"Karla" war damit nicht mehr geholfen, der Plan perdu, mit Stiftungsgeld das zweite Jahr zu überleben. Obendrauf auf die rund 900 Abonnent:innen, die monatlich im Schnitt zehn Euro überweisen. Das sei womöglich "blauäugig" gewesen, meint Lünstroth. Oder ein Rechenfehler bei Einnahmen und Ausgaben, würde man jetzt bei der Kontext:Wochenzeitung – mit zwölf Jahren Erfahrung im Non-Profit-Journalismus – entgegnen. Er beginnt bei der (energisch vorgetragenen) Aussage, auf keinen Fall "Selbstausbeutung" betreiben, sondern "faire Löhne" für professionellen Journalismus bezahlen zu wollen. Das ist aller Ehren wert, jederzeit zu unterstützen und aus voller Gewerkschaftsbrust zu intonieren. Aber womit bezahlen und zu welchem Preis?
Kalle Ruch, der weitsichtige frühere Geschäftsführer der taz, hat ihn einst so beziffert: Wenn ihr Tarifgehälter wollt, könnt ihr sie haben. Nur nicht von der taz. Die gibt es dann nicht mehr. Die "Karla"-Redaktion zieht daraus den Schluss, dass unabhängiger Journalismus unter dem wirtschaftlichen Druck und ohne engagierte Stiftungen "immer unmöglicher" werde. Also sein lassen? Bereits nach einem Jahr?
Kontext hätte mehr Geduld empfohlen
Bei Kontext würde man jetzt, auch nach zwölf Jahren, sagen: nein. Mehr revolutionäre Geduld und darüber nachdenken, was falsch gelaufen ist, was besser zu machen ist. Zarte Ansätze sind erkennbar, wenn die Geschäftsführerin Kulp, von Haus aus Journalistin, einräumt, eine Fachkraft in Betriebswirtschaft wäre auch nicht schlecht gewesen. Oder Lünstroth bekennt, bisweilen könnte eine "zu große Klappe" im Spiel, etwas mehr "Bescheidenheit" angeraten gewesen sein. (Wobei er das nicht monetär meint. Er hat in dem ganzen Jahr tausend Euro von "Karla" bekommen.)
Mehr Wirklichkeit, weniger Versprechen. Auch das hätte helfen können. Wenn ein Redaktionsteam, das aus einer Handvoll Journalist:innen besteht, und seien sie noch so eifrig, drei bis vier sauber recherchierte, womöglich investigative Geschichten pro Woche in Aussicht stellt, dann ist das Zauberei. Von den Auftritten bei den anderen multimedialen Bühnen gar nicht zu reden. Aber "Karla" war nicht Zirkus. Zu oft, meint Lünstroth, hätten sie den Leuten sagen müssen: Das geht nicht.
Vielleicht hätte auch ein Besuch bei Holger Reile Erkenntnisgewinn erbracht. Der stadtbekannte Journalist betreibt seit 17 Jahren das Portal "Seemoz" (Slogan: "kritisch – widerborstig – informativ") und versichert glaubhaft, keinerlei Häme zu verspüren ob des frühen Ablebens. Er hätte sich mehr Biss und mehr Profil gewünscht. Wenn der OB, also der eingangs erwähnte CDU-Burchardt, unter den "Karla"-Spender:innen auftauche, kritisiert der 69-Jährige, dann sei das ein falsches Signal. Nun muss man dazu wissen, dass Reile auch noch Stadtrat der Linken ist und so manchen Strauß mit dem Rathauschef ausgefochten hat, aber journalistisch betrachtet hat er recht.
12 Kommentare verfügbar
christoph Nix
am 05.12.2023Das Gehalt eines aktiven Intendanten in Konstanz entspricht nicht mal der Hälfte dessen was ein Dezernent verdient und die Rente der eines Facharbeiters. Und wenn es anders wäre, wäre es kein Grund nicht…