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Porsche-Hauptversammlung und Nazi-Banner

Die Unerträglichkeit des Unleugbaren

Porsche-Hauptversammlung und Nazi-Banner: Die Unerträglichkeit des Unleugbaren
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Turbulent ging es zu bei der Porsche-Aktionärsversammlung in der Porsche-Arena: nackte Brüste, blutige Geldscheine, blockierte Zufahrt. Ein Banner mit Verweis auf die Nazi-Vergangenheit des Unternehmens schien der Staatsanwaltschaft ein besonderer Dorn im Auge.

Es war das erste Treffen der Porsche-Aktionär:innen, seitdem das Unternehmen im Herbst 2022 an die Börse gegangen ist. Und eigentlich war der vergangene Mittwoch ein Tag zum Korkenknallen für die milliardenschwere Aktiengesellschaft: Porsche feierte vor Kurzem seinen 75. Geburtstag als Sportwagenhersteller, der Gewinn ist im vergangenen Jahr auf knapp fünf Milliarden Euro gestiegen und für das laufende erwartet man sich eine Rendite von beinahe 20 Prozent.

Alles schön und gut, wären da nicht die verfluchten Aktivist:innen. Bereits die Hinfahrt zur Arena war ein Unterfangen, da sechs Vertreter:innen der Letzten Generation den schicken Sportwagen den Weg Richtung Bad Cannstatt versperrten. Dort angekommen, erwartete die Aktionär:innen eine angemeldete Kundgebung der Bürgerinitiative Neckartor und weiterer Umweltaktivist:innen. Für besondere Aufregung sorgten zwei Aktivistinnen, die es direkt auf die Hauptversammlung geschafft haben: Eine von ihnen beschmierte einen Porsche mit blutroter Farbe, klebte sich anschließend daran fest und entblößte ihre Brust. Die andere Aktivistin unterbrach die Rede von Vorstandschef Oliver Blume, indem sie "dreckige Dividende" rief und dabei ein Transparent mit "Nazi-Erbe enteignen" in die Luft hielt. Neben der Rolle des Luxus-Fahrzeug-Herstellers in der Klimakrise ist eben diese fehlende Aufarbeitung des Unternehmens mit der "dunkelbraunen NS-Vergangenheit der Firmengründer", wie die Bürgerinitative Neckartor schreibt, einer der Hauptkritikpunkte. Und das Unternehmen reagiert allergisch, wenn bei Protestaktionen die Nazi-Verstrickung auf Bannern thematisiert wird.

Etwa auf Peter Erben von der genannten Bürgerinitiative und sein Banner: "Ferdinand Porsche, Nazi, KZ-Betreiber, Kriegsverbrecher. Noch Fragen?" Um den Verdacht auf Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener gar nicht aufkommen zu lassen, habe Erben der Polizei nach eigener Aussage zu Beginn der Kundgebung extra die Einstellungsverfügung der Münchner Staatsanwaltschaft vorgelegt. Das besagte Banner wurde ihm nämlich schon einmal entwendet: im September vor zwei Jahren bei der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in München. Die Münchner Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren damals ein mit der Begründung: "Vor seinem Hintergrund der historischen Rolle Ferdinand Porsches im Nationalsozialismus, insbesondere unter Zugrundelegung seiner Mitgliedschaft in NS-Organisationen, seiner Tätigkeit im VW-Konzern vor 1945 und seiner Bedeutung für die deutsche Rüstungswirtschaft im Krieg, sind die getroffenen Aussagen der Beschuldigten – auch unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit – als noch zulässig einzustufen." Seitdem trägt Erben bei jedem Protest mit dem besagten Banner den Einstellungsbescheid von damals mit sich.

Gewalt gegen Letzte Generation

In Stuttgart führten Mitglieder der Letzten Generation am vergangenen Samstag erneut Aktionen durch. Sie klebten sich an insgesamt neun Straßen in Stuttgart fest, unter anderem an der Theodor-Heuss-Straße, der B14, der B27 und dem Heslacher Tunnel. Somit war es der bisher größte Protest der Vereinigung in Stuttgart. In einer Pressemitteilung über die Protestaktion verwiesen die Aktivist:innen auf die 24 kürzlich veröffentlichten Maßnahmen des Stuttgarter Bürgerrates, wie die Stadt bis 2035 klimaneutral werden soll. Unsere Kolumnistin Elena Wolf hatte bereits in Kontext-Ausgabe 631 vor zunehmender Gewalt gegen "Klima-Kleber" gewarnt. Handy-Videos in den Sozialen Medien zeigen, wie Klimaaktivist:innen von Autofahrer:innen getreten, aggressiv von der Straße gezerrt und ihnen die Protestbanner entrissen werden. Am Killesberg schob ein Autofahrer beim Versuch an ihm vorbeizufahren, einen Aktivisten mit der Motorhaube vor sich her. Die Polizei prüfe nun auf Körperverletzung.  (fra)

Geholfen hat ihm das bei der Porsche-Veranstaltung wenig. Die Polizei habe sich zwar vor Beginn der Kundgebung telefonisch rückversichert, dass das Banner zulässig sei und Erben sogar grünes Licht gegeben. Trotzdem lag am Ende der Protestaktion – etwa um zehn Uhr – plötzlich eine Anzeige vor: wegen Beleidigung nach Paragraf 185, also nicht gegen einen Toten, sondern gegen einen Lebenden. Demnach soll Wolfgang Porsche geschmäht worden sein und nicht sein 1951 verstorbener Großvater Ferdinand, dessen Name auf dem Banner steht. Die zwei Polizisten, die von Anfang an dabei gewesen waren, wiesen den Aktivisten darauf hin und nahmen das Banner als Beweismittel mit. Auf Nachfrage per Mail durfte Erben dieses zwei Tage später bei der Polizei abholen. Dort sprach man von einem Versehen.

