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Stellenabbau bei Weru in Rudersberg

"In meinen Adern fließt gelbes Blut"

Stellenabbau bei Weru in Rudersberg: "In meinen Adern fließt gelbes Blut"
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Eine Geschäftsführung, die nicht informiert, 150 Leute demnächst wohl ohne Job und ein Bürgermeister, der sich wundert. Die Fenster- und Türenfirma Weru verlagert ihre Produktion – angeblich wegen Hochwasser – von Rudersberg nach Thüringen. Doch die Beschäftigten kämpfen.

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Das Betriebsratsbüro ist im Hochwasser abgesoffen, so wie die gesamte Produktion der Firma Weru. Alle Unterlagen: weg. Nun trifft man sich im Vereinsheim des TSV Rudersberg. Das funktioniert, weil der Betriebsratsvorsitzende Rüdiger Augustin bis vor Kurzem ehrenamtlicher Leiter der Fußballsparte war. 58 Jahre ist er alt, seit 35 Jahren schafft er bei Weru. Zuletzt war er Abteilungsleiter der Alu-Türen-Fertigung, seit Juni ist er freigestellt für die Betriebsratsarbeit. Er habe nun "die ehrenvolle Aufgabe, das schwankende Schiff wieder auf Kurs zu bringen", sagt er und wirkt dabei ein wenig zweifelnd. Seit einem Jahr im Betriebsrat, seit Juni Vorsitzender – und nun Krise. Seit 181 Jahren werden in dem 12.000-Einwohner-Ort nordöstlich von Stuttgart Fenster und Türen produziert, zunächst aus Holz, seit Mitte der 1960er aus Kunststoff, mehrmals verkauft, gehört die Firma mittlerweile zum dänischen Konzern Dovista. Der Name Weru setzt sich aus den Anfangsbuchstaben von Willy Eppensteiner Rudersberg zusammen, Betriebsleiter ab 1935. Die örtliche Verwurzelung hat für die Belegschaft Gewicht. "Mein Großvater war der erste Mitarbeiter bei Weru", erzählt Bernd Matzke sichtlich stolz. Er selbst arbeitet in der Hebeschiebetüren-Fertigung. "In meinen Adern fließt gelbes Blut", sagt er lachend. Gelb ist die Weru-Farbe, und wie Matzke fühlen hier viele Beschäftigte.

Rund 300 hat das Unternehmen noch in Rudersberg. Doch es scheint absehbar, dass es künftig nur noch halb so viele sind, und zwar in Verwaltung, Vertrieb und Service. Die Produktion aber, in der 150 Leute Alu-Türen, Hebeschiebetüren, Isolierglas produzieren, soll weg. Wegen des Hochwassers, sagt die Geschäftsführung. Das hat in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni die Produktionshalle komplett zerstört. Am Wiederaufbau hat die Firma kein Interesse. An Thüringen haben die hiesigen Weruaner kein Interesse.

Ganz neu ist die Verlagerung nicht. Bereits im vorigen November hatte es geheißen, die Hebeschiebetüren sollten nach Triptis in Thüringen verlagert werden, wo die Firma in den 1990ern eine Fensterproduktion aufgebaut hat. Die Alu-Türen sollten zu dem Zeitpunkt noch in Rudersberg bleiben. Nun nicht mehr.

"Ich hätte das noch 30 Jahre lang machen können", sagt Fatih Yildiz. Sein Großvater hat bei Weru gearbeitet, die Mutter und dann auch der Vater. Er selbst ist seit 2017 dabei, in der Füllungsabteilung, und er findet die Arbeit "okay, weil man da auch mitdenken muss". Der Zusammenhalt unter den Kollegen (hier arbeiten fast nur Männer) sei sehr gut, viel werde auch privat miteinander unternommen. Umso bitterer wäre es für Yildiz, hier nicht mehr arbeiten zu können. "Dass die jetzt 180 Jahre einfach wegschmeißen, das kotzt mich schon an." Nach Thüringen zu gehen, ist für ihn keine Option. "Wir sind hier aufgewachsen, ich hab' Familie hier, wir haben gekauft. Außerdem hab' ich gehört, dass die da nicht so freundlich mit Ausländern sind."

