Herr Harrich, im September 2014 verschwanden in Iguala, im mexikanischen Bundesstaat Guerrero, 43 Studenten. Das sorgte damals weltweit für Aufsehen. Bis heute ist deren Verbleib ungeklärt. Sie kamen mit dem Fall ganz hautnah in Berührung. Was hat es damit auf sich?
Harrich: Für den ersten Film über Waffenexporte, unsere 90 Minuten-"Arte"-Doku "Waffen für die Welt – Export außer Kontrolle", sind mein Vater und ich im August 2013 spontan nach Guerrero, in die Regionshauptstadt, gefahren. Dort lernten wir zwei junge Studenten kennen, die uns gleich am nächsten Tag zu den ersten Exemplaren illegal exportierter G36-Gewehre von Heckler & Koch geführt haben. Diese zwei Jungs sind ein Jahr später, im September 2014, kurz vor Drehbeginn von "Meister des Todes", unter diesen 43 Studenten, die entführt werden. Das waren Lehramtsstudenten, die zwei sind bis heute spurlos verschwunden. Das geht einem nahe.
Wurden denn auch Studenten wieder aufgefunden?
Harrich: Sechs Studenten wurden in derselben Nacht tot auf der Straße gefunden – erschossen. Ein weiterer 19-Jähriger, mit dessen Familie wir auch sprechen konnten, hatte eine Kugel in den Kopf bekommen, aber überlebt. Sein Bruder war letztes Jahr, 2019, auch in Stuttgart, wurde aber als Nebenkläger am Landgericht nicht zugelassen. Wenn man die Menschen kennt, wird der Blick sofort ein anderer.
Was ist mit den anderen 43 passiert?
Harrich: Da gibt es bis heute Spekulationen dazu. Die Studenten hatten Busse gekapert, um an die Uni zu kommen. Das ist dort gang und gäbe. Die sind an dem 26. September 2014 in drei Busse gestiegen, und wollten zu einer Kundgebung. Die Busse wurden beschossen, soweit ist das klar. Was später genau passiert ist, weiß niemand. Das Verschwinden der Gruppe ist überall in Mexiko ein sehr emotionales Thema. Und ist es bis heute geblieben.
Rothbauer: Allerdings haben die Untersuchungen an den Bussen, die man verlassen aufgefunden hat, ergeben, dass die verwendete Munition G36-Gewehren zuzuordnen war. Aus Beständen der Oberndorfer Herstellerfirma Heckler & Koch.
Harrich: Während der Dreharbeiten zu unserer zweiten Doku "Tödliche Exporte" haben wir auch Einblick bekommen in mexikanische Ermittlungsakten. Es gab zwei staatliche Untersuchungsausschüsse. Verwendet worden waren bei den Schusswechseln offenkundig 17 der G36-Gewehre, von denen 13 Schmauchspuren aufwiesen. Gewehre bewaffneter Polizisten, die in der Nacht nachweislich im Einsatz waren … mit Seriennummern direkt nachweisbar, vom Herstellungsort in Oberndorf, bis zum kriegsähnlichen Einsatz in Guerrero.
Herr Harrich, Sie arbeiten zum zweiten Mal an einem Investigativ-Projekt über Waffenexporte. Der erste Spielfilm, gesendet im Jahr 2015, fand viel Aufmerksamkeit. Ein Kritiker schrieb damals von einer "Herzensangelegenheit". Wie sehen Sie das?
Harrich: In so ein Thema geht so viel Energie, so viel Aufwand und so viel Zeit, dass es sich für mich nur dann lohnt, wenn man sagt, es ist wirklich ein Herzensprojekt. Ich habe mit der Formulierung Herzensangelegenheit aber trotzdem ein Problem: das impliziert, dass es ein Projekt wäre, das man aus emotionalen Gründen verfolgt. Es geht für mich dabei weniger um das Emotionale, es geht um die rote Linie der Legalität.
Derselbe Kritiker des Filmprojekts 2015 schrieb, man könne den Eindruck haben, die Art der Herangehensweise sei in gewisser Weise übermotiviert ...
Harrich: Die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus ist bei solchen Vorhaben immer ein schmaler Grat. Ich sehe es als unsere Aufgabe, im journalistischen Sinne, auf Mißstände hinzuweisen. Wenn man klar und eindeutig, wie im Falle von Heckler & Koch, darauf stößt, dass deutsche Waffenproduzenten illegale Geschäfte tätigen und ihnen die angeblichen deutschen Kontroll-Beamten aktiv an der Umgehung bestehender Kriegswaffenkontrollgesetze zu helfen scheinen, habe ich ein großes Problem damit. Das mag man dann gern Leidenschaft nennen.
Herr Rothbauer, wie kamen Sie konkret zu dem Thema Waffenexporte?
Rothbauer: Bei mir ist das ein ganz persönliches Thema. Als ich ein 18-jähriger behüteter Stadtjunge aus Stuttgarts Süden war, war ich mit unserem Pfarrer als damals jüngster Teilnehmer auf einer Weltkonferenz in Ostafrika. In Kampala, Uganda, haben wir übernachtet; nachts gab es ein Schussgefecht und am nächsten Morgen lag ein schwarzer Uniformierter tot an unserer Hüttentüre – nicht weit weg von ihm ein Gewehr, mit einem eingeprägten Wappen aus Baden-Württemberg. Da dachte ich mir: Wie kann das sein? Dazu kommt: Ich mache in meiner Anwaltskanzlei das Thema Asylrecht. Das ist die andere Seite der Medaille: Krieg als Fluchtursache Nummer Eins. Ich kümmere mich auch um Völkermordprozesse. Da schämt man sich im deutschen Namen, wenn hier solche illegalen Lieferungen stattgefunden haben.
Herr Harrich, Sie haben inzwischen schon ziemlich oft Waffen gefilmt.
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