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Schwarzes Loch

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Ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl muss Baden-Württembergs CDU ein historisches Umfrage-Tief verdauen. Und als wären die 23 Prozent nicht schon schlimm genug, ist zudem der Rückstand auf die Grünen mit inzwischen 13 Prozentpunkten so groß wie noch nie. Die Hoffnung auf eine Trendumkehr schmilzt dahin.

Sie haben sich bemüht, könnte im Zwischenzeugnis stehen, jedenfalls mit Blick auf die unterstellte eigene Klientel. Interne Streitigkeiten sind nicht beigelegt, aber sie bleiben öfter – um das vom CDU-Landesvorsitzenden Thomas Strobl so gerne bemühte Bild zu benutzen – in der Familie, weil die Fenster rechtzeitig geschlossen werden. Mit Susanne Eisenmann gibt es zum ersten Mal eine Spitzenkandidatin bei einer Landtagswahl, selbst die versprochene schwarze Handschrift wurde sichtbar in der Regierungsarbeit, etwa beim Thema Innere Sicherheit oder in der herzlosen Flüchtlings- und Ausländerpolitik.

Und doch hat alles nichts genutzt: kein Aufschwung, kein Umfrageplus, vor allem kein Plan, wie die Grünen zu schlagen sind, was vor allem an falschen Analysen liegt. Denn längst und nicht nur in den Großstädten weiß selbst die eigene Klientel zu wenig anzufangen mit der CDU-Politik. Reihenweise haben die Baden-Württemberg-Trends von Infratest dimap in den vergangenen Jahren eine hohe Zufriedenheit gerade in der Anhängerschaft der Schwarzen mit grüner Politik ermittelt. Gesellschaftliche Veränderungen von der Homo-Ehe bis zum längeren gemeinsamen Lernen unter der Überschrift "Linksruck" zu diskreditieren, ist durch die Umfragezahlen als Irrweg entlarvt, erst recht, wenn dann auch noch ganz und gar unzeitgemäße Schlüsse gezogen werden.

Besonders gern vom Parteinachwuchs. Die Junge Union ist schon bundesweit reichlich rückwärtsgewandt, im Südwesten ist diese Tendenz besonders ausgeprägt. Viele der Mitglieder und Sympathisanten sehen sich wieder als Teil eines Clubs aufstrebender Männer. Und unter Jung und Alt genießt Friedrich Merz viel Zuneigung. Eben erst hat sich die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) der Landes-CDU unverhohlen einen "leichten Rechtsruck" gewünscht. Man sei sich einig in der Überzeugung, dass Merz für die Aufgabe des Parteichefs "wie geschaffen ist". Die Entscheidung über die künftige Nummer eins der Bundespartei und damit womöglich auch über den nächsten Bundeskanzler ist Corona-bedingt aufgeschoben, die Haltung der Mehrheit im Landesverband bleibt. Sogar Eisenmann und Hagel, ehedem bekennende Jens-Spahn-Unterstützer, sind übergelaufen und erklären öffentlich, diesmal den christdemokratischen Besserverdiener aus dem westfälischen Sauerland zu wählen.

Anfang 2018 waren Grün und Schwarz gleichauf

Apropos Hagel: Der Ehinger Landtagsabgeordnete, mit dem Faible für den österreichischen Hardliner Sebastian Kurz, wollte das Potential der CDU gehoben wissen. Das war vor zwei Jahren. Damals schien die Zukunft endlich wieder rosiger für die Schwarzen zwischen Main und Bodensee. Im Baden-Württemberg-Trend lag die jahrzehntelang erfolgsverwöhnte Union gleichauf mit dem ungeliebten Koalitionspartner bei jeweils 29 Prozent. Durchaus zufriedenstellend, so der Generalsekretär damals, "wenn man bedenkt, dass die Zahlen inmitten der unnötigen Selbstbeschäftigung der letzten Woche erhoben wurden". Er hätte auch sagen können: mitten im Familienknatsch, siehe oben, bei weit offenen Fenstern.

Im Januar 2018, als das in der CDU beklatschte grün-schwarze 29:29-Patt verkündet wurde, bestimmte noch eine ganz andere Frage die Agenda: Die kleinere Regierungsfraktion stellte sich offen gegen den Koalitionsvertrag in puncto Wahlrechtsreform zugunsten eines höheren Frauenanteils im Landtag. Fraktionschef Wolfgang Reinhart und die vielen männlichen Mandatsträger fielen sogar dem Parteichef und seinem Generalsekretär in den Rücken. "Diese Ablehnung wird uns noch teuer zu stehen kommen", orakelte Inge Gräßle, damals Landesvorsitzende der Frauen-Union, "nicht nur in der Sache, sondern weil Vertragstreue ein hohes Gut ist."

Rund um die vielen Veranstaltungen zum Weltfrauentag am 8.März 2020 konnten viele CDU-Politikerinnen erst neulich diese Einschätzung nur bestätigen. "Wir haben einen neuen Anlauf zur Wahlrechts-Reform unternommen", machte sich eine frühere Landtagsabgeordnete Mut, "um zu zeigen, dass zumindest wir Frauen das Thema sehr ernst nehmen." Allerdings zeigt sich derzeit einmal mehr, dass die Versprechungen, "auf anderem Wege für mehr Gleichberechtigung im Parlament zu sorgen" (Reinhart), vorrangig Makulatur sind. Das erfahren nicht zuletzt die weiblichen Abgeordneten, die sich bei den derzeit laufenden Aufstellungen für die Landtagswahl im nächsten Frühjahr mit strebsamen männlichen Gegenkandidaten konfrontiert sehen.