Mit Familie meint Yildiz nicht nur Frau und Kinder. Um ihn herum stehen Onkel und Cousins. Engin Cimen, Süleyman Cimen, Muhammet Cimen, später kommt noch Ahmet Cimen dazu. Mittendrin Bernd Matzke. "Ich bin mit denen aufgewachsen." Alle haben gelbe Weru-Warnwesten an, sie wollen gesehen werden, wenn sie gleich die Holzkreuze im Dorf aufstellen. 150 haben sie gebaut, so viele wie Jobs verloren gehen. Über jedes Kreuz wird ein graues Weru-Poloshirt gestülpt, auf den Hänger werden sie von einem kleinen Traktor durch den Ort gezogen. Obendrauf Süleyman Cimen, Onkel von Yildiz. Das sei sein Traktor, sagt er. Er habe Streuobstwiesen und sei auch Jäger – deswegen das Gefährt. Gemächlich tuckert er zum Ortsrand. Hier schlägt Muhammet Cimen, der größte von den Männern, mit einem schweren Hammer die Kreuze in den Boden. "Das Transparent noch", ruft einer. "Weruaner kämpfen um ihre Arbeitsplätze", steht da drauf, und es soll zwischen zwei Kreuze gespannt werden. "Kabelbinder?" "Hab' i net", sagt Ahmet Cimen, Bruder von Süleyman, Betriebsrat und gerade Tonangeber. "Dann nehmen wir ein Seil zum Befestigen." Gesagt, getan, das Transparent wird angebunden. "Taschenmesser?" "Hab' i net", heißt es wieder. Ahmet Cimen grinst. "Wollte ich nicht, sonst schreibt die Presse was über Türken und Messer." Die Stimmung ist gelöst, es wird gefrotzelt.

Andere Firmen bauen wieder auf

Am nächsten Vormittag versammeln sich bei einer Mahnwache auf dem Weru-Parkplatz direkt am Werksgelände rund 80 Männer. Sie stehen etwa hundert Meter weg vom provisorischen Zaun, der um das Firmengelände gezogen wurde. Dahinter sitzt ein junger Wachmann, weiter drinnen zu sehen sind Arbeiter, die Schutt in die korrekten Container sortieren. Hinter dem weißen Plastikstuhl des Wachmanns liegen aneinandergereiht weiße Säcke mit der Aufschrift "Vorsicht! Enthält Asbest". Von Asbest haben die Protestierenden auf dem Parkplatz noch nie gehört, interessiert sie jetzt auch nicht, sie wollen zuhören.

Zu der Mahnwache hat die IG Metall Waiblingen zusammen mit dem Betriebsrat aufgerufen. Gewerkschaftssekretär Thomas Martin greift zum Mikrofon: "Wir wollen wenigstens einen Teil der Produktion in Rudersberg halten." Leider aber, so Martin, bekämen Betriebsrat und Gewerkschaft von der Geschäftsführung keine verlässlichen Informationen. Auch Betriebsratschef Augustin ist sauer und enttäuscht. Er verspricht: "Ich werde alles tun, um alle Arbeitsplätze zu erhalten." Im Vorfeld hatte er erzählt, dass man versucht habe, die Politik einzuspannen. "Die sollen nicht nur beim Hochwasser hier rumstehen, sondern uns helfen."

Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium hat für Firmen, die vom Hochwasser betroffen sind, zwei spezielle Förderdarlehen mit besonders günstigen Förderbedingungen geschaffen, schreibt es auf Kontext-Anfrage. Und es habe auch Kontakt zu Weru aufgenommen. Mit welchem Ergebnis, bleibt unklar. Das Haus von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) bedauert, dass Weru seine Produktion vor Ort aufgeben will und hofft, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Außerdem: "Es sind augenblicklich keine weiteren Firmen bekannt, die aufgrund der Hochwasserschäden dauerhaft schließen bzw. teilschließen wollen." Und Anträge wegen Hochwasserschäden seien bislang bei der L-Bank noch nicht eingegangen.

Es gäbe also günstiges Geld für Weru, es gäbe eine Mannschaft, die unbedingt weiterarbeiten will – aber der Konzern will nicht in Baden-Württemberg weiterproduzieren.

Raimon Ahrens, Bürgermeister von Rudersberg, kann dazu nur den Kopf schütteln. Er sei stets im Gespräch mit Weru gewesen, habe Kontakte vermittelt, für anderes Gelände oder in die Landespolitik. Viele Unternehmen seien vom Hochwasser betroffen. "Und bei vielen spüre ich ein großes Interesse am Wiederaufbau." Unausgesprochen bleibt: "Bei Weru nicht."

Ahrens versichert den Beschäftigten seine Solidarität und lobt sie für ihr Engagement. "Wir stehen an Ihrer Seite." Und er sagt, die Verlagerung sei für den Ort ein herber Schlag. "150 Arbeitsplätze, das sind 150 betroffene Familien."

Nach der kurzen Kundgebung stehen die Weruaner in Grüppchen zusammen, diskutieren die Lage. "Wenn die sagen, es macht keinen Sinn, hier weiter zu produzieren, kann ich nur erwidern: Es macht doch keinen Sinn, 150 Leuten Abfindungen zu zahlen und da drüben auszubauen", sagt Andi Zimmermann. Der 35-Jährige ist Vorarbeiter in der Rollierung, seit 14 Jahren bei Weru und hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass er mit seinen Kollegen die Geschäftsleitung zur Umkehr bewegen kann.

