Er ist das erste Mal in Schwäbisch Hall, erzählt Stephan Krull, und eigentlich hätte er sich die Stadt gerne genauer angeschaut. Dafür blieb ihm keine Gelegenheit. Seinen Plan, schon gegen Mittag anzukommen, vereitelte die Deutsche Bahn. Mit vielen Stunden Verspätung und nach hochkomplizierten Umleitungen hat es der Gewerkschafter aus Hamburg gerade noch rechtzeitig zu seinem Vortrag geschafft. Der startet um 20 Uhr im Club Alpha 60 und die Ereignisse rund um Krulls Ankunft passen gut zu den Inhalten, die er vorträgt: "Solche Reisen zeigen, warum eine Verkehrswende nötig ist."
Krull war 16 Jahre lang Betriebsrat bei VW und im Vorstand der IG-Metall-Geschäftsstelle Wolfsburg. Er ist also bestens vertraut mit den Mechanismen der Interessenvertretung für Beschäftigte, hat daran mitgewirkt, bei VW 6-Stunden-Schichten einzuführen und sagt über die Bedürfnisse der Arbeiterschaft, dass es im wesentlichen darum gehe, sich selbst und seinen Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen. Was laut Krull auch eine gewisse Offenheit für Umweltschutz bedeute, teils Einsicht in die Notwendigkeit einer ökologischen Transformation – aber eben auch und vielleicht sogar vor allem: Sichere Beschäftigung, die materiell keine Einbußen zum Ist-Zustand bedeute.
Das Konfliktfeld, das Krull an diesem Abend beleuchtet: Eine gewaltige Industrie mit ungewisser Zukunft, von der etliche Existenzen abhängen. Allein die "Big Three", also VW, Daimler und BMW kamen 2022 auf einen Jahresumsatz von 570 Milliarden Euro, in der Bundesrepublik hängen 460.000 Arbeitsplätze direkt von den Autoproduzenten ab, hinzu kommen weitere 310.000 bei den Zulieferbetrieben. Diese Größenordnungen hindern den Gewerkschafter aber nicht daran zu betonen, dass eine Verkehrswende nicht nur eine Antriebswende seien dürfe: "Das Auto ist ein Anachronismus, zumindest so, wie wir es heute kennen."
"Harte Brüche, die ich mir kaum ausmalen will"
Wegen der immensen Ineffizienz würde Krull zufolge "kein Unternehmer der Welt" seine Maschinen 23 Stunden am Tag still stehen lassen. Das Durchschnittsauto in Deutschland würde aber nur eine Stunde lang genutzt und sogar dann blieben die meisten Sitzplätze leer (nach Angaben des Umweltbundesamtes fahren statistisch 1,42 Personen je Pkw mit). Er sieht also eigentlich gar keinen Bedarf für die 55 Millionen Autos, die gegenwärtig auf den Straßen der Bundesrepublik verkehren. Teilen würde vieles leichter machen. Und: "Es müssen einfach weniger Autos werden", sagt Krull – und da helfe auch kein Umstieg auf elektrische Antriebe. Er rechnet vor: Gemessen am aktuellen Durchschnittsverbrauch würden nur zehn Millionen E-Autos in Deutschland etwa zehn Prozent des gesamten Energiebedarfs verschlingen. Während erst im vergangenen Winter über Energieknappheit bis hin zum angeblich drohenden Blackout diskutiert wurde, und der Ausbau der Erneuerbaren noch immer viel zu schleppend vorangeht.
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Fabian Rosenbusch
am 08.07.2023