Was wiederum daran liegt, dass in weiten Teilen der CDU gar kein Reformbedürfnis besteht beziehungsweise nicht einmal ein Problembewusstsein. "Niemand verweigert uns seine Stimme, weil wir das Wahlrecht nicht ändern", meinte der CDU-Fraktionschef wenige Tage seinerzeit nach dem Bruch des Koalitionsvertrags. Längst hat sich aber gezeigt, wie das kompromisslose Nein zu einem anderen Wahlrecht charakteristisch ist für eine grundsätzliche Verweigerungshaltung. Die mündet, da sind sich Demoskopen sicher, in eine auffällig auseinanderklaffende Bewertung der Arbeit der beiden Koalitionspartner: Mit den Grünen sind gegenwärtig 57 Prozent der Befragten zufrieden und nur 39 Prozent unzufrieden, die CDU kommt auf nur 36 beziehungsweise 58 Prozent. Und diesmal übt sich Hagel in Durchhalte-Parolen: "Umfragen sind halt Umfragen." Dafür arbeite seine Partei nicht, denn: "Wir arbeiten für die Menschen im Land!"

Ein trüber Zustand im Südwesten

Diese Arbeit hatte gar nicht so übel begonnen aus der CDU-Perspektive. Als Strobl sich nach dem Wahl-Fiasko von 2011 gegen Tanja Gönner, Favoritin der Kanzlerin, im Kampf um den Landesvorsitz durchgesetzt hatte, startete er eine Umbaukampagne. Etwa mit einem reichlich skurrilen Flyer, auf dem vom Vorschlaghammer bis zur Stichsäge alle möglichen, für einen Umbau nötigen Gerätschaften abgebildet waren. Aber auch mit einer vielbeachteten und vom Schwiegervater Wolfgang Schäuble gelobten Rede beim Landesparteitag 2012 in Karlsruhe, samt einer Abrechnung mit der Ära des glücklosen Stefan Mappus. "Der Politprofi meistert seine Aufgabe", schrieb dpa damals, "und nach acht Stunden, ganz am Ende des Parteitags, als die Anspannung abfiel, erntet der sonst nicht gerade geliebte Vorsitzende erstmals sogar Jubel." Ausgerechnet der Erfolg bei der Bundestagswahl 2013 mit fast 47 Prozent für die Südwest-CDU tat ein Übriges und die Erneuerung nicht mehr not.

Zugleich wiesen die Baden-Württemberg-Trends konsequent immer neuen Modernisierungs- und damit Aufholbedarf aus. Strobl und die Seinen, die Landtagsfraktion in der verhassten Oppositionsrolle, erst recht der Kretschmann-Herausforderer Guido Wolf berauschten sich aber lieber an Meldung à la "Keine Mehrheit für Grün-Rot" im Herbst 2014 statt das Kleingedruckte der Umfragen zu lesen, etwa zur Anerkennung für die Arbeit der Grünen. 2015 waren nur 41 Prozent der CDU-AnhängerInnen nicht zufrieden mit Grün-Rot oder immerhin die Hälfte der Baden-WürttembergerInnen zufrieden mit der Asyl- und Ausländerpolitik des Landes.

Dass auch die Regierungsbeteiligung nichts am notorischen Sinkflug ändern konnte, wird gerade in der kleineren Regierungsfraktion mit der Strahlkraft von Winfried Kretschmann erklärt. Tatsächlich aber legen schon viele Passagen im Koalitionsvertrag und erst recht die den Politalltag immer wieder prägenden Hängepartien Zeugnis ab vom trüben Zustand der Partei im Südwesten. Zu viele Kräfte in der Landes-CDU wollen keine moderne Verkehrs- und Mobilitätspolitik, sondern sich lieber endlos am grünen Verkehrsminister Winfried Hermann abarbeiten. Sie wollen keine zeitgemäße Bildungspolitik, sondern suchen das populistische Schein-Gefecht gegen die Gemeinschaftsschulen mit ihrem längeren gemeinsamen Lernen. Sie wollen keine zupackende Klima- oder Energie- oder Wohnbaupolitik.

Noch einmal 2014: Der Vergleich der Antworten auf die berühmte Sonntagsfrage illustriert das tiefe Loch, in das die Schwarzen gefallen sind. Im Herbst vor fünfeinhalb Jahren wollten 41 Prozent der wie immer repräsentativ Befragten die Union wählen und nur 22 Prozent Grün. Im März 2020 hat die CDU gegenüber der vorangegangenen Befragung aus dem September 2019 dieses weitere, unerwartete Minus von drei Punkte zu verdauen – und es ist ganz und gar unklar, ob damit die Talsohle erreicht ist. Erste Stimmen, selbst in der sturmerprobten Landtagsfraktion werden laut, die Spitzenkandidatin nicht nur mit Blick auf 2021 im Wahlkampf zu positionieren, sondern bereits aufs Jahr 2026 "zu zielen", wie einer sagt, und damit auf die übernächste Landtagwahl, wenn "sich Kretschmann endlich aufs Altenteil verzieht". Mit guten Chancen übrigens, dann der längstgediente Regierungschef in der Geschichte Baden-Württembergs zu sein.


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3 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 06.04.2020
    Antworten
    Hallo Johanna Henkel-Weidhofer, da sollte doch an dieser Stelle durchaus mal zum Ausdruck gebracht sein:
    Welch vorzügliche Wortwahl Ihnen immer wieder gelingt, dass, was nicht alleine zwischen den Zeilen sondern auch hinter dem Text stehend, von Ihnen in den Mittelpunkt gerückt ist. Klar…
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