An einem Mittwochabend vor Kurzem lädt der Elternbeirat des Johann-Sebastian-Bach-Gymnasiums in Mannheim zu einem Pädagogischen Forum. Der Titel der Veranstaltung lautet "Radikalisierung geht uns alle an". Die Direktorin, Heike Frauenknecht, begrüßt die Besucher freundlich. In der Aula der Schule haben etwa 40 Menschen Platz genommen. Es sind vor allem Lehrer, einige Eltern und nur wenige SchülerInnen. Aufklärung an einer aufgeklärten Schule – so wirkt es.
An einer Leinwand eine Powerpoint-Folie, darauf Flaggen aus der NS-Zeit und Nazi-Symbole, gelbe Schrift auf rotem Hintergrund. Die Elternbeiratsvorsitzende begrüßt die Gäste. "Wir sind gegen jede Form von Rassismus und engagieren uns dagegen", sagt sie bestimmt. Danach spricht ein Experte für Prävention und Rechtsextremismus der Mannheimer Polizei über die Risiken von rechter Radikalisierung an Schulen. Es geht um Propaganda-Material, das Erkennen von rechten Symbolen und die Frage: Was mache ich, wenn ich bemerke, dass eine Schülerin oder ein Schüler in die rechte Szene abdriftet?
Die öffentliche Veranstaltung soll zeigen: Die Schule nimmt das Thema ernst. Dafür gibt es einen aktuellen Anlass. Der Staatsschutz ermittelt momentan gegen mehrere Schüler des Gymnasiums aus der Kursstufe Zwei, der Abiturklasse. Sie sollen über eine WhatsApp-Gruppe volksverhetzende und antisemitische Inhalte ausgetauscht haben. Das bestätigte ein Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mannheim gegenüber Kontext. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, könne man jedoch keine genaueren Auskünfte zu Inhalten und Personen geben.
Ende des vergangenen Jahres informierte die Schulleitung in einem Elternbrief über die Vorfälle. In der Mail vom 3. Dezember 2019, die Kontext vorliegt, heißt es, es sei "leider vereinzelt in Schülergruppen am Bach-Gymnasium zu Straftaten in Form der Benutzung gewaltverherrlichender oder verfassungsfeindlicher Bilder und Kennzeichen in Messenger-Gruppen (WhatsApp) oder in Form der realen Nutzung von Kennzeichen verbotener Organisationen" gekommen. Man werde die Äußerungen auf keinen Fall dulden und habe "in einigen gravierenden Fällen die Straftaten zur Anzeige gebracht".
Rektorin will endlich wieder Ruhe an der Schule
Die Schule wurde von allen Seiten für ihren offensiven Umgang gelobt. Doch wer glaubt, man könne offen über die Vorfälle sprechen, wird enttäuscht. Die Direktorin, Heike Frauenknecht, steht für ein Interview aus Zeitgründen nicht zur Verfügung. Per Mail lässt sie ausrichten: "Im Moment habe ich nur ein Bedürfnis: dass wir, nachdem die Vorfälle schon fast drei Monate zurückliegen, nun endlich wieder unsere Ruhe hier haben und dass auch andere Themen endlich wieder Raum einnehmen dürfen." Und auch aus der Lehrerschaft und der betroffenen Stufe will sich niemand zu den Vorwürfen äußern.
Einzig die Mutter eines Schülers aus der betroffenen Stufe ist zu einem Treffen bereit. Ihr zufolge ereignete sich der entscheidende Vorfall auf einer Klassenfahrt nach Rom im Herbst des vergangenen Jahres. Auf der Busfahrt hätten einige Schüler Lieder der Hitler-Jugend gesungen. Eine Schülerin habe die Gruppe aufgefordert, das zu unterlassen und sich an eine Lehrerin gewandt. Diese sei jedoch nicht eingeschritten, so erzählt es die Mutter. Die Direktorin des Bach-Gymnasiums, Heike Frauenknecht, dementiert die Äußerungen auf Anfrage nicht, schreibt aber in einer E-Mail von einer "angemessenen Reaktion" der Lehrkraft. Es sei allerdings Aufgabe der Staatsanwaltschaft, den genauen Sachverhalt zu klären.
Die Existenz der Chatgruppe wurde erst später, im November 2019, bekannt, nachdem das Bach-Gymnasium ein Treffen mit Holocaust-ZeitzeugInnen veranstaltet hatte. In einer Nachbetrachtung im Geschichtsunterricht habe eine Lehrkraft gesagt, man könne froh sein, dass es kein antisemitisches Gedankengut an der eigenen Schule gebe. Das habe jene Schülerin "mimisch derart kommentiert, dass sich die Kollegin im Anschluss der Stunde verpflichtet sah nachzuhaken", so Direktorin Frauenknecht per Mail. Daraufhin habe die Schülerin von antisemitischen und rassistischen Inhalten in einer Chatgruppe berichtet.
Ein flächendeckendes Problem
Es geht also nicht nur um einen Einzelfall betrunkener Abiturienten. Und es stellt sich die Frage: Provokation oder politische Gesinnung? Wo endet ein Tabubruch und wo beginnt politische Radikalisierung?
1 Kommentar verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
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