisch zu landen. Also interpretiert er offensiv Aussagen des Wunschpartners CDU, der dem Vernehmen nach davon gar nicht so begeistert sein soll. Allerdings ist unvorstellbar, dass die beiden ungleichen Männerfreunde ihre Öffentlichkeitsarbeit nicht abgestimmt haben: Schon vor einem Jahr seien Rülke und Hagel mit Rucksäcken auf dem Westweg bei Pforzheim gewandert, erinnerte kürzlich die "Süddeutsche Zeitung", und hätten sich nachher darum gekümmert, "dass von diesem Ausflug auch alle erfuhren".

Einen Sommer später ist die Nähe noch größer. Rülke geht "natürlich" davon aus, dass "Herr Hagel eine Koalition mit den Grünen genauso ausschließt wie ich im Moment". Eine gewagte Botschaft angesichts des Umstands, dass die FDP im Bund in einer Koalition mit diesen Grünen regiert. Und dass Hagel noch mindestens zwanzig Monate mit einem Partner vor sich hat, den er dann loswerden und auf harten Oppositionsbänken schmoren sehen möchte.

Von der zeitlichen Abfolge ganz abgesehen: Planmäßig ist die nächste Bundestagswahl im Herbst 2025 und CDU-Parteichef Friedrich Merz könnte danach eine Regierung bilden wollen respektive müssen, für die die Grünen unentbehrlich sind. In dieser politischen Großwetterlage starten dann hierzulande Hagel und Rülke ihren harten Abgrenzungswahlkampf gegen die gleichen Grünen, mit denen die CDU und die FDP in Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein einigermaßen problemlos regieren. Aus heutiger Sicht ist das kaum vermittelbar, von den Unwägbarkeiten des Klimawandels ganz abgesehen.

Getrennte Welten in der Bildungs- und Sozialpolitik

Denn wer derart konsequent darauf hinarbeitet, notwendige Anstrengungen im Kampf gegen die Erderwärmung als inakzeptable Eingriffe der Grünen in persönliche Lebensstile zu brandmarken, läuft darauf zu, dass künftige Naturkatastrophen den Grünen wieder Zulauf bescheren. Denn vorüber sind die Zeiten, da Hagel postete, Klimaschutz habe "für uns Top-Priorität" oder für Christdemokraten sei "die Bewahrung der Schöpfung ein zentraler Bestandteil unseres Handelns". Die SPD im Land hingegen erklärt "das Aufhalten des menschengemachten Klimawandels" weiterhin zu einem "unserer zentralen Themen". Und weiter: "Die Klimakrise erlaubt es nicht, weiter Zeit zu verlieren."

Nach dem Motto "Man wird ja mal träumen dürfen" entwirft der Sozialdemokrat Stoch dennoch Szenarien, gemeinsam mit der CDU und ohne FDP 2026 eine Landesregierung zu bilden. Denn der 54-jährige Rechtsanwalt aus Heidenheim wird ebenfalls nicht mehr so viele Chancen bekommen, noch einmal an einem Kabinettstisch Platz zu nehmen. Also treibt den Roten und sein Team das hessische Vorbild um: Dort gab die CDU den Grünen den Laufpass und regiert neuerdings mit der SPD. Eine Variante, die in Baden-Württemberg gegenwärtig in der Demoskopie allerdings auch nur auf 42 oder 43 Prozent kommt.

Spannend zu betrachten wird sein, wie viele in Baden-Württembergs SPD überhaupt von den Koalitionswünschen ihres Landesvorsitzenden begeistert sind. Gesellschaftspolitisch trennen vor allem jüngere CDU-Männer und linke SPD-Frauen Welten in Fragen der Gleichstellung, der Antidiskriminierung oder der Armutsbekämpfung. Besonders weit voneinander entfernt sind Schwarze und Liberale auf der einen und Rote auf der anderen Seite in der Bildungspolitik. Stichwort: Gemeinschaftsschule, deren Einführung Stoch in seiner Zeit als Kultusminister von 2013 bis 2016 engagiert vorangetrieben hat, die die anderen beiden möglichen Koalitionspartner aber stark beschneiden wollen. Hinzu kommen Themen wie Schuldenbremse und mehr Mittel für eine sozial ausgewogenere Transformation, Mindestlohn, Lieferketten oder Tariftreue, bei denen engagierte Gewerkschafter:innen über das Nein von Schwarzen und Liberalen nur den Kopf schütteln können.

Und dann ist da noch eine ganz andere Interpretation der Rülke’schen Sommer-Signale. Nicht erst seit dem Rückzug von Joe Biden als Präsidentschaftskandidat der Demokraten in den USA ist Thema, was passiert, wenn die Kraft ausgeht. Hagel hatte vor knapp einem Jahr angekündigt, im Falle eines vorzeitigen Rückzugs von Kretschmann keinen grünen Nachfolger gemeinsam im Parlament zu wählen – anders als im Koalitionsvertrag mit den Grünen verabredet. In Wellen wird seither in allen vier demokratischen Fraktionen diskutiert, ob es der inzwischen 36-Jährige gegebenenfalls wirklich schaffen würde, entweder Neuwahlen zu fordern oder selber im Landtag für das Amt des Ministerpräsidenten zu kandidieren. Der FDP-Fraktionschef Rülke hat jedenfalls schon mal den Umstand bemerkt, dass seine Partei gemeinsam mit Roten und Schwarzen bereits seit 2021 rein rechnerisch eine Mehrheit im Landtag hat mit 79 von 154 Sitzen. Ob sich ausreichend viele SPD-Abgeordnete an dieser Art fliegendem Wechsel beteiligen würden, ist allerdings fraglich. Denn die SPD könnte bei der nächsten Wahl viele Stimmen verlieren, es droht sogar die Einstelligkeit: Aktuell weisen die Umfragen nur elf oder zwölf Prozentpunkte aus. Und gleichzeitig waren im Baden-Württemberg-Trend im Mai noch über 50 Prozent der befragten Wahlberechtigten mit dem grünen Ministerpräsidenten zufrieden, während Hagel bei mageren 16 Prozent hängen bleibt.

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1 Kommentar verfügbar

  • Helmut Gattermann
    am 07.08.2024
    Antworten
    Es gibt auch Veränderungen von unten: Beispielsweise wird es in Freiburg demnächst 5 Gemeinschaftsschulen (und eine Gesamtschule) geben. Wie würde sich Andreas Stoch gegenüber so einer Entwicklung verhalten? Auch für Grüne Bildungspolitik ist diese Transformation nur schwer mitzutragen,
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