Der Titel war keineswegs pessimistisch gemeint. Tatsächlich schrieb ich darüber am ersten Jahrestag der syrischen Revolution. Damals meinte ich, dass die Revolution in Syrien unmöglich schien, aber dennoch stattfand. Mittlerweile – nach sieben Jahren – wurde diese unmögliche Revolution zerstört und zwar in Form einer schrecklichen Tragödie, die vor den Augen der Welt stattfand. Auch das war unmöglich, ja, sogar unvorstellbar. Über eine halbe Million Menschen wurden getötet, dreizehn Million wurden vertrieben und verloren ihr Zuhause. Das ist auch der Grund, warum wir eine Lösung für Syrien suchen sollten, die im Bereich des Unmöglichen liegt. Denn genau das war auch das Ziel der Revolution: wahrer politischer Wandel, das Ende der Assad-Herrschaft.
Wahrer politischer Wandel – ist das heute noch möglich?
Es gibt nun einmal keine banalen Lösungen. Wenn das Töten einer halben Millionen Menschen möglich ist, warum soll etwas Gutes dann nicht möglich sein? Wenn der Sturz einer kriminellen Junta unmöglich ist, dann ist eine unmögliche Haltung der einzig gute Weg, um Politik zu machen und ein ethisches, menschliches Wesen zu sein.
Sie betonen immer wieder, dass die syrische Revolution eine friedliche gewesen sei. Wann kam es Ihrer Meinung nach zur Militarisierung?
Es war Selbstverteidigung. 2013 schrieb ich sechs Porträts von Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA) aus Ost-Ghouta. Vor der Revolution waren sie allesamt Zivilisten gewesen. Sie sagten, dass sie nach dem Sturz des Regimes ihr ziviles Leben fortsetzen würden. Die Menschen wurden regelrecht dazu gezwungen, sich zu bewaffnen. Es war ein gerechtfertigtes Mittel zum Zweck. Sie mussten das Gewaltmonopol des Regimes brechen. Es ist Fakt, dass die Konterrevolution von Anfang an bewaffnet gewesen ist und sehr brutal vorging.
Überrascht es Sie, dass viele Menschen im Westen das Assad-Regime und dessen Säkularismus sowie dessen Minderheitenpolitik verteidigen?
Viele Menschen im Westen wissen nichts über Syrien. Ein Großteil der medialen Berichterstattung ist geprägt von Vereinfachungen. Da zeigt man beispielsweise Baschar al-Assad in seinen teuren Anzügen und seine elegante Ehefrau. Gleichzeitig werden Anspielungen auf seine alawitische Herkunft gemacht, was wiederum bedeutet, dass er nicht der sunnitischen Mehrheit, vor der ja die Minderheiten beschützt werden müssen, angehört. Diese selektive Wahrnehmung erleichtert es, sich mit einem skrupellosen Regime zu identifizieren, anstatt mit jenen, die jahrzehntelang unsichtbar geblieben sind und sich gegen diese Diktatur zur Wehr gesetzt haben. Die Rhetorik vom angeblichen "Minderheitenschutz" ist tief mit dem Erbe der westlichen Kolonialmächte verbunden. Folgt man dieser kolonialen Logik, so waren die Minderheiten des Nahen Ostens schon immer bedroht von einer muslimischen Mehrheit, weshalb die "zivilisierten", westlichen Mächte diese schützen müssen.
Sie kritisieren vor allem Teile der westlichen Linken, zum Beispiel Politiker der Labour Party unter Jeremy Corbyn, linke Intellektuelle wie Tariq Ali oder englischsprachige Medien wie "Alternet" oder den "Independent". Die haben sich in den letzten Jahren immer wieder für Assad ausgesprochen oder – bewusst oder unbewusst – die propagandistischen Narrative des Regimes adaptiert. Was ist der Grund?
All jene, die sich als Anti-Imperialisten definieren, tendieren dazu, unseren Kampf als Regime Change im US-amerikanischen Sinn zu begreifen, was ihnen natürlich zuwider ist. Dabei ignorieren sie die gesamte Geschichte Syriens, der Gesellschaft, des politischen Lebens und der Wirtschaft. Gleichzeitig fühlen sie sich ermutigt, alle Geschehnisse in Syrien in anti-imperialistischen Kategorien zu deuten. Dabei blenden sie bewusst aus, dass der Regime Change in Syrien im Jahr 2011 unsere eigene Initiative als Syrer war! Wir selbst waren es, die das barbarische Regime stürzen wollten. Dazu gehören auch zahlreiche linke Syrer, die in den Folterkellern des Regimes verschwanden, während sie aus Europa und anderswo keinerlei Solidarität erfuhren.
Wo und wann sahen Sie in den letzten Jahren wahre demokratische Entwicklungen in Syrien?
Zahlreiche Syrer setzten sich im Verlauf des Konflikts für demokratischen Wandel ein. Allerdings interessierte sich niemand für sie. Sie wurden verdrängt, vergessen und allein gelassen. Ein Beispiel hierfür ist etwa Daraya, ein Vorort von Damaskus. Während Daraya vom Assad-Regime belagert wurde, entstand dort ein demokratischer Rat mit 120 Mitgliedern, die alle sechs Monate gewählt wurden. Der Rat verwaltete unter anderem Schulen, Krankenhäuser und andere öffentlichen Einrichtungen. Durch diese Graswurzelbewegung wurden echte demokratische Strukturen geschaffen, die unabhängig vom Regime agieren konnten. Auch die Meinungs- und Pressefreiheit blühte auf. Trotz der konstanten Bombenangriffe gründeten lokale Journalisten eine Zeitung, die sich für den gewaltfreien Widerstand einsetzte. In anderen Regionen, etwa der Provinz Idlib, geschah Ähnliches. Dort demonstrierten viele Menschen sowohl gegen das Regime als auch gegen die extremistische Al-Nusra-Front. Wahre Demokraten müssen in Syrien weiterhin gegen alle Seiten kämpfen – sowohl gegen das Regime als auch gegen extremistisch-militante Gruppierungen.
Emran Feroz hat für verschiedene internationale Medien wie "The New Arab" und "Qantara.de" Gespräche mit Yassin al Haj Saleh geführt.
8 Kommentare verfügbar
Elmar Fässler
am 09.06.2018Nicht vom Westen und den Saudis + Kataris gedungene islamisteische Söldner haben den…