
Tobi Rosswog auf dem Ex-GKN-Stahlross. Foto: Joachim E. Röttgers
Gegen 17.30 Uhr fährt Tobi Rosswog mit einem knallroten Lastenrad vors Gebäude der Straßenzeitung Trottwar. Der 33-Jährige ist an diesem Nachmittag aus Ludwigsburg gekommen, seit Mitte Juni hat er 14 Städte abgeradelt, um das Lastenrad mit Akku vorzustellen und um Unterstützung für das Collettivo di Fabbrica zu werben. Die Linke hat den Abend in Stuttgart organisiert, rund 40 Leute sind gekommen, von jung bis alt. In ökosozialistischen Kreisen ist das Collettivo bekannt, weil es so beispielhaft ist und den Traum von einer verdammt nochmal besseren Welt realistischer erscheinen lässt.
Im Sommer vor drei Jahren, am 9. Juli 2021, einem Freitag, bekamen die 422 Beschäftigten und die 80 Leiharbeiter der GKN-Fabrik in Campi Bisenzio eine E-Mail von der Geschäftsleitung: Sie seien fristlos gekündigt, bräuchten am Montag nicht zu kommen, die Fabrik werde geschlossen. Das war illegal, doch die Arbeiter gingen nicht als erstes zum Gericht oder zu ihrer Gewerkschaft, sondern in ihre Fabrik. Und besetzten sie. Wie es dazu kam und wie die Lage heute ist, das konnten die Besucher:innen bei Trottwar per Film und durch Erzählung von Rosswog erfahren.
Bereits 2007 begann die Belegschaft von GKN in Campi Bisenzio, einem von 50 Standorten des britischen Automobilzulieferers, sich basisgewerkschaftlich zu organisieren. Grund waren Unstimmigkeiten mit der italienischen Metallgewerkschaft FIOM und deren Stellvertreterpolitik. Die Arbeiter begannen sich wöchentlich zu treffen, über ihre Rechte zu diskutieren. Mit dem Aufkauf der Fabrik durch die britische Investmentgesellschaft Melrose Industries (Motto: "Buy, improve, sell") 2018 wurde aus der losen Arbeiterorganisation das Collettivo di Fabbrica. Das ermöglichte eine schnelle Mobilisierung nach der Kündigungswelle: Viele Arbeiter brachen umgehend zum Fabrikgelände auf, übermannten die dort stehenden Wächter und begannen ihre permanente Betriebsversammlung, geregelt nach dem italienischen Arbeiterstatut von 1970. Die Besetzung dauert bis heute an. Und sie versteht sich als Fortführung der italienischen Klassenkämpfe der 1960er- und 1970er-Jahre. Als Vorbild gilt vor allem der "heiße Herbst" 1969, die Arbeiteraufstände und Streikwelle im Turiner Fiat-Werk Mirafiori, auch weil der Achsenhersteller in Campi Bisenzio einst zu Fiat gehörte.
Arbeit und Wissenschaft: am besten zusammen
Rosswog ist von Beruf Aktivist, verdient hier und da als Dozent und Berater, lebt in einer "gemeinsamen Ökonomie", sagt er und widmet sein Leben vor allem dem Kampf um eine Welt ohne Ausbeutung und ohne Zerstörung der Umwelt. In Wolfsburg ist er aktiv bei "VW Verkehrswende", und er gehört zur kleinen deutschen Soli-Gruppe vom Collettivo. Die italienischen Arbeiter wollen in ihrer Fabrik – und so betrachten sie das Gelände – eine ökologisch und sozial sinnvolle Produktion aufbauen. Wie soll das konkret aussehen?
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Hans Winkler
am 15.07.2024