Der schönste Satz während der Mammutveranstaltung stammt von einer Gastrednerin. "Es ist mir eine große Ehre, hier zu sprechen", sagt Svetlana Tichanowskaja, "und zu sehen, wie Demokratie gelebt wird." 2020 hat sie bei der Präsidentschaftswahl in Belarus kandidiert, nachdem ihrem Ehemann Sergej ein Antreten verboten wurde. Nach ihrem von vielen unabhängigen Beobachter:innen bestätigten, vom Alleinherrscher Lukaschenko aber geleugneten Wahlsieg floh sie nach Litauen. Zu ihrem Mann, zu 19 Jahren Haft verurteilt, hat sie seit März keinen Kontakt mehr, Gerüchte behaupten, er sei tot. Mit ihren Kindern hört sie alte Youtube-Aufnahmen, damit die seine Stimme nicht vergessen.
Im schmucklosen Saal der Karlsruher Messe ist es da ganz still. Manche Unterstützer:innen der ersten Stunde, bei denen sich die Preisträgerin des Karlspreis so warmherzig bedankt – Annalena Baerbock, Britta Haßelmann, Claudia Roth – haben Tränen in den Augen. Am Ende der Rede langer stehender Applaus. Es ist einer der gar nicht so seltenen Momente auf dieser BDK, an denen Delegierte ebenso wie die Promis an der Spitze stolz sind auf ihre Partei und auf sich selbst.
Und doch sind sie vorbei, die Hoch-Zeiten, da Robert Habeck vor der Erdkugel auf und ab gehend mit eindringlichen Reden nicht nur den Saal, sondern die Gesellschaft in Wallung versetzen konnte. Da können die Parteifreunde noch so engagiert und kenntnisreich sein, manche ungestüm, erfrischend links, andere philosophisch abgeklärt, sie können noch so intensiv um ein Europawahlprogramm mit Änderungsanträgen auf 1.600 (!) Seiten ringen, die Stimmen, die Stimmungen und die Botschaften dringen nicht mehr wirklich heraus aus der eigenen Blase. Seit der Regierungsbeteiligung im Bund ist es eben nicht mehr so wichtig für die öffentliche und die veröffentlichte Meinung, was sich tut bei den Grünen. Wichtig ist ihre Rolle beim ewigen Koalitionsknatsch. Der Abgesang an die Illusion von der Volkspartei und dem einflussreichen Vollsortimenter ist in den Leitartikeln schon gesungen.
Grünen-Bashing ist derzeit angesagt
Eigentlich sollte in Karlsruhe der 40. Geburtstag coronabedingt nachgefeiert werden. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, bekanntlich ein Gründungsgrüner, überwindet zum Auftakt am Donnerstag wenigstens für diese seine Rede den tiefsitzenden Groll gegen Fundis, Linke und Jugend und verlangt mit Blick auf die Migrationsdebatte von seiner Partei, sich selbst etwas zuzumuten. Und er erinnert an die Anfänge vor 43 Jahren, als ein paar Kilometer weiter, in der Stadthalle im Karlsruher Zentrum, der äußerst turbulente Gründungsparteitag über die Bühne ging. Der damalige Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) habe zwei Jahre später sogar ein Monatsgehalt verwettet in der irrigen Annahme, die immerhin im baden-württembergischen Landtag angekommene Partei werde dank seiner Politik wieder von der Bildfläche verschwinden.
2 Kommentare verfügbar
Dr. Jürgen Enseleit
am 29.11.2023Wachstum und weiter so beim Konsum und Lebensstil sind die Themen, die gesichert werden müssen! Es geht ja ausschließlich nur um die Sicherung des Wohlstandes! Allerdings vergessen…