Nach Thüringen wollen sie nicht

Die allerdings bemüht sich aktuell darum, eine Behelfsproduktion im thüringischen Triptis aufzubauen, um die bestehenden Aufträge abzuarbeiten. Es werden Rudersberger gesucht, die drüben helfen. Ein paar Kollegen würden das machen, wird auf dem Parkplatz erzählt. Immerhin gibt es dafür Zuschläge zum Tariflohn. Aber auf Dauer dorthin zu ziehen, das lehnen bei einer Kurzumfrage alle ab. Mögliche Ausländerfeindlichkeit, schlechtere Tariflöhne, längere Arbeitszeiten (38- statt 35-Stunden-Woche), und die Familien würden da sowieso nicht mitmachen. Quoc Tuan Do, der seit 33 Jahren bei Weru arbeitet, würde nur unter einer Bedingung nach Triptis gehen: "Für ein Jahr, wenn garantiert ist, dass in diesem Jahr die Produktion hier wiederaufgebaut wird. Damit auch unsere Kinder hier noch arbeiten können."

Ob es so weit kommt, bleibt abzuwarten. Weil IG Metall und Betriebsrat die Begründung nicht reicht, es sei zu teuer, in Rudersberg wieder aufzubauen, wurde eine Expertin beauftragt, die die Geschäftszahlen analysiert. Aber es sei alles sehr mühsam – einen schnellen und kurzen Draht zur Geschäftsführung gebe es nicht. "Wir haben immer versucht, konstruktiv zusammenzuarbeiten", sagt ein Betriebsrat, sichtlich konsterniert darüber, dass die Chefs so unkooperativ sind. "Wir haben auch schon Minusstunden gemacht", ruft ein Kollege. Ein anderer: "Und auf Weihnachtsgeld verzichtet, als es nicht lief."

Blumige Worthülsen

Von der örtlichen Weru-Geschäftsführung sowie von der PR-Abteilung des Mutterkonzern Dovista gab es auf Kontext-Anfragen nur Phrasen als Antworten à la: "Nachdem die verheerende Flutkatastrophe Anfang Juni die Produktionseinrichtungen von Weru am Standort Rudersberg vollständig zerstört hat, sieht Weru sich gezwungen, diese aufzugeben und plant, die Produktion vor Ort zu schließen." Oder: "Rudersberg ist die Heimat von Weru – Dovista hat sich zu dem Standort Rudersberg bekannt." Oder: "Unsere ostdeutschen Standorte sind bestens gerüstet, um die Produktion von Hebeschiebetüren sowie Aluminium- und Kunststofftüren kurzfristig zu übernehmen." Und besonders schön: "Verantwortung für die Beschäftigten", "offener und konstruktiver Dialog mit dem Betriebsrat", "sozialverträgliche und faire Lösungen für die betroffenen Mitarbeiter für die Zukunft".  (lee)

Und in Thüringen? Dort hat der zuständige IG-Metall-Sekretär Christian Hellfritzsch zwar mitbekommen, dass die Produktion zu ihnen verlagert werden soll. Nach Triptis, wo bereits 400 Leute Fenster bauen, oder nach Gommla – genaues wisse er aber nicht. Das sei ja eine unternehmerische Entscheidung. Ansonsten: "Wir warten ab, was passiert."

Irgendwelche gemeinsamen Aktionen der Belegschaften in Rudersberg und Triptis sind jedenfalls nicht geplant, bestätigt auch der hiesige Gewerkschafter Thomas Martin. Kontakte zwischen den Betriebsräten der beiden Standorte gebe es zwar, aber besonders intensiv seien die nicht.

In Rudersberg haben die Weruaner bis zum Ende der Mahnwache alle 150 Holzkreuze aufgestellt, auch direkt vor dem Verwaltungsgebäude, in das voraussichtlich in den kommenden Wochen die Verwaltung wieder einziehen soll. Die hier arbeitenden 150 Mitarbeiter:innen bleiben am Standort, die Adresse wird weiterhin als Stammsitz-Adresse geführt. Dovista nennt das "Bekenntnis zum Standort".

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2 Kommentare verfügbar

  • Emerantia
    am 10.08.2024
    Antworten
    Natürlich tut es mir leid, daß es Pläne gibt, die Produktion zu verlagern. Doch so erfahren Menschen im Speckgürtel von Stuttgart mal am eigenen Leib, was die Leute in Thüringen und im Osten allgemein seit 1990 ständig erlebt haben. Ihre Betriebe wurden aufgekauft bzw. geschlossen, ihre…
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