Den tatsächlichen Grund für die Beschlagnahmung kennt Erben selbst nicht, zumal eine Verurteilung ausgeschlossen ist. "Schätze mal, 'vorauseilender Gehorsam' der Stuttgarter Staatsanwaltschaft der Firma Porsche gegenüber war letztlich das Motiv", schreibt er auf Kontext-Anfrage. Wer sich da im Hintergrund angegriffen fühlte und Druck machte, die Botschaft der Aktivist:innen aus der Öffentlichkeit zu entfernen, bleibe weiterhin unklar.

Manche sind Nazis, andere Dummschwätzer

Ein ähnlicher Fall ereignete sich vor zwei Monaten in Hamburg: Weil die Bundesvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Cornelia Kerth, bei einer Feier anlässlich des Endes des Zweiten Weltkrieges ein Plakat mit der Aufschrift "Björn Höcke ist ein Nazi" zeigte, wird nun gegen sie ermittelt. Die Anklage lautet: Beleidigung gegen Menschen des politischen Lebens. Genauso erging es VVN-Mitgliedern mit dem gleichen Plakat aus Schleswig-Holstein beim Kirchentag in Nürnberg. In Frankfurt am Main hat die Staatsanwaltschaft hingegen ein Verfahren eingestellt, nachdem gegen den hessischen VVN-Landessprecher ebenfalls wegen des Höcke-Nazi-Plakats ermittelt wurde: Die Bezeichnung Faschist sei für Höcke ein zulässiges Werturteil. Er ist Fraktionsvorsitzender der AfD Thüringen und Mitbegründer der rechtsextremen AfD-Strömung "Der Flügel", die im Jahr 2020 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft wurde.

Während manche Menschen rechtens als Nazi bezeichnet werden dürfen, darf man andere in gerechtfertigten Fällen Dummschwätzer nennen, findet zumindest das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Ein Dortmunder Stadtrat nannte einen seiner Amtskollegen während eines Streits über die Integrationspolitik im Jahr 2008 einen solchen, nachdem sein Kollege seine Schulbildung angezweifelt hatte. Das BVerfG stellte fest, dass sich bei dem Wort Dummschwätzer "zwar um eine ehrverletzende Äußerung" handle, allerdings "knüpft der Begriff seiner Bedeutung nach an ein Verhalten des Betroffenen an, nämlich dessen verbale Äußerungen". Von der Schmähkritik unterscheidet sich der Fall also dadurch, dass ein sachlicher Anlass vorliegt und damit ist die Aussage durch die Meinungsfreiheit gedeckt.

Das Erwähnen der eigenen Nazi-Vergangenheit geht in Porsches Verständnis wohl etwas über das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinaus. Dabei ist die Wahrheit nicht bestreitbar: Der Firmengründer Ferdinand Porsche verdiente sich an der NS-Rüstungsindustrie, unter anderem an der Entwicklung von Militärfahrzeugen, eine goldene Nase. Als NSDAP-Mitglied beantragte er 1941 als einer der ersten Unternehmer beim Reichsführer SS Heinrich Himmler sowjetische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter für seine Produktion und ein Jahr später direkt bei Hitler KZ-Häftlinge zum Bau einer neuen Leichtmetallgießerei bei VW. Im VW-Werk in Wolfsburg kamen zwischen 1942 und 1945 schätzungsweise 500 KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene ums Leben. Auch über den Tod hunderter Kinder in einer "Ausländerkinder-Pflegestätte" – in der Nähe der VW-Werke und von der Betriebsleitung in Auftrag gegeben – soll Porsche Bescheid gewusst haben.

Kurz vor Kriegsende brachte er das erwirtschaftete Kapital nach Zell am See in Österreich und ab 1949 investierten er und sein Sohn Ferry Porsche in das Stuttgarter Autowerk. Die finanzielle Grundlage für den heutigen Erfolg war somit geschaffen. Das Vermögen der Großfamilie Porsche und Piëch wird auf 41,6 Milliarden geschätzt – das macht sie zu den reichsten Österreichern. "Das ist zum Schreien ungerecht, wenn eine Person so viel hat wie die ärmere Hälfte der österreichischen Bevölkerung und damit 4,5 Millionen Menschen", schreibt Aktivist Tobi Rosswog, der auf der Kundgebung eine Rede gehalten hat, auf Kontext-Anfrage. In einer kapitalistischen Gesellschaft wie dieser gehe mit viel Geld auch viel Macht einher, sagt er. Eben auch die Macht, historisch überlieferte Fakten auf Demo-Bannern zu verbannen.


Korrektur-Hinweis: In der ursprünglich veröffentlichten Fassung dieses Artikels wurde Ferdinand Porsche fälschlicherweise als der Onkel von Wolfgang Porsche bezeichnet. Tatsächlich war Ferdinand Porsche sein Großvater. Die entsprechende Stelle haben wir korrigiert. 


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5 Kommentare verfügbar

  • Markus Koch
    am 06.07.2023
    Antworten
    Ein leidiges Thema, unsere nationale und, in meinem Fall (Jahrgang 72), großelterliche Vergangenheit.

    Fingerzeit ist dabei nie gut, da wir zumindest im Alltag fast alle noch von diesem Schatten beeinflußt leben und handeln - und den Planeten samt uns "Gutmenschen/Ökos/S21-Gegnern/Klimaschützern"…
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