Aufwallungen im Netz sind jedoch keine geeignete Grundlage, um den Zustand eines Landesverbands zu bewerten. Eher schon das Auftreten der Spitzenkandidatin, die Winfried Kretschmann beerben möchte. 40 Minuten dauert es am Montagabend bei ihrem ersten öffentlichen Termin in der Reihe "Eisenmann will's wissen", diesmal für den Wahlkreis Reutlingen digital in der Landesgeschäftsstelle organisiert und von 30 NutzerInnen verfolgt, bis endlich ein Mitglied wissen will, wie die Partei mit dem neuen Bundesvorsitzenden umgehen soll. Eigentlich eine gute Gelegenheit für die Hauptperson des Abends, offensiv und mit prägnanten Vorstellungen das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Die lässt sie aber verstreichen. Was die CDU jetzt gar nicht brauchen könne, seien Streit und Personaldiskussionen, sagt Eisenmann. Stimmt. Friedrich Merz habe im Landesverband, im Mittelstand, bei vielen Bürgern und Bürgerinnen wegen seiner Wirtschaftskompetenz als "erste Wahl" gegolten. Stimmt. Und: "Die Entscheidung ist gefallen." Stimmt erst recht. Was unterbleibt, ist die klare Ansage an das Merz-Lager, die Austrittsdrohungen zu unterlassen und erst recht die Aufrufe, jetzt die AfD zu wählen. Dabei versprechen die OrganisatorInnen der "Eisenmann will's wissen"-Reihe doch "garantiert kein Blabla".
Eben erst hat die Südwest-CDU ihren 50. Geburtstag gefeiert – bis anno 1971 hatte es gedauert, ehe die Vereinigung der vier regionalen Verbände unter Dach und Fach war. Im Netz läuft einer dieser munteren Clips, um an fünf Landesvorsitzende zu erinnern. Keiner von ihnen, nicht Hans Filbinger, Lothar Späth, Erwin Teufel, Günther Oettinger und erst recht nicht Stefan Mappus, hätte darauf verzichtet, der Basis Bescheid zu stoßen. Die letzten Sekunden von "50 Jahre und kein bisschen müde" sind der "bald ersten Ministerpräsidentin Susanne Eisenmann" gewidmet.
Schwarze Realitätsverweigerung
Natürlich müssen WahlkämpferInnen an ihren Erfolg glauben. Gerade nimmt die schwarze Realitätsverweigerung aber reichlich schräge Züge an. Etwa wenn sogar die jüngste Geschichte von Nordrhein-Westfalen umgeschrieben wird, um für Baden-Württemberg günstige Parallelen ziehen zu können. Unvermittelt streicht die Spitzenkandidatin gleich mehrmals heraus, dass Laschet als erfolgreicher Wahlkämpfer gezeigt habe, wie mit Hannelore Kraft eine besonders beliebte Ministerpräsidentin gegen den Trend abgelöst werden kann. Tatsächlich holte die NRW-CDU im Frühjahr 2017 mächtig auf, wenige Wochen vor der Wahl lag sie gleichauf mit der SPD, schlussendlich konnte Laschet zusammen mit der FDP Rot-Grün ablösen.
Allerdings ist nicht alles, was hinkt, ein tauglicher Vergleich. Nur bei einem Umfrage-Institut liegen Grüne und CDU gleichauf, nämlich bei jenem, das die Schwarzen seit Monaten vorne sieht. Infratest dimap weist nicht weniger als fünf Punkte Abstand aus, zugunsten der Grünen. Außerdem war Laschet, der gebürtige Aachener, Oppositionsführer gewesen und hatte schlussendlich zweistellige Liberale an seiner Seite, während der Schulz-Zug, dem die roten Höhenflüge bundesweit zu verdanken waren, nach der SPD-Niederlage in Schleswig-Holstein mächtig ins Stocken geriet.
Fast vier Jahre später ist die aktuelle Lage für die CDU zwischen Main und Bodensee hingegen derart trist, dass die Regie des hochgerühmten digitalen Bundesparteitags ein Grußwort der WahlkämpferInnen aus Baden-Württemberg für verzichtbar hielt. Stattdessen durften Julia Klöckner und Wolfgang Baldauf, das Mainzer Eisenmann-Pendant, gleich mitsprechen für "Susanne und Thomas" (Strobl): Ein schräger Einfall, dass zwei aus dem deutlich kleineren Landesverband die zwei Spitzenleute aus dem größeren vertreten.
Südwest-CDU angeschlagen
Aber die Zeiten sind eben lange vorbei, da Wahlanalysten Thomas Strobl und den Seinen Kränze flochten. Etwa bei der Bundestagswahl 2013, als Baden-Württembergs Christdemokraten fast 46 Prozent der Zweit- und mehr als 50 Prozent der Erststimmen zum Sieg beisteuerten. In seiner Bewertung des Bundesparteitags ließ der Landesvorsitzende selber aufhorchen mit dem Hinweis, er werde jetzt "hart für eine gute Vertretung der Südwest-CDU im Bund kämpfen". Denn: "Da ist noch nicht aller Tage Abend." Fürs Schönfärben reicht es allemal. Wortreich wird Annette Widmann-Mauz für ihre Wiederwahl ins Präsidium beglückwünscht, vermutlich zum Zwecke der Besänftigung, denn die bekennende Merz-Skeptikerin war mit grottenschlechten 514 Stimmen bei knapp tausend teilnehmenden Delegierten ostentativ abgestraft worden.
Überhaupt besetzt das in der Riege der Bundesminister derzeit nicht mehr vertretene Land im erweiterten Parteivorstand gerade noch drei Plätze. In der auf Parteiseiten bejubelten Entwicklung ("Wir sind jünger und weiblicher geworden") spielt der einst so einflussreiche Landesverband gar keine Rolle mehr. Nicht zuletzt, weil die Junge Union, anders als in anderen Verbänden, nicht mit einer erfolgreich unterstützten jungen Frauen dienen kann. Wie abgemeldet der Landesverband inzwischen ist, zeigt Laschets Zurückhaltung in Sachen Wahlkampf. Natürlich lässt er sich am kommenden Samstag beim Landesparteitag zuschalten. Im Übrigen weist er aber darauf hin, dass Spitzenkandidatin und Konzeption seit Monaten bekannt seien und "im Kern" stünden. Im Klartext: Eine Niederlage hat mit mir wenig bis nichts zu tun.
Zugleich muss der AKK-Nachfolger selber erst einmal ordentlich abschneiden in der Briefwahl der Delegierten, die Ende der Woche abgeschlossen ist. Merz hat noch einmal zur Geschlossenheit aufgerufen. In seiner E-Mail an die Parteimitglieder appelliert er abermals, Laschet zu bestätigten. Aber er schreibt noch ganz anderes: "Deutschland steht vor einem Comeback der Innovationen und überlässt die Zukunft nicht allein Amerika und China. Deshalb kann die CDU auch in Zukunft auf mich zählen." Das klingt verdächtig nach der Drohung eines Unverbesserlichen.
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Gerald Wissler
am 22.01.2021